Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 30. Oktober 2023
german-foreign-policy.com
Einsatz im östlichen Mittelmeer
Bundeswehr bringt sich mit Blick auf die beginnende israelische Bodenoffensive im östlichen Mittelmeer in Stellung - mit bereits mehr als 1.000 Soldaten, darunter Spezialkräfte von Heer und Marine.
BERLIN/BEIRUT - Die Bundeswehr bringt sich im östlichen Mittelmeer in Stellung und hat vor der beginnenden israelischen Bodenoffensive bereits mehr als 1.000 Soldaten in der Region stationiert. Dabei handelt es sich zum einen um Militärs, die im Rahmen bestehender Einsätze entsandt wurden; so beteiligt sich die Deutsche Marine am UN-Blauhelmeinsatz UNIFIL und stellt dafür unter anderem ein Kriegsschiff bereit, bislang die Korvette Oldenburg, künftig die Fregatte Baden-Württemberg. Darüber hinaus ist der Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main zur Zeit im östlichen Mittelmeer unterwegs; er habe "ein Rettungszentrum an Bord", das "mit einem kleinen Kreiskrankenhaus" vergleichbar sei, heißt es. Zuletzt wurden vor allem Soldaten des Kommandos Spezialkräfte sowie Spezialeinheiten der Deutschen Marine nach Zypern und in den Libanon verlegt. Im Libanon ist die Bundeswehr ohnehin mit Tankflugzeugen präsent, die im Rahmen der Anti-IS-Koalition operieren. Als wahrscheinlichste Maßnahmen gelten Evakuierungsoperationen, vor allem für den Fall, dass an der israelisch-libanesischen Grenze eine zweite Front eskaliert. Auch andere Spezialkräfteeinsätze sind denkbar.
Wie schnell die Bundeswehr im Libanon unter Beschuss zu geraten droht, zeigt ein Vorfall vom 15. Oktober. Er betraf das Hauptquartier des UN-Blauhelmeinsatzes UNIFIL in Naqura an der südlibanesischen Küste. An UNIFIL beteiligt sich seit 2006 auch die Bundeswehr mit dem Ziel, Waffenlieferungen an die Hizbullah zu verhindern und die libanesische Marine auszubilden. In Naqura sind deutsche Militärs stationiert, seit die Deutsche Marine im Jahr 2021 die Führung über die Maritime Task Force (MTF) von UNIFIL übernommen hat. In Naqura schlug laut Einsatzführungskommando der Bundeswehr am Nachmittag des 15. Oktober eine Rakete ein; es kam niemand zu Schaden.[1] Nach einhelliger Einschätzung handelte es sich nicht um einen gezielten Angriff, sondern um einen, natürlich gefährlichen, Irrläufer. Hieß es zunächst, die Besatzung der Korvette Oldenburg sei zum Zeitpunkt des Angriffs im Hauptquartier gewesen und habe sich in Sicherheit bringen müssen, so teilte die Marine später mit, dies treffe nicht zu; die Korvette habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in Naqura aufgehalten.[2] Unabhängig davon hat der Raketeneinschlag das hohe Gefahrenpotenzial auch für die deutschen UNIFIL-Soldaten belegt.
Zur Ablösung der Korvette Oldenburg im UNIFIL-Rahmen ist am 20. Oktober die Fregatte Baden-Württemberg ins östliche Mittelmeer ausgelaufen. Die Oldenburg wird sodann in die Ägäis verlegen und sich der Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG2) anschließen; sie verbleibt also in relativer Nähe zum Kriegsgebiet.[3] Die Fregatte Baden-Württemberg wiederum startet bei UNIFIL ihren ersten Einsatz und zugleich den ersten eines Schiffes der Klasse F125; die vier Fregatten F125 wurden nach jahrelangen Auseinandersetzungen um zum Teil gravierende technische Probleme [4] zwischen 2019 und 2022 in Dienst gestellt. Erste Berichte besagten, die Fregatte werde zunächst nach Limassol in Zypern entsandt, wo ein logistisches Stabselement der Deutschen Marine stationiert ist.[5] Von dort aus solle sie "bis Mitte Januar 2024 den Seeraum östliches Mittelmeer überwachen" sowie "bei der Ausbildung der libanesischen Marine" mithelfen, teilt die Marine mit.[6] Demnach sind auf dem Schiff rund 140 Soldaten im Einsatz; "zur Stammbesatzung der Fregatte", heißt es, kämen "Soldaten der Bordeinsatzkompanie 1 des Seebataillons hinzu". Nach dem Ende des UNIFIL-Einsatzes soll die Fregatte Baden-Württemberg unmittelbar in das "Indo-Pacific Deployment 2024" (IPD24) verlegt, also in den Pazifik entsandt werden.[7]
Bereits jetzt in relativer Nähe zum Kriegsgebiet stationiert ist der Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main. Das Schiff wurde bereits im Juli in die Ägäis verlegt, um sich dort an der NATO-Flüchtlingsabwehr zu beteiligen; Kriegsschiffe aus NATO-Staaten beobachten dort den Seeraum und geben Hinweise auf etwaige Flüchtlingsboote an die griechische und an die türkische Marine weiter. Die Frankfurt am Main soll inzwischen im Hafen von Limassol auf Zypern angekommen sein; sie wird laut Berichten womöglich länger im östlichen Mittelmeer verbleiben, um bei Bedarf für die Evakuierung deutscher Bürger aus der Kriegsregion zur Verfügung zu stehen. Sie hat, wie Marineinspekteur Jan Christian Kaack kürzlich erläuterte, unter anderem "ein Rettungszentrum an Bord", das "mit einem kleinen Kreiskrankenhaus" vergleichbar sei.[8] Kaack wies darauf hin, die Bundeswehr halte jenseits der Schiffsbesatzungen "weiteres Personal mit hoher Einsatzbereitschaft in der Hinterhand"; schließlich müsse man sich "auf alle Eventualitäten vorbereiten". Welche dies sein könnten - insbesondere im Fall einer weiteren Kriegseskalation über den Gazastreifen hinaus -, das erläuterte Kaack nicht.
Insgesamt hat die Bundeswehr mittlerweile laut Berichten mehr als 1.000 Soldaten in die Region entsandt. Eine überwiegende Mehrheit von ihnen sei auf Zypern stationiert; dort sei ein Planungs- und Führungsstab für einen etwaigen Evakuierungseinsatz eingerichtet worden, heißt es.[9] Auf Zypern befinden sich unter anderem auch Spezialkräfte der Deutschen Marine (KSM). Beobachtern zufolge landeten dort unlängst mehrere Militärtransporter des Typs A400M [10]; die Tatsache, dass diese unter anderem vom Flughafen Köln-Wahn starteten, hat Vermutungen ausgelöst, es könnten auch Einheiten der Bundespolizeitruppe GSG9 entsandt werden. Dafür spricht zudem, dass in der Bundeswehr hieß, man arbeite auch mit "Kräften anderer Ressorts" zusammen.[11] Angehörige des Kommandos Spezialkräfte (KSK) wurden Berichten zufolge nach Jordanien verlegt. Auf der dortigen Luftwaffenbasis Al Azrak sind ohnehin deutsche Tankflugzeuge stationiert, die im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition ("Counter Daesh") eingesetzt werden.
Als vorrangige Einsatzoption gelten zur Zeit mögliche Evakuierungsoperationen. In Israel halten sich laut dem Auswärtigen Amt noch rund 2.700 deutsche Staatsbürger auf, die unter Umständen evakuiert werden müssten; in den Palästinensergebieten - dem Gazastreifen und dem Westjordanland - seien es rund 490, im Libanon hielten sich noch etwa 1.100 Deutsche auf, heißt es.[12] Als "Drehscheibe" für etwaige Evakuierungen gilt Zypern; dorthin haben mittlerweile auch die niederländischen Streitkräfte Soldaten geschickt.[13] Nicht zuletzt haben auch die britischen Streitkräfte ihre Aktivitäten auf ihren zyprischen Stützpunkten Akrotiri und Dhekelia verstärkt; diese gehören seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft als "Überseegebiete" zu Großbritannien, genauso wie die Falkland-Inseln oder die Chagos-Inseln im Indischen Ozean mit dem wichtigen US-Militärstützpunkt Diego Garcia. Auf dem britischen Militärstützpunkt Akrotiri sind zuletzt auch A400M-Flugzeuge der Bundeswehr gelandet. Deutsche Militärtransporter trafen bereits Mitte Oktober auch in Tel Aviv ein, wo sie offenkundig militärische Güter an israelische Stellen übergaben. Sie hätten "Dinge mitgebracht", heißt es lediglich, "über die keine öffentliche Auskunft gegeben wurde".[14]
[1] Bundeswehr gerät im Libanon zwischen die Fronten. spiegel.de
15.10.2023.
S. dazu Waffen für Israel.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9373
[2] Daniel Heidmann: Waren Soldaten aus MV in Gefahr? Marine widerspricht Berichten über Korvette "Oldenburg". ostsee-zeitung.de 20.10.2023.
[3] Fregatte Baden-Württemberg verlegt Richtung Libanon. esut.de 20.10.2023.
[4] S. dazu Vom Ende der "Seeblindheit".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7830
[5] UNIFIL: Deutschland übernimmt die Maritime Task Force. bundeswehr.de 15.01.2021.
[6] Erster Einsatz: "Baden-Württemberg" verlegt ins Mittelmeer. bundeswehr.de 20.10.2023.
[7] Fregatte Baden-Württemberg verlegt Richtung Libanon. esut.de 20.10.2023.
[8] Frank Specht, Martin Murphy: Marineinspekteur Kaack: "Wir sind bereit, Munition an Israel zu liefern". handelsblatt.com 23.10.2023.
[9] Mehr als 1000 Bundeswehrsoldaten in Nahen Osten verlegt. n-tv.de 28.10.2023.
[10] Thomas Wiegold: Mögliche Evakuierungsmission in Nahost: Bundeswehr verlegt Soldaten (m. Nachtrag). augengeradeaus.net 21.10.2023.
[11] Spezialisierte Kräfte bereit. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.10.2023.
[12] Mehr als 1000 Bundeswehrsoldaten in Nahen Osten verlegt. n-tv.de 28.10.2023.
[13] Zypern bereitet sich auf mögliche Evakuierungen aus Nahost vor. dbwv.de 26.10.2023.
[14] Spezialisierte Kräfte bereit. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.10.2023.
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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. Oktober 2023
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