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MILITÄR/823: Planung von Atombombeneinsätzen gegen ostdeutsche Städte (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Hat die Bundesregierung noch 1986 an der Planung von Atombombeneinsätzen gegen Dresden und andere ostdeutsche Städte mitgewirkt?

Pressemitteilung vom 17.07.2009


"Ich bin wahrscheinlich der Einzige hier im Saal, der Atomkriegs-Erfahrungen hat". Er hoffe, dass er mit diesem Eingeständnis kein Staatsgeheimnis verrate.

Diese Enthüllung machte der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer, während einer von der Juristenvereinigung IALANA und zahlreichen weiteren Organisationen (darunter die "Neue Richtervereinigung" sowie die "RichterInnen und StaatsanwältInnen in der Gewerkschaft Ver.di") veranstalteten Tagung "Frieden durch Recht?", die am 26./27. Juni 2008

in der Berliner Humboldt-Universität stattfand. MdB Wimmer bezog sich dabei auf seine Teilnahme als "Verteidigungsminister Üb" an der NATO-Übung WINTEX/FALLEX im Jahre 1986 im damaligen Atombunker ("Diensstelle Marienthal") der Bundesregierung tief unterhalb der Weinberge nahe dem rheinland-pfälzischen Ahrweiler-Bad Neuenahr. Wie Wimmer weiter erklärte, habe im Verlaufe dieser NATO-Übung das NATO-Hauptquartier in Brüssel um Zustimmung der zuständigen deutschen Stellen zu einem Einsatz von Nuklearwaffen gegen Ziele in der damaligen DDR ersucht, u.a. gegen Dresden und eine weitere ostdeutsche Großstadt. Er, Wimmer, sei von dieser Anforderung völlig überrascht worden und sei entsetzt gewesen. Er habe es abgelehnt, an der Planung eines Atomwaffeneinsatzes auf Ziele in Ostdeutschland und damit gegen die ostdeutsche Bevölkerung - wenn auch "nur" übungsweise - mitzuwirken. In dieser Situation habe er sofort Kontakt mit dem damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) aufgenommen und ihn von diesem für ihn unerhörten Vorgang in Kenntnis gesetzt. Bundeskanzler Kohl habe daraufhin entschieden, dass sich die Vertreter der Bundesregierung sofort aus der weiteren Übung zurückziehen und sich keinesfalls an diesen nuklearen Planspielen gegen Ziele wie Dresden und andere ostdeutsche Städte beteiligen sollten. Deutschland habe, so Wimmer, deshalb seine weitere Mitwirkung an dieser NATO-Übung - vier Tage vor ihrem Ende - eingestellt. Die Übung sei dann - ohne deutsche Beteiligung - fortgesetzt worden. Niemand habe davon etwas in der Öffentlichkeit erfahren. In den Folgejahren habe es weitere WINTEX/FALLEX-Manöver der NATO gegeben, die im Regierungsbunker bei Ahrweiler stattgefunden hätten. Erst nach dem Fall der "Berliner Mauer" seien diese 1990 endgültig eingestellt worden.

IALANA begrüßt diese Enthüllung des CDU-Bundstagsabgeordneten Willy Wimmer. Solche Offenbarungen von Insidern seien in der Militär- und Sicherheitspolitik von besonderer Bedeutung. Dadurch wird die Bevölkerung in die Lage versetzt, skandalöse Vorgänge dieser Art kritisch zu diskutieren, auch um daraus Schlussfolgerungen für ihre Wahlentscheidungen ziehen. Im Bereich der NATO-Nuklearpolitik ist dies besonders wichtig, weil die deutsche Bundesregierung - trotz des von Deutschland in Art. II des Atomwaffensperrvertrages und im sog. Zwei-Plus-Vier-Vertrag völkerrechtlich verbindlich erklärten Verzichts auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen - - weiterhin auf seiner "nuklearen Teilhabe" im Rahmen der NATO beharrt. Zur "nuklearen Teilhabe" gehört insbesondere,

(1) dass Deutschland nach wie vor in der "Nuklearen Planungsgruppe" der NATO mitwirkt,

(2) dass in geheimgehaltenen Bunkern in Deutschland nach wie vor eine unbekannte Anzahl Atomwaffen mit einer vielfachen Zerstörungskraft der in Hiroshima und Nagasaki eingesetzten Nuklearwaffen gelagert werden, die im Spannungs- oder Kriegsfall von den US-Streitkräften auch deutschen Einsatzkräften der Bundeswehr für den Abwurf auf feindliche Ziele entgegen den Regelungen des Atomwaffensperrvertrages zur Verfügung gestellt würden und

(3) dass die Bundeswehr nach wie vor Atomwaffenträger in Gestalt der Tornado-Flugzeuge bereithält und regelmäßig mit einem im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten Luftwaffenverband Atomwaffeneinsätze übt.

IALANA fordert die Bundesregierung auf, endlich gegenüber der US-Regierung und den zuständigen NATO-Stellen darauf hinzuwirken, dass alle Atomwaffen aus Deutschland und den anderen Nicht-Atomwaffenstaaten abgezogen und dass alle Übungen der Bundeswehr - sei es in Büchel oder anderswo - von Atomwaffeneinsätzen (z.B. mit den Tornados der Bundesluftwaffe) sofort eingestellt werden.

Ferner muss die NATO-Nuklearstrategie grundlegend verändert werden, um den völkerrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996 ergeben, wonach

der Einsatz und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrig ist und
alle Mitgliedsstaaten des Atomwaffensperrvertrages nach dessen Art. VI völkerrechtlich verpflichtet sind, unverzüglich Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung aufzunehmen und zu einem positiven Abschluss zu bringen. Eine - u.a. von Experten der IALANA - ausgearbeiteten Modellentwurf einer Nuklearwaffen-Konvention hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon allen UN-Mitgliedsstaaten zugesandt.

IALANA erwartet von der Bundesregierung, insbesondere von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, dass sie umgehend entsprechende Initiativen aufnimmt, zumal der neue US-Präsident Barack Obama in seiner Rede in Prag sich für eine vollständige Abschaffung aller Nuklearwaffen ausgesprochen habe.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 17. Juli 2009
IALANA Geschäftsstelle, Schützenstr. 6a , 10117 Berlin
Tel. (030) 20 65-48 57, Fax (030) 20 65-48 58
E-Mail: info@ialana.de
Internet: www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2009