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ASYL/705: Kritik an Asylanhörung per Videokonferenz (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 11. Juli 2009

Asylanhörung per Videokonferenz

- Die Bundesregierung bestätigt Videoanhörungen im Asylverfahren.
- PRO ASYL kritisiert: Die persönliche Anhörung ist unverzichtbar.


Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt in seinen Außenstellen Oldenburg und Braunschweig seit einiger Zeit Anhörungen im Asylverfahren per Videokonferenz durch. Die Angehörten befinden sich währenddessen in der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland in Süd- Niedersachsen. Dieses Verfahren hat die Bundesregierung in der Beantwortung einer schriftlichen Frage des Bundestagsabgeordneten Josef Winkler (Bündnis 90 / Die Grünen) am 1. Juli 2011 bestätigt.

PRO ASYL sieht diese Praxis sehr kritisch. Die Asylanhörung ist das Kernstück eines fairen Verfahrens, denn die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Asylsuchenden kann eine Frage von Leben und Tod sein. Beweise können im Asylverfahren selten vorgelegt werden. Umso wichtiger ist die Frage nach der Glaubhaftigkeit der Antragstellenden, über die allein in einer persönlichen Anhörung entschieden werden kann.

Die Videokonferenzen dienen offenbar nicht mehr nur der Überwindung eines kurzfristigen personellen Engpasses. Die Bundesregierung spricht in der Beantwortung der Anfrage von "ersten Erfahrungen" mit diesem Verfahren, will dieses also offenbar fortführen oder gar ausbauen.

Die Bundesregierung begründet das Verfahren damit, dass die Entscheider des Bundesamtes dadurch effizienter eingesetzt werden könnten. Hier zeigt sich: Es geht nicht um ein faires und effizientes Verfahren im Sinne der Flüchtlinge, sondern um die möglichst gleichmäßige Auslastung der Außenstellen des Bundesamtes, denen die Aufzeichnungen zugeschickt werden. Auch der Widerwillen des Bundesamtspersonals, sich in so abgelegene Gegenden wie Friedland abordnen zu lassen, dürfte hierbei eine Rolle spielen.

Ein Zugeständnis macht die Bundesregierung: Anhörungen von Traumatisierten, geschlechtsspezifisch Verfolgten und Minderjährigen würden grundsätzlich nicht per Videokonferenz durchgeführt. Sollte sich während der Videoanhörung herausstellen, dass die angehörte Person einer dieser Gruppen zugehört, werde die Videoanhörung abgebrochen, so die Bundesregierung. Da es aber etwa für Traumatisierte beim Bundesamt kein effektives Früherkennungssystem gibt, ist dies lediglich eine freundliche Absichtserklärung.

PRO ASYL kritisiert, dass mit den Videoanhörungen eine beim Bundesamt längst schon eingerissene Fehlentwicklung weiter zementiert wird. Schon jetzt werden die Anhörungen nicht von der anhörenden Person in Protokoll und Entscheidung umgesetzt, sondern protokolliert und quer durch Deutschland an Entscheider in anderen BAMF-Außenstellen weiterverschickt. Schon bisher haben Beamte daher manchmal über das Schicksal von Menschen entschieden, die sie nie gesehen hatten. Der Zweck ist auch hier, die Arbeit auf die Außenstellen zu verteilen.

Es ist zweifelhaft, ob diese Praktiken insgesamt überhaupt noch die in § 24 Asylverfahrensgesetz normierte Pflicht des Bundesamtes einlösen, "den Ausländer persönlich anzuhören." PRO ASYL vertritt seit jeher die Auffassung, dass die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Asylantragstellern nur im direkten Dialog möglich ist.

Seit Jahren fordern PRO ASYL und andere Nichtregierungsorganisationen eine Verbesserung der Anhörungsqualität und insbesondere der bundesamtinternen Bescheidkontrolle, also eine Mischung aus Fortbildung und Fachaufsicht. Stattdessen scheint man beim Bundesamt auf technische Pseudolösungen zu setzen.

Lediglich einen beim Bundesamt wohl eher unerwünschten Effekt könnte die Anhörung per Videokonferenz haben: Nachdem das Amt bisher nie bereit war, Wortprotokolle anzufertigen, dürfte es unvermeidlich sein, die Videoaufzeichnungen - und damit faktisch eine Art Wortprotokoll - während der Verfahrensdauer aufzubewahren.

Die Bundesamtsbediensteten allerding brauchen bei den Videokonferenzen künftig noch weniger von dem, was in einigen Außenstellen ohnehin rar ist: Empathie. Wo sie nötig wäre, droht nun auch noch die Scheinobjektivität der Aufzeichnungskamera.


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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 11. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2011