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MENSCHENRECHTE/273: Internationale Organisationen und der Schutz von Menschenrechten (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 141, September 2013
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Mehr Autorität, mehr Anforderungen
Internationale Organisationen und der Schutz von Menschenrechten

von Monika Heupel und Gisela Hirschmann



Kurz gefasst: Internationale Organisationen üben immer mehr Herrschaft aus. Damit geht die Erwartung einher, dass sich auch globales Regieren an gewissen Standards orientieren sollte. Internationale Organisationen, die das Leben und die Rechte von Individuen stark beeinflussen, reagieren auf diese Anforderungen, indem sie - unterschiedlich ausgereifte - Verfahren zum Schutz der Menschenrechte etablieren. Drei Pfade, like-minded institution-building, hegemonic institution-building und judicial institution-building, führten dazu, dass Vereinte Nationen, Europäische Union, Nordatlantikpakt-Organisation, Weltbank und Internationaler Währungsfonds Schutzmaßnahmen eingerichtet haben.


Der Einfluss internationaler Organisationen auf das Leben von Bürgern hat in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen. Viele Aufgaben, die früher primär den Befugnissen von Nationalstaaten zugerechnet wurden, werden nun auch von internationalen Organisationen durchgeführt. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass Menschenrechte verletzt werden. Die umfassenden Sanktionen der Vereinten Nationen (UN) gegen den Irak beispielsweise zogen gravierende humanitäre Probleme nach sich. Bei der Entsendung von Friedensoperationen durch die UN oder die Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) kam es zu sexuellen Übergriffen durch Angehörige der entsandten Truppen. Auch Projekte der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben massive Auswirkungen auf die Lebensgrundlage zahlreicher Bürger.

Die Tatsache, dass internationale Organisationen direkte Herrschaft ausüben und dabei Menschenrechte verletzen können, verstärkt auch die Erwartung, dass diese Organisationen genau wie Staaten Menschenrechte respektieren und schützen. Die wichtigsten Organisationen haben darauf reagiert und Verfahren zum Schutz der Menschenrechte eingerichtet. Das aktuelle DFG-Forschungsprojekt "Internationale Organisationen und der Schutz fundamentaler Rechte von Individuen" am WZB untersucht, wie es zur Etablierung dieser Verfahren kommt. Durch eine Analyse von zehn Fällen, die sich mit Rechtsverletzungen im Kontext von UN- und EU-Sanktionen, UN- und NATO-Friedensoperationen und Weltbankund IWF-Strukturanpassungsmaßnahmen befassen, identifizieren wir drei Pfade für die Einrichtung von Schutzverfahren: durch eine Koalition gleichgesinnter Akteure (like-minded institution-building), eine Großmacht (hegemonic institution-building) oder Gerichte (judicial institution-building).


Gleichgesinnte engagieren sich

Akteure mit ähnlichen normativen Zielvorstellungen - Staaten, nicht staatliche Organisationen (NGOs) und einzelne Personen - treiben die Etablierung von Schutzverfahren voran, indem sie Rechtsverletzungen dokumentieren und das Fehlen verlässlicher Schutzverfahren skandalisieren (like-minded institution-building). Zugleich unterbreiten sie einer internationalen Organisation Vorschläge, wie angemessene Schutzverfahren aussehen könnten. Das geschieht nicht in jedem Fall schwerer Menschenrechtsverletzungen. Entscheidend ist, ob im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen Kampagnen mobilisierbar sind, etwa wenn eine Empathie erzeugende Darstellung von Opfern physischer Gewalt möglich ist, die zudem Tätern direkt zugeordnet werden kann.

Seit Beginn der 2000er Jahre wurden Fälle sexueller Ausbeutung durch UN-Friedenstruppen in internationalen Medien und Berichten von NGOs dokumentiert und skandalisiert. Durch Berichte über Hunderte von Vergewaltigungen durch UN-Blauhelmsoldaten in der Demokratischen Republik Kongo drohte die Effektivität und Legitimität von Friedensoperationen insgesamt Schaden zu nehmen. Daraufhin setzte das UN-Sekretariat Untersuchungskommissionen ein, die Reformvorschläge entwickeln sollten. In Zusammenarbeit mit NGOs, wie z.B. Save the Children UK, wurden in mehreren Schritten Präventions- und Beschwerdeverfahren entwickelt, die zum Teil in spätere Resolutionen des UN-Sicherheitsrats integriert wurden.

Auch Verfahren zum Menschenrechtsschutz beim Umgang mit Häftlingen in Friedensoperationen entstanden als Reaktion auf starke Kritik und Vorschläge seitens verschiedener NGOs sowie anderer internationaler Organisationen. Verbesserungen wurden insbesondere auf der Ebene der UN- und NATO-Operationen im Kosovo erzielt. Die UN-Übergangsverwaltung richtete dort zunächst den Posten einer Ombudsperson ein und später das Human Rights Advisory Panel, um Beschwerden gegen die UN-Verwaltung zu ermöglichen. Beide Verfahren beruhten auf Vorschlägen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats. Auch die NATO reagierte auf Kritik an den Haftpraktiken der KFOR-Truppe, verweigerte sich allerdings jeglicher unabhängiger Beschwerdeverfahren.

Vergleichbare Koalitionen gleichgesinnter Akteure erreichten die Einrichtung von humanitären Schutzverfahren in der UN-Sanktionspolitik. Zahlreiche NGOs, Wissenschaftler, aber auch UN-Gremien selbst skandalisierten die negativen Folgen der breiten UN-Sanktionen gegen den Irak in den 1990er Jahren und setzten den UN-Sicherheitsrat unter Druck. Außerdem praktizierten NGOs zivilen Ungehorsam; Ärzte lieferten unter Missachtung der Sanktionen humanitäre Güter in den Irak. Daraufhin richtete der Sicherheitsrat eine informelle Arbeitsgruppe ein, die regelmäßig von externen Experten beraten wurde. Dies trug dazu bei, dass sich der Sicherheitsrat in zunehmendem Maße bereitfand, Verfahren zu entwickeln, die präventiv der Verletzung von Subsistenzrechten entgegenwirken sollten.

Auch die zögerlichen Bemühungen des IWF, Verfahren einzurichten, um die sozialen und vor allem armutsrelevanten Folgen der von ihm geförderten Projekte abzufedern, sind auf das Zusammenwirken gleichgesinnter Akteure zurückzuführen. Die durch den IWF geförderten Strukturanpassungsprogramme lösten massive Proteste aus. NGOs wie Oxfam International aber auch Wissenschaftler sowie das IWFFührungspersonal nahmen sich des Themas an und entwickelten - in Kooperation mit der Weltbank - das Instrument der Poverty and Social Impact Analysis (PSIA).


Die Macht des dominanten Mitgliedsstaats

Menschenrechtsschutzverfahren werden außerdem durch den Einfluss eines dominanten Mitgliedsstaats innerhalb einer internationalen Organisation initiiert und durchgesetzt (hegemonic institution building). Dieser Hegemon greift dabei auf unterschiedliche Machtressourcen zurück. Zum einen profitiert er von Entscheidungsregeln, die seine Position privilegieren, wie z.B. Vetorechten im UNSicherheitsrat. Zum anderen kann er finanzielle Zuwendungen an entsprechende Bedingungen knüpfen oder indirekt über den Einsatz seiner soft power die Einrichtung von Schutzverfahren voranbringen. Ein entscheidender Faktor ist dabei die innenpolitische Situation des Hegemons: Wenn dessen Regierung von einer starken Legislative unter Druck gesetzt wird, kann dies den Einsatz für die Einrichtung von Schutzverfahren in der internationalen Organisation stärken.

Die Einführung von Schutzverfahren bei Operationen der Weltbank beruht auf einer proaktiven Politik des Hegemonialstaats USA. Aufgrund der Berichte transnational vernetzter NGOs über negative ökologische und soziale Folgen von Weltbank-Projekten, insbesondere eines Straßenbauprojekts im brasilianischen Amazonas und eines Staudammprojekts in Indien, bestand der US-Kongress bei der Freigabe finanzieller Zuwendungen an die Weltbank auf verbesserte Sozial- und Umweltstandards und die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus. Durch die Legislative unter Druck geraten, drängte der amerikanische Exekutivdirektor der Weltbank gegenüber anderen Mitgliedsstaaten und dem Management auf entsprechende Reformen. Viele Empfängerstaaten, die sich ebenso wie große Teile der Verwaltung zunächst gegen Reformen gesträubt hatten, stimmten schließlich verbesserten Sozial- und Umweltstandards sowie der Einrichtung eines Inspection Panels zu.

Auch innerhalb der NATO trieben die USA gemeinsam mit Norwegen die Einführung von Schutzmaßnahmen im Bereich der Friedensoperationen voran. Berichte über die Verstrickung von US-Truppen in Korea und NATO-Soldaten auf dem Balkan in Menschenhandel veranlassten den US-Kongress, eigene Untersuchungen einzuleiten. Angesichts der Brisanz der Thematik erließ der US-Präsident eine nationale Direktive, die eine Politik der Null-Toleranz hinsichtlich Menschenhandel auf nationaler Ebene sowie im Kontext von militärischen Operationen vorgab. Vor diesem Hintergrund fiel es dem amerikanischen Botschafter bei der NATO leicht, zusammen mit seinem norwegischen Kollegen ähnliche Regeln für die NATO zu initiieren. Anders als im Fall der Weltbank gelang es den beiden Botschaftern auch ohne Ausübung materiellen Drucks, die anderen Mitgliedsstaaten von der Notwendigkeit und der Angemessenheit der Zero Tolerance Policy on Combating Human Trafficking zu überzeugen.


Gerichte als neue Autoritäten

Ein dritter Weg zur Einführung von Schutzmechanismen führt über Gerichte. Immer mehr internationale Gerichte nehmen Klagen von Individuen an, die sich gegen Organisationen oder deren Mitgliedsstaaten richten, die mit einem internationalen Mandat handeln. Angesichts der starken Autorität von Gerichten fällt es internationalen Organisationen schwer, Gerichtsurteile zu ignorieren. Richter werden dadurch zu wichtigen Akteuren. Voraussetzung für eine richterliche Machtentfaltung ist allerdings, dass das verletzte Recht justiziabel, also vor Gericht einklagbar ist. Während die Einklagbarkeit von wirtschaftlichen und sozialen Rechten umstritten ist, werden bürgerliche und politische Rechte als justiziabel anerkannt.

Die Schutzverfahren, die von der EU im Zusammenhang mit gezielten Sanktionen gegen Terrorverdächtige und andere Individuen und Gruppen geschaffen wurden, können zum Großteil auf die Rechtsprechung von nationalen Gerichten und insbesondere des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zurückgeführt werden. Vor allem das EuGH-Urteil im Fall Organisation des Modjahedines du peuple d'Iran (OMPI) v. Rat der EU veranlasste den EU-Ministerrat, die Listungs- und Aufhebungsverfahren zu modifizieren.

Auch die Fortentwicklung von Schutzverfahren innerhalb der UN wurde durch Urteile des EuGH beeinflusst. Ausschlaggebend hierfür war die Rechtsprechung des EuGH im Fall Yassin Abdullah Kadi/Al Barakaat International Foundation v. Rat und Kommission der EU, in der sich das Gericht als kompetent erachtete, über die Implementierung von UN-Sicherheitsratsresolutionen in der EU zu befinden und die Implementierung der Sanktionen gegen Kadi untersagte. In Reaktion darauf verbesserte der UN-Sicherheitsrat seine Verfahren, mit Hilfe derer Individuen und Gruppen auf die Sanktionslisten gesetzt und von ihnen gelöscht werden und legte fest, welche Rechte dabei zu beachten sind.

Die Einrichtung von Verfahren zum Schutz von Menschenrechten durch internationale Organisationen ist zwar ein Resultat gestiegener normativer Erwartungen, mit denen autoritative internationale Organisationen konfrontiert sind. Ob jedoch die jeweiligen Pfade zur Einrichtung von anspruchsvollen, im Sinne von umfassenden, oder einfachen, weniger entwickelten Schutzverfahren führen, hängt von verschiedenen Bedingungen ab. Auch ist mit der Existenz von Verfahren zum Schutz von Menschenrechten noch keine Garantie für deren Respektierung gegeben.

Die Ergebnisse unserer Forschung zeigen, dass die Initiative gleichgesinnter Akteure dann zu anspruchsvollen Schutzverfahren führt, wenn die jeweilige Organisation aufgrund ihrer Identität durch kritische Kampagnen verletzt werden kann und eine Organisationskultur besitzt, die Lernprozessen zuträglich ist. Die Einführung von Schutzmechanismen durch das Engagement einer Hegemonialmacht führt zu anspruchsvollen Verfahren, wenn diese Macht dadurch nicht wesentlich an Souveränität einbüßt. Die Rechtsprechung von Gerichten wiederum erzeugt anspruchsvolle Schutzverfahren, wenn die Urteile von internationalen Gerichten und nicht lediglich von nationalen Gerichten gefällt werden. In den von uns untersuchten Fällen kommt es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu anspruchsvollen Schutzverfahren, wenn sich ein internationales Gericht oder der dominante Mitgliedsstaat der Organisation für solche Verfahren einsetzt. Gleichgesinnte Akteure können in den untersuchten Fällen zumeist lediglich einfache Schutzverfahren erwirken.

Der Trend zur stärkeren Einhegung der gewachsenen Autorität internationaler Organisationen ist jedoch nicht linear; vielmehr gibt es Diskontinuitäten und Brüche. In politischen Aushandlungsprozessen müssen Widerstände innerhalb der Organisation und in den Mitgliedsstaaten überwunden werden. Rückschritte sind dabei in allen Pfaden möglich. Für die Legitimierung von Autorität im Sinne einer Bindung an rule of law-Standards ist es jedoch unerlässlich, qualitativ hochwertige Menschenrechtsschutzverfahren einzuführen und zu festigen.


Am DFG-Forschungsprojekt "Internationale Organisationen und der Schutz fundamentaler Rechte von Individuen", aus dem hier erste Ergebnisse präsentiert werden, arbeiten seit November 2010 am WZB Michael Zürn, Monika Heupel, Gisela Hirschmann und Theresa Reinold.


Gisela Hirschmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Global Governance. Sie befasst sich unter anderem mit Theorien institutionellen Wandels in internationalen Organisationen. In ihrer Dissertation analysiert sie Accountability-Strukturen in multilateralen Friedensoperationen.
gisela.hirschmann@wzb.eu

Monika Heupel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Global Governance. Die promovierte Politikwissenschaftlerin forscht unter anderem über die Internationalisierung des Rule of Law, internationale Sicherheitspolitik und globale Menschenrechtspolitik.
monika.heupel@wzb.eu

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 141, September 2013, Seite 17-20
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2013