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FRAGEN/019: "Die Populisten haben den politischen Diskurs verschoben" (highlights - Universität Bremen)


"highlights" - Heft 34 / Winter 2016
Informationsmagazin der Universität Bremen

"Die Populisten haben den politischen Diskurs verschoben"

Interview mit Professor Martin Nonhoff von der highlights-Redaktion


Nicht erst seit dem Wahlsieg von Donald Trump ist der Populismus auf dem Vormarsch. In Europa und Deutschland ist er schon länger ein Thema. Rechtspopulisten regieren in Polen und Ungarn. Rechtsgerichtete Politiker wie Geert Wilders in den Niederlanden oder Marine Le Pen in Frankreich sind für immer mehr Wähler attraktiv. In Deutschland ist die AfD mit zweistelligen Ergebnissen in Landesparlamente eingezogen und wird es 2017 wohl in den Bundestag schaffen. Ein Gespräch mit Professor Martin Nonhoff vom Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen über die Gründe für diese Entwicklung.


Herr Nonhoff, Sie waren während des US-Wahlkampfes und der Wahl mehrere Monate als Visiting Fellow an der Cornell University in den USA. Dabei haben Sie als Politikwissenschaftler einen tieferen Einblick in die Zerrissenheit des Wahlvolkes bekommen. Hat Sie der Wahlsieg von Donald Trump da noch überrascht?

Ja, es war überraschend, weil sich nahezu alle Experten getäuscht haben. Allerdings konnte man bei Fahrten außerhalb der Stadt schon feststellen, dass auf dem Land deutlich mehr Trump-Schilder in den Vorgärten standen als Clinton-Schilder. Man konnte einen Bruch zwischen ländlicher und städtischer Gegend erkennen. Nur dass er so stark ausfallen würde, dass Clinton die Wahl verliert, war nach allen Umfragen nicht erwartet worden.

Der Erfolg populistischer Kandidaten, Parteien und Ideen ist ja längst keine Eintagsfliege mehr. Im Gegenteil, der Populismus greift um sich, auch oder gerade in den Wohlfahrtsstaaten ....

.... aber jedes Land hat seine eigenen Gründe dafür. Populisten mobilisieren gerne das vermeintliche Volk - das immer ein konstruiertes ist! - gegen die vermeintlichen Eliten. Was das im Einzelnen bedeutet, ist aber unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es in den USA einen sehr alten Diskursstrang gegen die Washingtoner Politik-Eliten, während wir in Deutschland einen derart ausgeprägten Anti-Berlin-Diskurs nicht kennen. Auch funktionieren, wenigstens in Europa und Nordamerika, Rechtspopulismen stets anders als Linkspopulismen. Bei ersteren kommen zu den Angriffen auf die Eliten immer noch Angriffe auf eine oder mehrere Gruppen, die tendenziell zu den Schwächsten einer Gesellschaft gehören - heute bevorzugt Migranten. Aber während sich Eliten meistens ganz gut verteidigen können, ist das für die Schwächeren oft nicht möglich. Das macht die Rechtspopulisten für einzelne Gruppen zu einer echten Gefahr.

Es scheint, als ob es in vielen Ländern eine große Wut breiter Bevölkerungsschichten gibt, die sich in Zeiten von Gender Mainstreaming, Political Correctness und Unisex-Toiletten "nicht mehr gesehen" fühlen - und dann per Stimmzettel die Antwort geben.

Es gibt sicher solche Formen "kultureller Entfremdungserfahrung". Das muss man ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass man es dulden darf, wenn aus einer solchen Entfremdungserfahrung der Schluss gezogen wird: Eine Gesellschaft mit frappierender Geschlechterungerechtigkeit, wilder Beleidigungskultur und Missachtung sexueller Identitäten wäre doch irgendwie besser. Das ist sie nicht. Hier kann und muss man dagegen halten, im gesellschaftlichen Diskurs und wenn es um Wählerstimmen geht. Für das Hauptproblem scheinen mir aber die drei angesprochenen Beispiele nur ein Symptom zu sein. Es gibt eine rasante Veränderung dessen, was man als normal erachtet hat, insbesondere auf globaler Ebene. Das lange Zeit für natürlich gehaltene Recht des weißen europäischen Mannes, sich die Welt kulturell, ökonomisch und politisch zu unterwerfen, löst sich langsam auf. Dieser Kontrollverlust führt bei einigen zu Unsicherheit und Aggression. Das sich dies auch in Wahlen niederschlägt, überrascht kaum.

Blick auf Deutschland: Nimmt die Politik hier noch alle Menschen mit? Der Vorwurf lautet, dass sich das "Establishment", also die Machtelite, von großen Teilen der Bevölkerung entfernt hat. Eine Elite bestimmt den Kurs der Gesellschaft - aber die will diesen Kurs vielleicht gar nicht.

Nur dass es eben weder "die" Machtelite gibt noch "die" Gesellschaft. Wenn wir diese Vereinfachung mitgehen, sind wir den Populisten schon auf den Leim gegangen. Unsere westlichen Gesellschaften sind aber de facto pluralistisch. Wenn man den politischen Eliten einen Vorwurf machen will, dann allenfalls den, dass sich alle Parteien stark auf die Mitte des politischen Spektrums konzentriert haben. So ist der politische Kontrast geringer geworden. Wer allerdings hierzu eine "Alternative" schaffen will, verschärft das Problem, wenn er selbst jeden gesellschaftlichen Pluralismus leugnet. Das "Wir sind das Volk!" impliziert nämlich in der heute üblichen Verwendungsweise ein "und ihr nicht!". Insofern gilt: Elitenkontrolle ist ein wesentliches Element der Demokratie, Akzeptanz gesellschaftlicher Pluralität und Heterogenität aber nicht minder.

In welchem Maß spielen die sozialen Netzwerke bei der Ausbreitung des Populismus eine Rolle?

Nahezu alle Bürger nehmen die Politik jenseits der Lokalpolitik ausschließlich medial wahr. Deshalb spielt es natürlich eine sehr große Rolle, wie die Medien verfasst sind. Der politische Wettbewerb hat sich früher durch das Radio einschneidend geändert und erst recht durch das Fernsehen. Das Netz und die Netzwerke bringen einen vergleichbaren Wandel mit sich - vermutlich weniger wegen der so genannten Echokammern, sondern weil Politiker ihre Wähler nun über Twitter, Facebook etc. direkt millionenfach erreichen und mobilisieren können. Und das ohne das Gegengewicht, das die klassische journalistische Einordnung von Äußerungen bislang darstellte.

Was sagt Ihr Bauchgefühl? Werden Populisten auch in Deutschland bald eine tragende Rolle einnehmen?

Nun, sie tun es ja zumindest insofern schon, als dass sie den politischen Diskurs verschoben haben. Dass die AfD es 2017 in den Bundestag schaffen wird, scheint nach den jetzigen Umfragen sehr wahrscheinlich. Ob daraus eine dauerhafte parlamentarische Präsenz wird, hängt aber von zu vielen Faktoren ab, als dass man hier eine seriöse Prognose wagen könnte.

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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 34 / Winter 2016, Seite 6-9
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Kai Uwe Bohn, Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-601 50
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-
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"highlights" erscheint zweimal jährlich und ist erhältlich
bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2017

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