Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 12. Oktober 2023
german-foreign-policy.com
NATO weltweit
NATO bemüht sich um globale Ausdehnung ihrer Kooperationsstrukturen und will enger unter anderem mit Jordanien, Indonesien und Indien kooperieren - zusätzlich zur Stärkung ihrer Asien-Pazifik-Präsenz.
BRÜSSEL/AMMAN/JAKARTA/NEW DELHI - Die NATO sucht ihre Bündnisstrukturen global auszudehnen und bemüht sich um eine intensive Kooperation unter anderem mit Jordanien, Indonesien und Indien. Am gestrigen Mittwoch fand am Rande des NATO-Außenministertreffens in Brüssel ein "NATO-Indonesien-Treffen" statt; es knüpfte an Gespräche der indonesischen Außenministerin Retno Marsudi mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Mitte Juni 2022 an. Vergangene Woche hielt sich ein hochrangiger NATO-Funktionär in der jordanischen Hauptstadt Amman auf, um dort für die Einrichtung eines NATO-Verbindungsbüros zu werben. Erst im Juni hatte ein auf China fokussierter Ausschuss des US-Repräsentantenhauses dafür geworben, Indien enger an die NATO zu binden. Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar wies den Vorstoß allerdings rasch zurück. NATO-Diplomaten werden mit der Aussage zitiert, man könne sich eine Zusammenarbeit des westlichen Militärbündnisses etwa auch mit Südafrika oder Brasilien vorstellen. Die Pläne verschärfen den Machtkampf des Westens gegen Russland und China. Zugleich dehnen nichtwestliche Bündnisse wie die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) ihre Mitgliedschaft aus.
Die NATO ist seit einiger Zeit bestrebt, ihre Bündnisstrukturen in die Asien-Pazifik-Region hinein auszudehnen. So intensiviert sie etwa die Kooperation mit Japan; zu Jahresbeginn hielt sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Tokio auf, um mit Ministerpräsident Fumio Kishida unter anderem eine Gemeinsame Erklärung dazu zu verabschieden.[1] Darüber hinaus verstärkt sie ihre Zusammenarbeit mit Südkorea. Dessen Streitkräfte beteiligen sich an der NATO-Cyberabwehr und sollen zukünftig intensiver auch in herkömmliche NATO-Manöver integriert werden.[2] Japans Ministerpräsident sowie Südkoreas Präsident nehmen inzwischen regelmäßig an NATO-Gipfeln teil. Das westliche Militärbündnis weitet außerdem seine Kooperation mit Australien und Neuseeland aus. Der Prozess verläuft nicht ohne Widersprüche; so widersetzt sich Frankreich dem Vorhaben, ein NATO-Verbindungsbüro in Japan zu eröffnen, da es sich selbst als eine starke pazifische Macht begreift und den Einfluss der NATO am Pazifik nicht übermäßig anwachsen lassen will. Dessen ungeachtet verstärkt das westliche Militärbündnis seine Stellung in der Asien-Pazifik-Region - unter anderem mit Manövern, die seine Mitgliedstaaten dort durchführen, darunter auch die Bundesrepublik (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
Längst reichen dabei die Überlegungen im westlichen Militärbündnis, Drittstaaten enger an sich zu binden, über die Asien-Pazifik-Region hinaus. Sie gelten zunächst Staaten südlich und südöstlich des NATO-Bündnisgebiets - insbesondere in Regionen, in denen Russland seinen Einfluss ausweitet. Letzteres trifft auf das nördliche Afrika zu, wo Moskau inzwischen mit privaten Militärfirmen wie Wagner präsent ist (Mali, Libyen, Zentralafrikanische Republik), aber auch auf den Nahen Osten, wo reguläre russische Truppen seit 2015 in Syrien im Einsatz sind. Zwar kooperiert die NATO bereits seit 1994 im Rahmen ihres Mediterranean Dialogue mit mehreren Mittelmeeranrainern sowie seit 2004 im Rahmen ihrer Istanbul Cooperation Initiative mit mehreren arabischen Golfstaaten.[4] Die Zusammenarbeit gilt jedoch als wenig intensiv. Zu Wochenbeginn ließen sich NATO-Diplomaten mit der Äußerung zitieren, man sei sich "der Entwicklungen an unserer Südflanke sehr genau bewusst" und plane daher entsprechende Maßnahmen. So wolle man die Chance zum Aufbau eines Verbindungsbüros in Jordanien erkunden, um sich in Nah- und Mittelost intensiver festzusetzen.[5] Vergangene Woche hielt sich ein hochrangiger NATO-Funktionär in Jordaniens Hauptstadt Amman auf, um dort für die Einrichtung eines solchen Verbindungsbüros zu werben.[6]
Dabei beschränken die Planungen nicht auf Aktivitäten im nördlichen Afrika und im Nahen und Mittleren Osten, also in den an das Bündnisgebiet grenzenden Regionen. "Viele NATO-Mitglieder" seien der Ansicht, berichteten NATO-Diplomaten der Onlineplattform Euractiv, der "politische Dialog" müsse keineswegs auf diese Regionen beschränkt sein. Vielmehr könne man auch mit weit entfernt gelegenen Staaten die Kooperation suchen. Dabei wurden als Beispiele Brasilien, Südafrika, Indien und Indonesien genannt.[7] Man könne sich um einen Einstieg in eine engere Zusammenarbeit bemühen, indem man zunächst den "Dialog" suche, hieß es. Das lasse sich zum Beispiel dadurch erreichen, dass man auf der Ebene von Botschaftern oder von Ministern bessere Beziehungen schmiede oder Repräsentanten der Partnerländer in spe "zu gemeinsamen Treffen" einlade, um sich über Bedrohungen für die gemeinsame Sicherheit auszutauschen. Ein solcher Austausch fand am gestrigen Mittwoch am Rande des NATO-Außenministertreffens in Brüssel statt: Im Rahmen eines "NATO-Indonesien-Treffens" kam der stellvertretende NATO-Generalsekretär Mircea Geoana mit Andri Hadi, einem hochrangigen Gesandten der Regierung Indonesiens, zusammen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hatte bereits am 14. Juni 2022 Indonesiens Außenministerin Retno Marsudi persönlich in Brüssel empfangen.
Einen weiteren Vorstoß hat bereits im Juni ein Ausschuss des US-Repräsentantenhauses unternommen - das Select Committee on Strategic Competition between the United States and the Chinese Communist Party. Der Ausschuss plädierte in einem Papier, das strategische Vorschläge für den US-Machtkampf gegen China enthielt, dafür, die Kooperation der NATO auch mit Indien zu stärken.[8] Der Vorstoß schlug im Vorfeld des Besuchs des indischen Premierministers Narendra Modi am 22. Juni in Washington hohe Wellen. Er konnte daran anknüpfen, dass Indien im Quad-Format militärisch mit den USA sowie den NATO-Partnern Japan und Australien kooperiert, um sich gegen China Gewicht zu verschaffen. Darüber hinaus könne eine enge NATO-Anbindung den Austausch von Geheimdienstinformationen erleichtern, hieß es; auch könne New Delhi auf Zugang zu den neuesten Militärtechnologien hoffen.[9] Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar wies den Washingtoner Vorschlag allerdings zurück; er erklärte, die "NATO-Schablone" lasse sich nicht "auf Indien anwenden".[10] Erläuternd hieß es dazu in indischen Medien, New Delhi sei auch weiterhin nicht bereit, sich gegen Russland in Stellung bringen zu lassen und seine Eigenständigkeit einzuschränken.[11] Beides wäre mit der engen Anbindung an die NATO verbunden.
Die Bestrebungen, Drittstaaten in aller Welt enger an die NATO zu binden, erfolgen in einer Zeit, in der nicht nur die westlichen Staaten ihren Machtkampf gegen Russland und vor allem auch gegen China verschärfen und deshalb ihre Bündnisstrukturen straffen. Sie erfolgen zugleich in einer Zeit, in der nichtwestliche Bündnisse an Zulauf gewinnen. Das gilt nicht nur für die BRICS, die im August beschlossen haben, zum 1. Januar 2024 sechs neue Mitglieder aufzunehmen (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Es gilt auch für die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), ein um Moskau und Beijing zentriertes Sicherheitsbündnis, das von ursprünglich sechs auf inzwischen neun Mitglieder angewachsen ist, unter anderem Indien, Pakistan und Iran umfasst und stets neue Interessenten gewinnt. SCO-"Dialogpartner" sind mittlerweile neben mehreren Ländern Südasiens sowie des Südkaukasus die Türkei, Ägypten und fünf Staaten der Arabischen Halbinsel, darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Qatar. Die Aufnahme weiterer Staaten als SCO-Vollmitglieder gilt auch vor dem Hintergrund der BRICS-Erweiterung als durchaus möglich. Die westliche Dominanz wird damit sukzessive geschwächt.[13]
[1] S. dazu Die Militarisierung der ersten Inselkette.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9152
[2] S. dazu Die NATO am Pazifik (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9184
[3] S. dazu Deutschland im Pazifik-Militärblock.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9319
[4] NATO partners. nato.int.
[5] Aurélie Pugnet: NATO eyes firmer foothold in its Southern neighbourhood. euractiv.com 09.10.2023.
[6] Ica Wahbeh: Jordan-NATO - 'an enduring partnership that should be even stronger in the future'. jordannews.jo 05.10.2023.
[7] Aurélie Pugnet: NATO eyes firmer foothold in its Southern neighbourhood. euractiv.com 09.10.2023.
[8] The Select Committee on the Chinese Communist Party: Ten for Taiwan. Policy Recommendations to Preserve Peace and Stability in the Taiwan Strait. Washington, June 2023.
[9] Joe Saballa: US Pushes for India's Inclusion in NATO Plus. thedefensepost.com 06.06.2023.
[10] Fareha Naaz: 'India capable of countering Chinese aggression', refuses to join NATO, says S Jaishankar. livemint.com 09.06.2023.
[11] Shivan Chanana: India, a NATO state? Whose gain, whose loss? wionews.com 05.06.2023.
[12] S. dazu Strategien gegen die BRICS.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9329
[13] S. dazu Pyrrhussanktionen.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9235
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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 13. Oktober 2023
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