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AUSSEN/614: Angriff auf die Ein-China-Politik, Teil 1 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 27. August 2019
german-foreign-policy.com

Angriff auf die Ein-China-Politik (I)


BERLIN/TAIPEH/WASHINGTON - Ein Abgeordneter aus dem Bundestag plädiert nach Gesprächen mit dem taiwanischen Außenminister für einen Bruch mit der Ein-China-Politik und für die Anerkennung Taiwans als eigenständiger Staat. Die westlichen Mächte sollten sich zudem bemühen, Taiwan zur Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zu verhelfen, forderte kürzlich der FDP-Abgeordnete Ulrich Lechte, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Parlaments, bei einem Aufenthalt in Taiwans Hauptstadt Taipeh. Seine Forderung erfolgt zu einer Zeit, zu der Washington seine Unterstützung für Taiwan intensiviert und dabei auch seine Rüstungsexporte auf die Insel steigert; erst vor wenigen Tagen hat US-Präsident Donald Trump der Lieferung von Kriegsgerät im Wert von acht Milliarden US-Dollar an Taipeh zugestimmt, darunter 66 Kampfjets des Typs F-16. Neben US-Kriegsschiffen queren mittlerweile auch französische Marineeinheiten die Straße von Taiwan, um den Druck auf Beijing zu erhöhen. Auch die Forderung nach einer Entsendung deutscher Kriegsschiffe in die Straße von Taiwan wird laut.

Die Ein-China-Politik

Taiwan, die südchinesische Insel, auf die sich 1949 gegen Ende des chinesischen Bürgerkriegs die Kuomintang zurückgezogen hatten - einige flohen auch in die britische Kolonie Hongkong [1] -, war zunächst unter dem Namen "Republik China" international als legitime Vertretung Chinas anerkannt worden; die Regierung unter Chiang Kai-shek vertrat China bei den Vereinten Nationen und hatte einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Dies änderte sich Anfang der 1970er Jahre, als in den Vereinigten Staaten die Entscheidung fiel, eine Annäherung an die Volksrepublik zu vollziehen - einerseits, um sich nach dem absehbar verlorenen Vietnam-Krieg alternative Einflusswege in Asien zu sichern, andererseits, um die Spannungen zwischen Beijing und Moskau zu verstärken und den Druck auf die Sowjetunion zu erhöhen. Die Volksrepublik ließ sich auf die Annäherung ein, verlangte im Gegenzug jedoch die Anerkennung als alleinige rechtmäßige Vertreterin Chinas ("Ein-China-Politik"). Mit der Anerkennung der Volksrepublik durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 25. Oktober 1971 wurde dieser Schritt im Wesentlichen vollzogen. Beijing strebt bis heute die Wiedervereinigung mit dem traditionell zu China gehörenden Taiwan an. Staaten, die Beziehungen zu Beijing unterhalten wollen, müssen dies anerkennen.

Taiwans Abspaltung gefordert

Ein Abgeordneter aus dem Deutschen Bundestag fordert nun zu einer Abkehr von der Ein-China-Politik auf. Ulrich Lechte (FDP), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, hatte sich Anfang August in Taiwan aufgehalten und am 5. August in der Hauptstadt Taipeh, wie er auf Facebook berichtet, den taiwanischen Außenminister Joseph Wu "zu politischen Gesprächen" getroffen.[2] Äußerungen, die er im Interview mit Taiwans offizieller Nachrichtenagentur Central News Agency (CNA) tätigte, wurden in mehreren Zeitungen auf der Insel zitiert. Lechte erklärte dabei die Formel "Ein Land, zwei Systeme", unter der Hongkong aus der britischen Kolonialherrschaft in die Volksrepublik eingegliedert wurde und die Beijing auch Taiwan für die Zeit nach einer Wiedervereinigung in Aussicht gestellt hat, für gescheitert und forderte die westlichen Staaten auf, ihr Verhältnis zu Taiwan zu überdenken. So sollten sie sich zum Beispiel dafür stark machen, die Insel in die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) und in Interpol aufzunehmen. Beiden gehört Taiwan, da die Volksrepublik als rechtmäßige Vertreterin Chinas anerkannt wird, nicht an. Lechte erklärte jetzt in Taipeh, er unterstütze auch Taiwans Bemühungen, in die UNO aufgenommen zu werden - und zwar als "unabhängiger Staat".[3] Taiwans explizite Abspaltung von China wäre ein offener Bruch mit der Ein-China-Politik.

Der Taiwan Relations Act

Lechtes Äußerungen erfolgen zu einer Zeit, zu der die Vereinigten Staaten die Unterstützung für Taiwan intensivieren. Die USA hatten zwar mit der offiziellen Anerkennung der Volksrepublik am 1. Januar 1979 die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abbrechen müssen. Faktisch werden sie allerdings im Rahmen des Taiwan Relations Act, der am 10. April 1979 in Kraft trat, bis heute fortgesetzt. So schreibt der Taiwan Relations Act vor, dass das Personal des American Institute in Taiwan vom US-Außenministerium und anderen US-Regierungsstellen entsandt wird; praktisch ist das Institut damit einer regulären Botschaft gleichgestellt. Das US-Gesetz legt zudem fest, dass jegliche Einschränkung der faktischen taiwanischen Eigenständigkeit von Washington entschieden abgelehnt wird. Die Vereinigten Staaten behalten es sich vor, im Konfliktfall mit allen Mitteln auf Seiten Taiwans zu intervenieren. Nicht zuletzt sieht der Taiwan Relations Act Waffenlieferungen in einem Umfang vor, der Taipeh befähigen soll, sich gegen etwaige Angriffe der Volksrepublik mit Erfolg zu verteidigen. Die USA haben Taiwan 2003 zu einem "major non-NATO ally" erklärt; US-Präsident Barack Obama hat Rüstungslieferungen im Wert von rund 14 Milliarden US-Dollar an Taipeh genehmigt - mehr als alle seine Amtsvorgänger seit 1979 zusammengenommen. US-Soldaten sind - offiziell als "Berater" und "Beobachter" - auf der Insel stationiert.

Rüstungsexporte

Die Trump-Administration setzt die massive Aufrüstung Taiwans gegen die Volksrepublik nun fort. So hat sie Ende Juni 2017 eine erste Lieferung von Kriegsgerät im Wert von 1,42 Milliarden US-Dollar genehmigt. Vorläufiger Höhepunkt ist die Zustimmung des US-Präsidenten zur Ausfuhr von 66 F-16-Kampfjets nach Taiwan; die Flieger sollen die bestehende, 1992 gekaufte taiwanische F-16-Flotte ergänzen. Das Geschäft, das zudem den Verkauf von 75 Triebwerken und weiterem Gerät umfasst, hat ein Volumen von rund acht Milliarden US-Dollar und ist damit einer der größten Rüstungsdeals zwischen den USA und Taiwan überhaupt.[4] Es lässt die Spannungen zwischen den USA und China weiter eskalieren: Beijing hat angekündigt, gegen beteiligte US-Rüstungsfirmen Sanktionen zu verhängen, sollte der Verkauf zustande kommen.

Kanonenbootpolitik

Hinzu kommt, dass die Durchfahrten westlicher Kriegsschiffe durch die Straße von Taiwan in jüngster Zeit zunehmen. Die Meerenge, die die Insel von der Festlandprovinz Fujian trennt, ist an ihrer schmalsten Stelle lediglich 180 Kilometer breit. Die Vereinigten Staaten schicken, wie ein Sprecher des U.S. Pacific Command Anfang Juli 2018 nach der Fahrt zweier Lenkwaffenzerstörer durch die Meeresstraße offiziell bestätigte, regelmäßig Kriegsschiffe dort entlang.[5] Zuletzt passierte ein US-Lenkwaffenkreuzer Ende Juli die Route. Die Durchquerungen sollen die Präsenz der U.S. Navy markieren und deutlich machen, dass Washington im Ernstfall auf Seiten Taiwans intervenieren würde. Dabei sind die USA nicht der einzige Staat, der in der Straße von Taiwan militärisch auftritt. Am 6. April kreuzte die französische Fregatte Vendemiaire die Meerenge; bei dieser Gelegenheit hieß es aus französischen Verteidigungskreisen, die französische Marine quere die Straße von Taiwan gewöhnlich einmal pro Jahr.[6] Beijing protestierte und lud danach die französischen Seestreitkräfte von ihrer eigentlich geplanten Teilnahme an einer Schiffsparade zum 70. Gründungstag der chinesischen Marine aus.

Deutscher Heldenmut

Transatlantische Kreise in Berlin ziehen mittlerweile offenbar auch die Durchfahrt eines deutschen Kriegsschiffs durch die Straße von Taiwan in Betracht. Im Juni berichtete ein US-Journalist unter Berufung auf mehrere - namentlich nicht genannte - hochrangige Beamte in Berlin, es werde im Verteidigungsministerium darüber diskutiert, sich den Marineoperationen der Vereinigten Staaten und Frankreichs anzuschließen und auch ein Schiff der deutschen Flotte an die südchinesische Küste zu entsenden. Mit einer Passage durch die Meerenge zwischen Taiwan und dem Festland sei es nicht nur möglich, eine deutsche Präsenz in Ostasien zu markieren, sondern zugleich zum einen Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten, zum anderen ein Aufschließen zur maritimen Macht Frankreichs zu demonstrieren. "Die Einleitung einer [deutschen, d. Red.] Marineoperation vor der Küste Taiwans" wäre, fände sie statt, "ein geradezu bahnbrechender, bisher ungesehener Akt des Heldenmuts", hieß es in der "Springer"-Tageszeitung "Die Welt".[7] Auch wenn eine Mehrheit in Berlin für die Maßnahme noch nicht in Sicht ist: Die Debatte darüber hat begonnen.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Proteste in Hongkong.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8011/

[2] Bericht von Ulrich Lechte auf seinem Facebook-Account.

[3] Lin Chia-nan: German lawmaker urges global support. taipeitimes.com 07.08.2019. Zin Kao: Democratic countries should support UN membership for Taiwan: German member of parliament. taiwannews.com.tw 07.08.2019.

[4] USA rüsten Taiwan mit 66 F-16-Kampfjets aus. spiegel.de 21.08.2019.

[5] Patrick Zoll: Wieso US-Kriegsschiffe in der Strasse von Taiwan Präsenz markieren. nzz.ch 08.07.2018.

[6] Französisches Kriegsschiff passiert Meerenge zwischen China und Taiwan. reuters.com 25.04.2019.

[7] John Vinocur: Das wäre das Ende der deutschen Zurückhaltung. welt.de 11.06.2019.


Bitte beachten Sie auch Video-Kolumne von german-foreign-policy zum Konflikt mit China.
https://www.youtube.com/watch?v=5V68uj2sXPU&list=PLTJHO_DZA590ij9FhcNCCwB9wXvVHkd1h&index=1

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2019

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