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AUSSEN/591: Deutschlands koloniale Arroganz (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 29. Januar 2018
german-foreign-policy.com

Deutschlands koloniale Arroganz


BERLIN/WINDHOEK - Bei der Abwehr von Entschädigungsforderungen wegen des deutschen Genozids an den Herero und den Nama sieht sich Berlin zu einem Strategiewechsel gezwungen. Blieb die Bundesregierung bisher einem Entschädigungsverfahren, das im Januar 2017 in New York gegen sie eröffnet wurde, fern und verweigerte die Annahme der Gerichtsunterlagen, um den Abbruch des Prozesses zu provozieren, so geht sie nun dazu über, einen Vertreter zu den Gerichtsterminen zu entsenden. Grund dafür ist nicht der massive Protest der Opfernachfahren, sondern eine politische Intervention der US-Botschaft in Berlin, die sich die offene Missachtung eines US-Gerichts durch die Bundesrepublik nicht länger bieten lässt. Die Bundesregierung legt dabei jedoch Wert auf die Feststellung, sie erkenne die Rechtmäßigkeit des New Yorker Prozesses nicht an - weil ihr angeblich "Staatenimmunität" zustehe. Nachfahren der Opfer ziehen mittlerweile in Betracht, Land zu besetzen, das den Herero und den Nama einst geraubt wurde und bis heute im Besitz von Nachkommen deutscher Kolonialisten ist.

Annahme verweigert

In den Prozess, den Vertreter der Herero und der Nama vor einem New Yorker Gericht gegen Deutschland angestrengt haben, um eine Entschädigung für die deutschen Kolonialverbrechen an ihren Vorfahren zu erhalten, kommt Bewegung. Ein Jahr lang hatte die Bundesregierung versucht, dem am 5. Januar 2017 eröffneten Verfahren durch eine konsequente Blockadepolitik zu entgehen: Sie behauptete, nichts von der Klage zu wissen und daher keinen Vertreter zu den New Yorker Gerichtsterminen entsenden zu können. Möglich war dies dank aktiver Unterstützung durch den Justizsenator des rot-rot-grün regierten Senats in Berlin, der laut internationalen Übereinkünften formell für die Entgegennahme der Prozessunterlagen aus den USA und für ihre Weiterleitung an die Bundesregierung zuständig ist. Der Senator, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, verweigerte jedoch die Annahme der Papiere. Vorgeschoben wurden formaljuristische Argumente; so hieß es in internen Vermerken, die deutschen Kolonialverbrechen seien "Ausfluss hoheitlicher Handlungen (acta iure imperii) des Deutschen Reiches" gewesen, während die Berliner Verwaltung nur verpflichtet sei, Unterlagen in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren an die Beklagten zu übermitteln (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Sämtliche Prozesstermine im vergangenen Jahr blieben wegen der Abwesenheit von Vertretern der Bundesregierung ergebnislos oder fielen gänzlich aus.

Druck aus Washington

Zu einer Wende geführt hat jetzt der Versuch der in New York klagenden Herero und Nama, der Bundesregierung die Prozessunterlagen auf anderem Wege zu übermitteln: nämlich über das State Department in Washington sowie die US-Botschaft in Berlin, die zuständig sind, da es um eine Klage vor einem US-Gericht geht. Laut offiziellen Angaben deutscher Stellen versuchte die US-Botschaft am 15. November 2017, dem Auswärtigen Amt die Papiere auszuhändigen - vergeblich: Das Ministerium verweigerte die Annahme mit dem Argument, das Verfahren verstoße gegen die sogenannte Staatenimmunität. Dieser zufolge dürfen Einzelpersonen nicht vor auswärtigen Gerichten gegen einen Staat klagen.[2] Das Argument ist international zumindest heftig umstritten (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Völlig unabhängig davon hat der diplomatische Affront, der in der pauschalen Zurückweisung von Unterlagen eines US-Gerichts liegt, in Washington offenkundig erheblichen Unmut ausgelöst; jedenfalls teilte die Berliner US-Botschaft, wie berichtet wird, der Bundesregierung in einer diplomatischen Note mit, sie riskiere bei einem weiteren Fernbleiben von den Gerichtsterminen, "dass ein Urteil ohne Aussagen und ohne Vorlage von Beweismitteln" zu Deutschlands "Ungunsten erlassen wird".[4] Dabei würde es sich um ein "default judgement" ("Versäumnisurteil") handeln.

Einstellung beantragt

Einzig und allein der Druck aus Washington hat es vermocht, die Bundesregierung zur Aufgabe ihrer mit eiserner Härte verfolgten Blockadepolitik zu bewegen. Am 12. Januar hat sie über einen US-amerikanischen Anwalt in New York die Einstellung des Verfahrens beantragt - unter anderem unter Hinweis auf die sogenannte Staatenimmunität.[5] Der Antrag ist vom Gericht wegen eines Formfehlers ausgesetzt worden; er wird nun von der deutschen Seite bis zum 9. Februar korrigiert, danach wird eine Entscheidung erwartet. Zudem hat Berlin am vergangenen Donnerstag (25. Januar) erstmals einen Gerichtstermin in dem New Yorker Verfahren wahrgenommen, wenngleich auch nur durch seinen US-Anwalt und nicht, wie die Kläger es gehofft hatten, durch einen politischen Vertreter der Bundesregierung. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts weist ausdrücklich darauf hin, es habe dabei "keine inhaltliche Einlassung auf die Klage" gegeben; die deutsche Seite habe lediglich "unsere grundsätzliche Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht", der zufolge die Klage grundsätzlich "unzulässig" sei. Der nächste Prozesstermin ist für den 3. Mai 2018 anberaumt.

In Deutschland keine Chance

Dabei setzt die Bundesregierung offenkundig darauf, dem New Yorker Gericht alternativ zur Einstellung des Verfahrens - unter Verweis auf die Staatenimmunität - dessen Weiterleitung an deutsche Gerichte nahezulegen.[6] Schließlich seien die Kolonialverbrechen damals im Hoheitsbereich Berlins verübt worden, heißt es zur Begründung; die deutsche Justiz sei also die passende Anlaufstelle. Allerdings müssen die Chancen, in Deutschland mit Klagen wegen kolonialer Massenverbrechen Erfolg zu haben, als überaus gering eingeschätzt werden. Dies zeigen beispielsweise Bemühungen griechischer Überlebender von Wehrmachts- und SS-Massakern, von der deutschen Justiz eine Entschädigung zugesprochen zu bekommen: Sie sind sämtlich gescheitert.[7] Dasselbe trifft auf in Deutschland angestrengte Entschädigungsklagen der Angehörigen von Opfern mutmaßlicher bundesdeutscher Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan zu: Auch diese Taten sind bislang für die Täter ohne Folgen geblieben; Forderungen nach finanziellen Konsequenzen sind durchweg abgewehrt worden.[8] Die involvierten deutschen Richter entschieden bisher zuverlässig gemäß der von Berlin eingeforderten "Staatenimmunität".

Geraubtes Land

Vertreter der Herero und der Nama üben nach dem ein Jahr lang währenden Versuch Berlins, das Gerichtsverfahren durch vollständiges Ignorieren der Opfernachfahren scheitern zu lassen, scharfe Kritik. "Die Bundesregierung verhält sich kolonial: arrogant, ohne Respekt und unaufrichtig", urteilt die Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation, Esther Muinjangue.[9] "Wir haben die Arroganz der deutschen Regierung satt", erklärt Bernadus Swartbooi, ehemaliger stellvertretender Minister für Landreform in Namibia und Vertreter der Nama. Swartbooi weist darauf hin, dass bis heute Nachfahren deutscher Kolonialisten große Ländereien besitzen, die den Herero sowie den Nama einst von der Kolonialmacht geraubt wurden. Diese Farmen sollten, erklärt Swartbooi, jetzt von den Nachfahren der Opfer friedlich, aber "systematisch" besetzt werden. Der Kampf, den die Herero und die Nama führten, sei "kein akademischer, sondern ein existentieller" - in Zukunft womöglich auch um von den Deutschen widerrechtlich okkupiertes Land.[10]


Anmerkungen:

[1] S. dazu Annahme verweigert.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7503/

[2] Statement regarding recent newspaper reports on New York Court Case. windhuk.diplo.de 17.01.2018.

[3] S. dazu Annahme verweigert.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7503/

[4] Paul Starzmann: Herero verklagen die Bundesregierung. tagesspiegel.de 25.01.2018.

[5], [6] Jürgen Zimmerer: Völkermord? Nicht zuständig. taz.de 24.01.2018.

[7] S. dazu Die Regelung der Reparationsfrage.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7055/

[8] S. dazu Die zivilen Opfer der Kriege.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7104/

[9] In der Sackgasse? domradio.de 27.01.2018.

[10] Jana Frielinghaus: Verzögern, mauern, schweigen. junge Welt 27.01.2018.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2018

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