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MILITÄR/810: Fragen und Antworten zur Operation Atalanta (BMVg)


Bundesministerium der Verteidigung - Pressemitteilung vom 21.01.09

Fragen und Antworten zur Operation Atalanta

Im Rahmen der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik startete die EU im Dezember 2008 die Anti-Piraterie-Mission Atalanta. Deutschland beteiligt sich daran mit bis zu 1.400 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Antworten auf die Fragen rund um die Mission.



Was sind die Rechtsgrundlagen für die Teilnahme deutscher Streitkräfte an der Operation Atalanta?
Was sind die konkreten Ziele der Operation Atalanta?
Welche Aufgaben soll Atalanta im Seegebiet vor der somalischen Küste wahrnehmen?
Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Schiffe Anspruch auf Geleitschutz haben?
In welchen Fällen dürfen deutsche Streitkräfte Gewalt anwenden?
Dürfen Streitkräfte an Bord von verdächtigen Schiffen gehen?
Wie werden Akte der Piraterie verhindert oder beendigt?
Dürfen Schiffe außerhalb des Operationsgebietes verfolgt werden?
Sind Operationen an Land zulässig?
Wie plant die Bundeswehr den Umgang mit mutmaßlichen Piraten?
Gibt es Bestrebungen, für Gerichtsverfahren in Fällen von Piraterie ein eigenes Gericht der Vereinten Nationen (VN) einzurichten?
Welche Dauer ist von Seiten der Europäischen Union für die Operation Atalanta geplant, welche Dauer für die deutsche Beteiligung?
Gibt es angesichts des Einsatzgebietes der Operation Enduring Freedom und dem Einsatzgebiet von Atalanta Pläne, die beiden Einsätze zu bündeln?
Mit welchen Kräften beteiligt sich Deutschland an der Operation?
Wie errechnet sich die im Mandat festgelegte Obergrenze von 1.400?
Welche Haushalts-Mittel werden für die Beteiligung der Bundeswehr veranschlagt?

Was sind die Rechtsgrundlagen für die Teilnahme deutscher Streitkräfte an der Operation Atalanta?

Völkerrechtliche Grundlagen des Einsatzes im Operationsgebiet ist auf der Hohen See das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) aus dem Jahr 1982. Für die Bekämpfung der Piraterie auch innerhalb der Territorialgewässer Somalias sind die völkerrechtlichen Grundlagen des Einsatzes die Resolutionen des Sicherheitsrats 1814 (2008), 1816 (2008) sowie die Resolution 1838 (2008) und 1846 (2008).
Soweit der Auftrag der Pirateriebekämpfung in Drittstaaten erfüllt werden soll, zum Beispiel in der Eskortierung von Schiffen des Welternährungsprogramms (WEP) beginnend in Kenia, geschieht dies mit Zustimmung dieser Staaten.


Was sind die konkreten Ziele der Operation Atalanta?

Im Einklang mit der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1846 (2008) wird die Europäische Union die militärische Operation Atalanta als Beitrag zur Abschreckung, Verhütung und Bekämpfung seeräuberischer Handlungen und bewaffneter Raubüberfälle in einer 500 Seemeilen tiefen Zone vor der Küste Somalias durchführen. Der Schutz der zivilen Schiffe am Horn von Afrika erfolgt mit erster Priorität für Schiffe des Welternährungsprogramms (WEP), mit zweiter Priorität für andere Schiffe mit Ladung für humanitäre Zwecke, mit dritter Priorität für Schiffe unter EU-Flagge und mit vierter Priorität für sonstige schutzbedürftige Schiffe. Das Ziel ist der humanitäre Zugang nach Somalia über See und eine signifikante Reduzierung der Piraterietätigkeit in diesem Seegebiet.

Es ist grundsätzlich zu erwarten, dass durch die anhaltende und sichtbare Präsenz der Kriegsschiffe und ihre abschreckende Wirkung auf Seeräuber der Schutz für alle zivilen Schiffe verbessert wird. Dazu werden die Küstengebiete Somalias und Kenias überwacht, um Bedrohungen frühzeitig aufklären zu können.


Welche Aufgaben soll Atalanta im Seegebiet vor der somalischen Küste wahrnehmen?

Für die Bundeswehr ergeben sich im Rahmen der EU-geführten Operation Atalanta insbesondere folgende Aufgaben:

Gewährung von Schutz für die Schiffe des Welternährungsprogramms unter anderem durch die Präsenz von bewaffneten Kräften an Bord dieser Schiffe, insbesondere wenn sie die Hoheitsgewässer Somalias durchqueren;
im Einzelfall und bei Bedarf Schutz von zivilen Schiffen im Operationsgebiet;
Überwachung der Gebiete vor der Küste Somalias, einschließlich der somalischen Hoheitsgewässer, die Gefahren für maritime Tätigkeiten, insbesondere des Seeverkehrs, in sich bergen;
Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen, die im Operationsgebiet begangen werden könnten;
Aufgreifen, Festhalten und Überstellen von Personen, die in Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen zu haben sowie Beschlagnahme der Seeräuberschiffe, der Ausrüstung und der erbeuteten Güter. Diese Maßnahmen erfolgen mit Hinblick auf die eventuelle Strafverfolgung durch Deutschland, andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder aufnahmebereite und zur Strafverfolgung bereite Drittstaaten;
Herstellung einer Verbindung zu den Organisationen und Einrichtungen sowie zu den Staaten, die in der Region zur Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias tätig sind, insbesondere zu der im Rahmen der Operation Enduring Freedom agierenden Seestreitkraft "Combined Task Force 150".
Das Mandat ermächtigt die beteiligten Schiffsbesatzungen, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um den Auftrag zu erfüllen. Die Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung und zur Nothilfe bleibt davon unberührt.

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Schiffe Anspruch auf Geleitschutz haben?

Die Schutzbedürftigkeit wird zwischen dem Operativen Hauptquartier Northwood, der britischen Seehandelsorganistaion (UKMTO) in Dubai, der Internationalen Seefahrtsbehörde IMB in Kuala Lumpur und dem Maritimen Sicherheitszentrum am Horn von Afrika (MSC-HOA) bewertet und abgestimmt. Die Entscheidung liegt beim Operativen Kommandeur vor Ort.


In welchen Fällen dürfen deutsche Streitkräfte Gewalt anwenden?

Bei der Erfüllung der Aufgaben aus der Gemeinsamen Aktion der Europäischen Union steht der Schutzcharakter der Operation grundsätzlich im Vordergrund. Die Einsatzregeln (Rules of Engagement) sehen zur Umsetzung der Aufgaben und Befugnisse der Gemeinsamen Aktion allerdings auch die Anwendung verhältnismäßiger Gewalt vor. Insofern ist Atalanta ein robustes Mandat.


Dürfen Streitkräfte an Bord von verdächtigen Schiffen gehen?

Nach der Gemeinsamen Aktion der Europäischen Union ist das Anbordgehen auf Schiffe - auch gegen den zu erwartenden Widerstand der Besatzung - im Rahmen des sogenannten Boarding vorgesehen. Die Unterstellung der nationalen Spezialkräfte unter das EU-Mandat zur Unterstützung einer solchen Maßnahme eines anderen Staates ist grundsätzlich möglich.


Wie werden Akte der Piraterie verhindert oder beendigt?

Zur Verhinderung beziehungsweise Beendigung eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs ist die Anwendung von verhältnismäßiger Gewalt vorgesehen. Dies kann auch das Beschießen eines Piratenschiffes bedeuten. Der Auftrag sieht vor, mutmaßliche Piratenschiffe mit Gewalt zu stoppen, Schiffe und Güter an Bord zu beschlagnahmen und mutmaßliche Piraten in Gewahrsam zu nehmen. Piratenschiffe können mit Gewalt bewegungsunfähig gemacht und gegebenenfalls im Rahmen der Selbstverteidigung und des Eigenschutzes sowie aus seeverkehrstechnischen Gründen (zum Beispiel unbemanntes, treibendes Schiff nach Festnahme der Besatzung) versenkt werden.


Dürfen Schiffe außerhalb des Operationsgebietes verfolgt werden?

Deutschen Streitkräften erwachsen außerhalb des Operationsgebietes grundsätzlich keine Befugnisse zur aktiven Bekämpfung der Piraterie.



Sind Operationen an Land zulässig?

Die Verfolgung von Piraterieakten an Land ist nicht vorgesehen. Dies schließt das Verbot der Verfolgung flüchtiger Piraten an Land mit ein.


Wie plant die Bundeswehr den Umgang mit mutmaßlichen Piraten?

Die Gemeinsame Aktion der Europäischen Union vom 10. November 2008, der die Operation Atalanta zugrunde liegt, enthält unter anderem die Befugnis, Personen festzusetzen, die im Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen begangen zu haben und der Strafverfolgung zuzuführen. Die Bundesregierung sieht jedoch die Festnahme von piraterieverdächtigen Personen nicht als primäres Ziel der Operation. Das Schwergewicht liegt vielmehr auf der Verhütung seeräuberischer Handlungen.

Die beteiligten Bundesministerien der Verteidigung, des Inneren, der Justiz und das Auswärtige Amt haben sich auf ein gemeinsames Verfahren verständigt: Hat die Bundeswehr Personen festgesetzt, die im Verdacht stehen, seeräuberischer Handlungen begangen zu haben, werden diese entweder (1) der deutschen Strafverfolgung zugeführt oder (2) an einen Staat übergeben, der sein Strafverfolgungsinteresse angemeldet hat oder (3) wieder freigesetzt.


Gibt es Bestrebungen, für Gerichtsverfahren in Fällen von Piraterie ein eigenes Gericht der Vereinten Nationen (VN) einzurichten?

Die Bundesregierung hat bei Partnernationen in der Europäischen Union und bei den Vereinten Nationen für die Idee einer internationalen Gerichtsbarkeit für Piraten geworben. Auch eine regionale Konstruktion hätte Vorteile, insbesondere den einer Stärkung der afrikanischen Eigenverantwortung bei der strafrechtlichen Ahndung der Piraterie. Ob sich hierfür ein ausreichend breiter Konsens bilden läßt, bleibt abzuwarten. Die Bundesregierung wird dieses Projekt weiterverfolgen.


Welche Dauer ist von Seiten der Europäischen Union für die Operation Atalanta geplant, welche Dauer für die deutsche Beteiligung?

Die Dauer der Operation beträgt ein Jahr, gerechnet ab der "Anfänglichen Einsatzbereitschaft". Die deutsche Beteiligung erfolgt über die gesamte Länge der Operation, also ebenfalls ein Jahr.


Gibt es angesichts des Einsatzgebietes der Operation Enduring Freedom und dem Einsatzgebiet von Atalanta Pläne, die beiden Einsätze zu bündeln?

Die Größe des Seegebietes, die Intensität der Piraterie und des Schiffverkehrs in der Region lassen nur einen kooperativen Ansatz erfolgversprechend erscheinen. So nahm bis zum 12. Dezember 2008 ein Teil des Ständigen Maritimen NATO-Eingreifverbandes (SNMG 2) den Schutz von Schiffen des Welternährungsprogramms bis zur Anfänglichen Einsatzbereitschaft der Operation Atalanta wahr.
Darüber hinaus befinden sich Einheiten der "Task Force 150" der US-amerikanisch geführten Operation Enduring Freedom (OEF) in diesem Seegebiet. Deutschland ist hier mit einer Einheit beteiligt.

Zur Erleichterung der Koordination und zum gegenseitigen Lagebildabgleich ist ein Verbindungselement der Operation Atalanta im maritimen Hauptquartier der Operation Enduring Freedom in Bahrein eingerichtet. Eine Verschmelzung der Aktivitäten in der Region wird aufgrund der unterschiedlichen sonstigen Aufgaben der einzelnen Verbände, der national unterschiedlichen Einsatzverpflichtungen und - regeln sowie der variierenden zeitlichen Verfügbarkeit von Schiffen als nicht zielführend erachtet.


Mit welchen Kräften beteiligt sich Deutschland an der Operation?

Deutschland beteiligt sich an dem Einsatz mit einer Fregatte mit Bordhubschrauberkomponente und mobilem Schutz-Team (Vessel Protection Detachment) über die gesamte Länge der Operation. Im Falle von piraterieverdächtigen Zwischenfällen sollen auch deutsche Kräfte aus der Operation Enduring Freedom oder aus Vorhaben der Ständigen Einsatzverbände der NATO bei Bedarf und Verfügbarkeit herangezogen werden können. Es ist in diesen Fällen beabsichtigt, die Kräfte aus ihrem bisherigen Unterstellungsverhältnis herauszulösen und zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben, zeitlich befristet, dem Befehlshaber der Operation Atalanta zu unterstellen. Nach Erfüllung des Auftrages beziehungsweise Ablauf der Frist werden die Einheiten aus Atalanta wieder herausgelöst und in ihr ursprüngliches Unterstellungsverhältnis überführt.


Wie errechnet sich die im Mandat festgelegte Obergrenze von 1.400?

Die im Mandat festgelegte Obergrenze soll geeignet sein, auch während der Kontingentwechsel und bei einzelfallweiser Unterstellung sonstiger im Seegebiet vorhandener deutscher Kräfte temporär auftretende Beteiligungsspitzen abzudecken. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Einheiten der Operation Enduring Freedom oder der sich auf der Passage durch das Seegebiet befindenden Standing NATO Maritime Group (SNMG) zur Unterstützung Atalanta unterstellt werden. Das Mandat muss die maximal mögliche Häufung deutscher Kräfte als Obergrenze ermöglichen.


Welche Haushalts-Mittel werden für die Beteiligung der Bundeswehr veranschlagt?

Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta für die Dauer von 12 Monaten mit bis zu 1.400 Soldatinnen und Soldaten betragen im Haushaltsjahr 2008 bis zu 1,9 Millionen Euro und im Haushaltsjahr 2009 bis zu 43,1 Millionen Euro.

Die Finanzierung der einsatzbedingten Zusatzausgaben im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) wird sowohl im Haushaltsjahr 2008 als auch im Haushaltsjahr 2009 im Haushaltsvollzug sichergestellt. Im Zusammenhang mit der Ermittlung der einsatzbedingten Zusatzausgaben sind sowohl die nationalen Mehrausgaben als auch die im Rahmen der militärischen ESVP-Operation gemeinsam zu finanzierenden Ausgaben zu berücksichtigen.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 21.01.2009
Bundesministerium der Verteidigung
Leiter des Presse- und Informationsstabes
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E-Mail: presse.bmvg@bundeswehr.de
Internet: www.bundeswehr.de und www.bmvg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2009