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AUSSEN/578: Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg - Teil 1 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 17. März 2017 (german-foreign-policy.com)

Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I) 17.03.2017


DAR ES SALAAM/BERLIN - Die Regierung Tansanias bereitet Entschädigungsforderungen gegen die Bundesrepublik wegen deutscher Kolonialverbrechen vor. Dies berichtet der Verteidigungsminister des Landes, Hussein Mwinyi. Demnach soll Deutschland in Kürze aufgefordert werden, den Nachkommen der Opfer des Maji-Maji-Krieges eine Entschädigung zu zahlen. In dem Kolonialkrieg, der rund ein Jahr nach dem Beginn des Genozids an den Herero und Nama im heutigen Namibia durch eine Revolte ausgebeuteter, in die Zwangsarbeit gepresster Einwohner ausgelöst wurde, kamen bis zu 300.000 Menschen zu Tode, womöglich ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Beteiligte deutsche Offiziere bezeichneten die damaligen Kolonialkriegsoperationen, die teils als angeblicher "Kampf gegen Sklavenhändler" humanitär legitimiert wurden, bereits vor dem Maji-Maji-Krieg explizit als "Vernichtungsfeldzug" und "Zerstörungskrieg". Tatsächlich bedienten sich die Deutschen einer "Strategie der verbrannten Erde", in deren Rahmen ganze Dörfer niedergebrannt wurden und die bereits auf spätere deutsche Kriegsverbrechen in Europa verwies.

Entschädigungsforderungen

Die Regierung Tansanias bereitet Entschädigungsforderungen gegen die Bundesrepublik wegen der deutschen Kolonialverbrechen im Maji-Maji-Krieg vor. Wie Hussein Mwinyi, der tansanische Verteidigungsminister, kürzlich berichtete, ist diesbezüglich der Abstimmungsprozess innerhalb der Regierung des Landes in vollem Gange.[1] Demnach wird Tansania in Kürze Deutschland offiziell auffordern, den Nachfahren der Opfer Entschädigung zu zahlen. Mwinyi verweist darauf, dass mittlerweile auch in anderen Ländern Afrikas Entschädigungen für Kolonialverbrechen gefordert werden, darunter in Namibia (german-foreign-policy.com berichtete [2]).

Unter humanitärem Deckmantel

Der Maji-Maji-Krieg ist der mörderische Höhepunkt einer ganzen Reihe militärischer Auseinandersetzungen gewesen, die die deutsche Kolonialmacht seit dem Ende der 1880er Jahre in "Deutsch-Ostafrika", dem heutigen Tansania, führte. Die erste davon startete bereits 1888, lediglich vier Jahre nach dem Beginn der deutschen Kolonialisierung. Heute ist sie - wenn überhaupt - unter dem Namen "Araberaufstand" bekannt. Im September 1888 kam es an der ostafrikanischen Küste zu breitem bewaffnetem Widerstand unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen - darunter Swahili, arabischstämmige Plantagenbesitzer, Stämme aus dem Hinterland - gegen die seit 1884 eindringenden deutschen Kolonialisten, als diese das Land vollends unter ihre Kontrolle zu bringen suchten und dabei mit ihrem selbstherrlichen, brutalen Auftreten noch zusätzlich für Empörung sorgten. Die Deutschen schlugen den Widerstand blutig nieder - und nutzten die Tatsache, dass sich unter denjenigen, die sich der Kolonialisierung entgegenstellten, auch Sklavenhalter befanden, um ihren ersten Kolonialkrieg als angeblichen "Kampf gegen Sklavenhändler" humanitär zu legitimieren. Ende der 1880er Jahre fanden im Reich tatsächlich Versammlungen empörter liberaler Bürger statt, die aus humanitären Motiven - zur Befreiung der Sklaven - die Entsendung deutscher Kolonialtruppen verlangten. Der erste Kolonialkrieg, in dem es Berlin, wie man heute weiß, nicht um Menschenrechte, sondern um Aufstandsbekämpfung ging, endete im Mai 1890 mit einem deutschen Sieg.[3]

Strafexpeditionen

Eine nächste Kriegsetappe bildeten diverse "Strafexpeditionen" - mörderische Vergeltungsmaßnahen - gegen die Bevölkerungsgruppe der Hehe, die in der Region um Iringa im heutigen Zentraltansania lebt. Hintergrund war der im Sommer 1890 - unmittelbar nach der gewaltsamen Niederschlagung der Widerstände an der Küste - gestartete Versuch, eine wichtige Karawanenstraße aus dem Landesinnern ans Meer unter Kontrolle zu bekommen. Die Deutschen stießen dabei auf die Gegenwehr der Hehe, die sie mit dem Niederbrennen ganzer Dörfer und dem Raub von Vieh und Elfenbein zu brechen suchten. Dies gelang 1890 allerdings ebensowenig wie im Sommer des folgenden Jahres, als die deutschen Kolonialisten erneut ein Expeditionskorps in das Gebiet der Hehe entsandten. Dieses zog dort unter Hauptmann Emil von Zelewski, wie der Historiker Thomas Morlang schreibt [4], "plündernd und sengend durch das Land", beschoss zivile Siedlungen und brannte Dutzende Gehöfte nieder, bis es in einen Hinterhalt geriet und aufgerieben wurde. 1894 wurden die Strafexpeditionen wieder aufgenommen - unter anderem mit der Eroberung von Kalenga, der Residenz des Hehe-Sultans Mkwawa. Dabei wurden laut Auskunft des zuständigen deutschen Kommandeurs "250 Feinde beerdigt, viele weitere in Häusern verbrannt", 1.500 Frauen und Kinder verschleppt sowie "2.000 Stück Groß- und 5.000 Stück Kleinvieh" geraubt. Da die Hehe immer noch Widerstand leisteten, "blieb nun nichts weiter übrig", schrieb ein deutscher Offizier im Jahr 1898, "als den Vernichtungsfeldzug und Zerstörungskrieg der früheren Expeditionen" fortzusetzen. Der Krieg endete mit Mkwawas Suizid am 19. Juli 1898. Die Zahl der Hehe-Todesopfer ist nicht bekannt; ein deutscher Missionar schätzte sie auf "einige Tausend".[5]

Aufstandsbekämpfung

Die Vernichtungsfeldzüge sind damals von deutschen Militärs als etwas durchaus Neuartiges beschrieben worden. Eduard von Liebert etwa, ein preußischer Offizier, der 1896 in den Dienst der "Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika" eintrat, berichtete später, er habe den Krieg "in Böhmen und in Frankreich in der Praxis" kennengelernt. 30 Jahre lang habe er sich dann kontinuierlich mit dem Studium des Krieges und seiner Geschichte befasst; was er aber im Land der Hehe kennengelernt habe, habe alles Vorherige in den Schatten gestellt.[6] Tatsächlich änderten sich, wie der Historiker Jan-Bart Gewald schreibt, in den Jahren zwischen 1891 und 1898 in Ostafrika "die deutschen Methoden der Kriegführung beträchtlich". Die deutschen Truppen seien "von einem Tal zum nächsten" gezogen, hätten "jedes Tal umzingelt, alle Nahrungsmittel und Wasserquellen in dem Tal vernichtet, danach alle überlebenden älteren Menschen und Männer umgebracht, während junge Frauen und Kinder in Gewahrsam genommen und als Konkubinen oder Arbeitskräfte eingesetzt" worden seien. Diese Art der "Aufstandsbekämpfung" habe zur "Entvölkerung des Landes" geführt; landwirtschaftliche Tätigkeit sei nicht mehr möglich gewesen. Die deutschen Truppen hätten dabei "bedingungslose Gefolgschaft" verlangt; wer sie verweigert habe, sei getötet worden.[7]

Die Unterwerfung des Landes

Vor allem in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre weiteten die Deutschen ihre Kolonialherrschaft in Ostafrika, die sich zunächst vor allem auf die Küste und die Karawanenrouten ins Landesinnere konzentriert hatte, systematisch auch auf weit abgelegene Regionen aus. Dabei unternahmen sie diverse weitere militärische Operationen. Allein zwischen 1891 und 1897 führten deutsche Truppen mindestens 61 größere "Strafexpeditionen" respektive Unterwerfungsfeldzüge gegen widerständige Stämme durch, wobei auch die im Krieg gegen die Hehe entwickelten Terrormaßnahmen zur Anwendung kamen.[8] Die Zahl der Todesopfer ist unbekannt. Entschädigung für die Überlebenden bzw. für die Nachkommen wird - ebenso wie im Fall der Vernichtungsfeldzüge gegen die Hehe - bisher noch nicht gefordert; Deutschland kam bislang also auch im Fall seiner Vernichtungsfeldzüge aus der Zeit vor 1905 ganz problemlos straffrei davon.

Ökonomische Ausplünderung

Dabei sind in den 1890er und den frühen 1900er Jahren in zunehmendem Maße die ökonomische Ausplünderung des Landes und die dazu angewandte Gewalt zentrale Ursachen der Rebellionen gewesen. Der durch sie entfachte Aufruhr mündete schließlich in den Maji-Maji-Krieg. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.


Anmerkungen:

[1] Jane Ayeko-Kümmeth: Tanzania to press Germany for damages for colonial era 'atrocities'. www.dw.com 09.02.2017.

[2] S. dazu Billiges Erinnern.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59511

[3] Reinhard Klein-Arendt: Ein Land wird gewaltsam in Besitz genommen. Die Kolonie Deutsch-Ostafrika. In: Felicitas Becker, Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Berlin 2005. S. 28-48.

[4], [5] Thomas Morlang: Sie haben es so gewollt. www.zeit.de 30.07.1998.

[6], [7] Jan-Bart Gewald: Colonial Warfare: Hehe and World War One, the wars besides Maji Maji in south-western Tanzania. African Studies Centre (Leiden). Working Paper 63/2005.

[8] Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. Paderborn 2012. S. 173.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2017

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