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MILITÄR/942: Unter deutschem Kommando (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 15. Februar 2017
german-foreign-policy.com

Unter deutschem Kommando


BERLIN - Die Bundeswehr kündigt die Unterstellung einer tschechischen und einer rumänischen Brigade unter ihr Kommando an. Eine entsprechende Vereinbarung soll am heutigen Mittwoch am Rande des NATO-Verteidigungsministertreffens unterzeichnet werden. Das Vorhaben soll zur Verschmelzung der Streitkräfte Europas unter deutscher Führung beitragen und ihnen und der Bundeswehr damit zu größerer Schlagkraft verhelfen. Es schließt an ein deutsch-niederländisches Pilotprojekt an, das mittlerweile zur Unterstellung von ungefähr zwei Drittel der niederländischen Heeresverbände unter deutsches Kommando geführt hat. Gegenwärtig ist von einer Stärkung des "europäischen Pfeilers" der NATO die Rede; doch ist die Kooperation flexibel, und in der Vergangenheit wurde sie bereits als Kern einer quasi schrittweise aufzubauenden EU-Armee eingestuft. Auf eine Verschmelzung auch der europäischen Rüstungsindustrie zielt zudem ein deutsch-norwegisches Pilotprojekt im Marinebereich. Berliner Außenpolitikexperten raten, bei alledem die Einstimmung der Bevölkerung auf Rüstung und Krieg nicht zu kurz kommen zu lassen.

Europäischer Lufttransport

Mit der Verschmelzung einzelner europäischer Streitkräfte - nach Möglichkeit unter deutschem Kommando - hat die Bundesregierung bereits vor einigen Jahren begonnen. Ursache war, dass der unmittelbare Aufbau einer EU-Armee keine Fortschritte machte: Einige EU-Staaten, insbesondere Großbritannien, waren nicht bereit, ihre Streitkräfte fremdem Kommando zu unterstellen - dies umso mehr, als die deutsche Dominanz in der Union immer offenkundiger wurde und Berlin auch die Gemeinsame Außen- und Militärpolitik nach deutschen Interessen prägte. Zudem stellte sich heraus, dass das Modell der ab Januar 2007 voll einsatzbereiten EU-Battlegroups scheiterte: Bis heute sind die Einheiten - wegen innereuropäischer Rivalitäten, nicht zuletzt derjenigen zwischen Deutschland und Frankreich - kein einziges Mal im Einsatz gewesen. Als Erfolg konnte lange Zeit nur die Einrichtung des Europäischen Lufttransportkommandos (European Air Transport Command, EATC) gelten, das am 1. September 2010 im niederländischen Eindhoven in Dienst gestellt wurde.[1] Am EATC beteiligen sich mittlerweile Deutschland und Frankreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg sowie Italien und Spanien. Es umfasst laut eigenen Angaben rund 60 Prozent der gesamten europäischen Lufttransportkapazitäten und soll bislang im Rahmen von 47.000 "Missionen" rund 100.000 Tonnen Fracht sowie mehr als 1,7 Millionen Passagiere befördert haben, darunter mehr als 520.000 Fallschirmjäger und über 6.000 Verletzte.

Deutsch-niederländisches Pilotprojekt

Wegen der Hemmnisse beim Aufbau der EU-Armee hat Berlin im Jahr 2013 begonnen, neue Wege zu beschreiten. Pilotprojekt ist der umfassende Ausbau der deutsch-niederländischen Militärkooperation gewesen, die der damalige Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière und seine niederländische Amtskollegin Jeanine Hennis-Plasschaert mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung am 28. Mai 2013 auf den Weg brachten. Sie sah - aufbauend auf das am 30. August 1995 in Münster in Dienst gestellte Deutsch-Niederländische Korps und auf den daran anknüpfenden vorsichtigen Ausbau gemeinsamer Militärstrukturen - eine weitreichende Ausdehnung der Zusammenarbeit vor. Insbesondere sollte eine komplette niederländische Brigade der deutschen Division Schnelle Kräfte unterstellt werden.[2] Das Projekt ist erfolgreich verlaufen: Inzwischen stehen zwei Drittel der niederländischen Heeresverbände unter deutschem Kommando; das Seebataillon der deutschen Marine benutzt ein niederländisches Kriegsschiff - die Verzahnung der Streitkräfte schreitet ungebrochen voran. Ähnliche Vereinbarungen hat die Bundeswehr auch mit Polen getroffen; doch sperrt sich die polnische Seite noch gegen eine umgehende Realisierung: Die Vorhaben würden, so wird berichtet, "von der aktuellen polnischen Regierung eher im stillen weiterverfolgt".[3]

Der Bundeswehr unterstellt

Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung - parallel zu ihren Bemühungen, die EU auf eine neue Militarisierungsrunde festzulegen [4] - nun die Einbindung von Teilen der tschechischen und der rumänischen Streitkräfte in die Bundeswehr vorangetrieben. Im März 2016 wurde bekannt, dass Berlin und Prag "bereits seit Monaten" über die Integration einer tschechischen Brigade in eine deutsche Division verhandelten.[5] Im Juni hieß es dann bei der Bundeswehr, man bereite eine förmliche Übereinkunft über die künftige Kooperation vor. Für diesen Mittwoch ist nun am Rande des NATO-Verteidigungsministertreffens die Unterzeichnung einer Absichtserklärung angekündigt, in der die Einbindung der 4. Schnellen Eingreifbrigade der tschechischen Armee in die 10. Panzerdivision der Bundeswehr in Veitshöchheim bei Würzburg beschlossen werden soll.[6] Gleichzeitig wird die deutsche Verteidigungsministerin eine weitere Absichtserklärung unterzeichnen, die dasselbe Konzept auf die Streitkräfte Rumäniens anwendet und deren 81. Mechanisierte Brigade der deutschen Division Schnelle Kräfte zuordnet; darüber wurde beim Besuch des Bukarester Verteidigungsministers im Oktober in Berlin verhandelt. Offiziell heißt es, all dies geschehe, um den "europäischen Pfeiler" der NATO zu stärken. Faktisch ist die Kooperation in jedem denkbaren Rahmen möglich.

Effizienter Rüstung produzieren

Zusätzlich zur Anbindung fremder Streitkräfte an die Bundeswehr dringen Strategen seit geraumer Zeit auf eine weitere Verschmelzung der europäischen Rüstungsindustrie - nach dem Modell der Militärsparte des Airbus-Konzerns. Nur durch Zusammenlegung der Entwicklungs- und der Produktionskapazitäten könne man in der Waffenherstellung eine Effizienz erreichen, die genüge, um militärisch mit den Weltmächten gleichzuziehen, heißt es; die relative militärische Schwäche der europäischen Staaten etwa gegenüber den USA sei nicht zuletzt die Folge der Zersplitterung ihrer Rüstungsindustrie. Der soeben publizierte Munich Security Report 2017 konstatiert, die europäischen Streitkräfte leisteten sich etwa immer noch 17 verschiedene Kampfpanzermodelle, während die US-Industrie sich auf ein einziges konzentriere; 27 europäischen Haubitzentypen stünden nur zwei US-amerikanische gegenüber, 20 verschiedenen europäischen Kampffliegern sechs US-Modelle und 20 europäischen Torpedos vier US-Typen. Dies müsse sich umgehend ändern.[7] Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat erst kürzlich insistiert, die EU-Staaten sollten in puncto Rüstung nun endlich "nicht mehr nebeneinander, sondern miteinander forschen und investieren".[8]

Stärken zusammenführen

Eine entsprechende Initiative hat Berlin nun in Kooperation mit Norwegen gestartet. Vor allem die Marinen beider Staaten arbeiten seit Jahren eng zusammen. Am 14. September 2016 hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nun mit ihrer norwegischen Amtskollegin Ine Eriksen Søreide weitere Kooperationen angebahnt, die ein rüstungsindustriell-militärisches Gesamtpaket umfassen: So kauft Norwegen vier U-Boote bei Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS), was zur Grundauslastung der deutschen Werft für die kommenden Jahre beiträgt - und zudem gemeinsame militärische Operationen der deutschen und der norwegischen Marine vereinfacht. Ergänzend werden Unternehmen beider Länder gemeinsam neue Seezielflugkörper herstellen; dabei verfüge die norwegische Industrie über "eine anerkannte Expertise", die man in Kooperation weiterentwickeln wolle, erläutert das Bundesverteidigungsministerium.[9] Künftig werde man auch bei "Wartung, Ausbildung und Logistik" zusammenarbeiten sowie "die jeweiligen technologischen und militärischen Stärken bestmöglich zusammen[führen]"; dies sei ein "Teil der langfristigen Zusammenarbeit beider Länder". Das NATO-Mitglied Norwegen gehört der EU nicht an, hat aber - etwa durch seine Beteiligung an der Nordic Battlegroup der EU - bewiesen, dass es durchaus zur militärischen Kooperation mit der Union bereit ist.

Krieg führen

Berliner Experten dringen nicht nur auf einen raschen Ausbau der europäischen Militär- und Rüstungskooperation. Es sei "klar, dass wir versuchen müssen, Russland abzuschrecken", äußert etwa Svenja Sinjen von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP): "Wir müssen in der Lage sein, einen entsprechenden Krieg führen zu können". Ergänzend sagt Sinjen: "Der Bevölkerung die Notwendigkeit einer Aufrüstung zu erklären, halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Führung der nächsten Zeit."[10]


Anmerkungen:

[1] S. dazu Effizientere Kriege.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57884

[2] S. dazu Unter deutschem Kommando,
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58614
Der deutsche Weg zur EU-Armee (III)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58984
und Der deutsche Weg zur EU-Armee (V).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59275

[3] Johannes Leithäuser: Gemeinsam stark. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.02.2017.

[4] S. dazu Die Europäische Kriegsunion,
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59398
Strategische Autonomie
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59439
und Die Europäische Kriegsunion (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59505

[5] Thorsten Jungholt: Die Bundeswehr wird zum Labor für eine EU-Armee.
www.welt.de 17.03.2016.

[6] Johannes Leithäuser: Gemeinsam stark. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.02.2017.

[7] Post-Truth, Post-West, Post-Order? Munich Security Report 2017.

[8] Juncker fordert mehr Zusammenarbeit bei EU-Rüstungsprojekten.
www.euractiv.de 30.01.2017.

[9] Deutschland und Norwegen wollen neben Ubooten auch bei Seezielflugkörpern zusammenarbeiten.
www.bmvg.de 13.02.2017.

[10] Julian Rohrer: Experte fordert Aufrüstung: "Müssen deutsche Rüstungsmaschine anwerfen".
www.focus.de 07.02.2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2017

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