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PARTEIEN/141: Eine moderne solidarische SPD-Linke (spw)


spw - Ausgabe 6/2014 - Heft 205
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Eine moderne solidarische SPD-Linke

von Hilde Mattheis



Einleitung

Der Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der SPD war spätestens mit der Bundestagswahl 2009 auch auf Bundesebene offensichtlich geworden. Zuvor hatte die SPD auch schon bei vielen der Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen zum Teil deutlich verloren. Ihre Glaubwürdigkeit als Partei der Verteilungsgerechtigkeit war beschädigt, viele Genossinnen und Genossen hatten die Partei verlassen.


Aufbau- und Vertrauensarbeit

Seit 2009 wurde viel Wiederaufbau- und Vertrauensarbeit geleistet und es gelang in einigen Ländern und Kommunen wieder, Wahlen zu gewinnen. Die Hauptbotschaft war: Die SPD hat ihre politische Grundhaltung nicht verloren. Sie ist keine Partei der Beliebigkeit, auch nicht des beliebigen Kompromisses.

Sigmar Gabriel hatte in seiner Bewerbungsrede auf dem Dresdener SPD-Parteitag im November 2009 zu Recht hervorgehoben, dass "linke Politik [...] nicht ein Politikinstrument, sondern [...] Ausdruck einer Grundhaltung, der Ausdruck eines Menschen- und Gesellschaftsbildes" (Gabriel 2009: 8) ist. Für Sozialdemokraten ist "der Mensch zur Freiheit fähig, aber eben auch zur Verantwortung und Solidarität mit allen anderen, die bei uns und woanders leben" (ebd.).

Die SPD-Linke hat sich immer als Repräsentanz der progressiven und emanzipierten sozialen Milieus verstanden und sich dagegen gewehrt, eine Governancelogik ohne Wertebezug hinzunehmen. Regierung um des Regierens willen war und ist nicht unsere Haltung. Eine linke Sozialdemokratie arbeitet für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, für Teilhabe am Wohlstand für alle und für Aufstiegsmöglichkeiten für alle.

Nicht umsonst war es die SPD-Linke, die die programmatische und parlamentarische Arbeit insbesondere seit 2009 wesentlich mitgestaltet hat. Die SPD hat sich ein Stück Glaubwürdigkeit wiedererarbeiten können: sowohl bei Bündnispartnern wie den Gewerkschaften als auch bei der Bevölkerung. Das Forum Demokratische Linke (DL 21) hat hieran einen bedeutenden Anteil. In ihren Programmbausteinen wurden neben vielen weiteren Punkten

• ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro,

• eine Überwindung der Sparpolitik durch langfristige öffentliche Investitionen und deren Finanzierung durch gerechtere Steuern

• "flexible Übergänge vom Beruf in die Rente" (DL 21 2013: 14),

• "eine Regulierung der Finanzmärkte und der Finanzwirtschaft" (ebd.: 17) wie die Finanztransaktionssteuer,

• "eine Regulierung von europäischen Waffenexporten" (ebd.: 29)

• und "eine verbindliche Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen" (ebd.: 35) gefordert.

Die Programmbausteine der DL 21 zur Bundestagswahl 2013 haben in weiten Teilen Eingang in das Bundestagswahlprogramm der SPD gefunden. Allerdings wurde durch das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis nach 1945 nochmals klar: Es reicht nicht, sich allein programmatisch neu aufzustellen. Vertrauen und Glaubwürdigkeit müssen in der politischen Arbeit zurückgewonnen werden. Das Ergebnis hat gezeigt, die Partei hat einen langjährigen Prozess vor sich, die Bindungen ihrer ehemaligen Wähler*innen wieder aufzubauen.


Vertrauen zurück gewinnen

Es ist daher wenig überraschend, dass der Beschluss des Mindestlohns und die Verbesserung des Rentenzugangs sich nicht sofort positiv in den Umfragen niederschlagen. Die Erfahrung mit der Agenda-SPD sitzt in den Arbeitnehmer*innenmilieus zu tief.

Und es verunsichert die Wähler*innen zudem, wenn u.a. das Ziel mehr Steuergerechtigkeit zu wollen, um dringend notwendige öffentliche Aufgaben finanzieren zu können und auch einer weiteren sozialen Spaltung entgegen zu wirken, innerhalb kurzer Frist aufgegeben wird. Diese Aufgabe eines zentralen politischen Zieles auch noch mit einer pauschalen Steuerverweigerungshaltung der Bevölkerung zu begründen, demonstriert fahrlässig, dass wichtige Ziele wohl doch nicht so ernst gemeint sind.

Wir gewinnen Vertrauen nur zurück, wenn Positionen auch wirklich durchgehalten und auch in einer großen Koalition nicht aufgegeben werden, sondern klar gemacht wird, was in dieser Konstellation möglich ist, aber für die eigene Partei das formulierte Ziel weiter gilt.

Daher müssen wir als Partei ein eigenständiges ökonomisches Profil vertreten, das nicht Gerechtigkeit gegen Wirtschaftskompetenz ausspielt, sondern Verteilungsgerechtigkeit und sozial-ökologische Innovation als zentrale Voraussetzung für ökonomischen Erfolg darstellt.


Rolle der Linken

Wir als Linke in der SPD haben mehrfach bewiesen, dass wir am Ende eines Diskurses dann gemeinsam Kompromisse vertreten, wenn wir zuvor auch wirklich beteiligt wurden!

Politische Diskussionen und Konflikte zwischen rechter und linker Strömung der Partei sind dabei keine Frage von Spiegelstrichen um ihrer selbst willen. Zur Debatte stehen z.B. grundlegende Fragen der Verteilung und der wirtschaftspolitischen Strategie (Stichworte Investitionen und Steuergerechtigkeit), der Nachhaltigkeit (Stichworte Energiewende und Klimaschutz) und der sozialen Sicherung (Stichworte Bürger-, Erwerbstätigen- und Arbeitsversicherung sowie eine sichere Rente). In diesen Debatten muss der linke Flügel für die von ihm repräsentierten Milieus erkennbar sein.

Der Rückblick auf die jüngere Geschichte zeigt, dass die SPD-Linke auch in schwierigen, fast aussichtslos erscheinenden Situationen Positionen offensiv vertreten oder durchkämpfen kann, die dann auch mehrheitsfähig sind. Beispiele sind die Frage der guten Arbeit und der Bahnprivatisierung, der Rentenniveausicherung und der Vermögensbesteuerung.


Mehrheitsfähigkeit

Die SPD muss sich wieder öffnen und offen für neue gesellschaftliche Entwicklungen sein. Transparenz und Teilhabemöglichkeiten sind wesentlich, damit sich Menschen aus modernen progressiven sozialen Milieus politisch engagieren. Sie sind in der Regel gut qualifiziert und wollen sich nicht bevormunden lassen (vgl. Vester u.a. 2001). Die Willensbildung erfolgt bei der DL 21 basisdemokratisch und gewährleistet dadurch eine langfristige Vertrauensbildung zwischen Mitgliedern und gewählten DL21-Funktionärinnen und Funktionären.

Die SPD-Linke arbeitet mit unterschiedlichen Bündnispartnern wie z.B. den Gewerkschaften, ATTAC und Umweltorganisationen zusammen und repräsentiert heterogene soziale Milieus. Es ist entscheidend, dass wir als SPD-Linke dieses Vertrauen nicht wieder verlieren, weshalb wir auch klare Haltelinien für Kompromisse formulieren. So ist es wichtig, dass wir bei den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA (CETA und TTIP), die unseren Wohlfahrtsstaat grundlegend neoliberalisieren könnten, standhaft bleiben und unser Mietrecht, unsere Kulturpolitik, unsere sozialstaatlichen und umweltpolitischen Standards nicht durch parallelrechtliche Strukturen wie die Schiedsgerichte unterlaufen. Hier muss die SPD-Linke stehen - und wir stehen sicher nicht allein. Wir aber können anders als unsere Bündnispartner aus der Zivilgesellschaft direkt im Parlament wirken.

Umso wichtiger ist eine Teilhabe aller Beteiligten auf Augenhöhe. Es ist ein wichtiger Schritt, dass sich die gemeinsame SPD-Linke auf die demokratische Tradition des Frankfurter Kreises bezieht, der Entscheidungen im Konsens traf und damit auch erfolgreich war. Das Aushandeln strittiger politischer Fragen auf Augenhöhe ist wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Debatte in der Gesamtpartei. Es ist ein Ansatz, der weniger an Hierarchien und mehr an der Möglichkeit offener und produktiver Diskurse orientiert ist.


Teilnahme an politischen Diskursen ermöglichen

Politische Professionalität zeigt sich immer auch darin, ein Gespür für gesellschaftliche Veränderungen und Konflikte zu haben. So haben die Gegensätze zwischen wachsender Qualifikation und Produktivität, dem Wunsch nach mehr autonomen Gestaltungs- und demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten auf der einen Seite und den gesellschaftlichen und betrieblichen Hierarchien zugenommen. Gerade junge moderne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittleren bis höheren Qualifikationen sehen ihre Teilhabe- und Aufstiegsansprüche durch prekäre, belastende und fremdbestimmte Arbeit blockiert. Ihnen fehlt häufig die Zeit für sich und andere. Soziale Sicherheit, Solidarität und Nachhaltigkeit sind für sie keine Gegensätze. Sie haben klare Vorstellungen einer guten Arbeits- und Lebensweise, die aber materielle und immaterielle Ressourcen voraussetzen, um sie praktisch leben und erfahren zu können. An dieser Alltagserfahrung sollte die SPD-Linke bei der strategischen Diskussion und Auswahl ihrer Projekte und Erzählungen anknüpfen. Die modernen (jungen) Arbeitnehmer*innen lassen sich in den politischen Debatten und für Wahlen jedoch nicht per Anweisung (auch wenn sie in nette Kampagnen gekleidet ist) und einem technokratischen Verständnis von Politik als besserem Management mobilisieren. Sie können sehr gut unterscheiden, ob politisch taktiert und bloßes Marketing betrieben wird oder sie tatsächlich politisch mitgestalten können und ihre politischen Positionen glaubwürdig repräsentiert werden.

In einer großen Koalition werden wir immer wieder zu weitgehenden Kompromissen gezwungen, manchmal zu zu weitgehenden Kompromissen. Daher sollten wir über die politische Alternative Rot-Rot-Grün offen diskutieren.

Entscheidend aber ist, dass sich politische Alternativen strategisch und parteipolitisch langfristig entwickeln, um gesellschaftliche Mehrheiten zu erringen. Daher müssen wir als linke Sozialdemokratie präsent sein und uns nicht durch Governancelogiken und Sachzwänge im vorauseilenden Gehorsam anpassen.


Ausblick

Eine SPD-Linke muss Kritik aushalten und kritik- und handlungsfähig sein, um Alternativen für eine moderne solidarische Gesellschaft nach innen und nach außen in Europa und auf internationaler Ebene vorzuleben und aufzuzeigen. Dazu zählt die Solidarität zwischen sozialen Milieus, zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen.

Im Zentrum unserer Forderungen sollten die Verteilungsfrage in ihren verschiedenen Dimensionen, demokratische Teilhabe und die nachhaltige Transformation in Deutschland und Europa stehen. Die SPD-Linke muss weiterhin der Treiber einer alternativen ökonomischen Strategie der Investitionen in Bildung und sozial-ökologische Modernisierung und eine Revitalisierung des öffentlichen Sektors mit einer Ausweitung von Bildungs- und Sozialdienstleistungen etc. sein. Eine Pfadverschiebung wird Jahrzehnte brauchen und verlangt einen langen Atem.

In Europa muss die Austerität durch Zukunftsinvestitionen überwunden, Mindeststandards vorangetrieben, die demokratischen Rechte des Parlaments ausgeweitet und langfristig Visionen für europaweite soziale Sicherungslemente entwickelt werden. Mit dieser Grundorientierung und den sich daraus ergebenden Projekten hat weder die SPD-Linke noch die politische Linke als Ganze bereits Deutungshoheit gewonnen oder eine Mehrheitsfähigkeit erreicht.

Die SPD-Linke muss daher in der Lage sein, Bündnisse zu bilden. Über die verschiedenen Teile des linken politischen Lagers und sozialen Milieus sowie die verschiedenen Diskurse der Linken hinweg. Hierzu bedarf es breiter öffentlicher Debatten zwischen den linken Parteiströmungen, Gewerkschaften, Sozialverbänden, kritischen Wissenschaftlern und sozialen Bewegungen. Wir brauchen Debatten von unten darüber, wie wir Innovation, soziale Gerechtigkeit und globale Nachhaltigkeit miteinander verzahnen und mit welchen Erzählungen die Linke für sozial-ökologische Projekte mobilisieren will. Hierbei steht die SPD-Linke vor der Herausforderung, ihre Vorstellung von Wohlstand und Wachstum fortzuentwickeln, etwa mit einer Wachstumspolitik, einer weit weniger klimaschädlichen Bildungs- und Sozialdienstleistungsbranche, einer ökologischen Modernisierung der Infrastruktur, einer zukunftsweisenden energiepolitischen Wende mit anspruchsvollen Standards und einer modernen internationalen Wirtschaftsdemokratie (Stichworte internationale Sozial- und Teilhabestandards, Genossenschaften, Öffentliche Unternehmen und Solidarwirtschaft, Verteilungsgerechtigkeit, etc.).


Hilde Mattheis, MdB, ist Bundesvorsitzende des Forums Demokratische Linke 21.


Literaturverzeichnis

• DL 21: Mit links zur sozialen Gerechtigkeit. Impulse und Forderungen für ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm 2013. Ergebnisse aus dem Dialog Linke Programmbausteine (letzter Abruf 05.12.2014:
http://2014.forum-dl21.de/wp-content/uploads/2014/03/DL21_Mit_links_zur_sozialen_Gerechtigkeit-Impulse_und_Forderungen_fuer_das_SPD_Regierungsprogramm_2013.pdf)

• Gabriel, Sigmar 2009: Rede des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel auf dem SPD-Bundesparteitag in Dresden (letzter Abruf am 05.12.2014:
http://www.sigmar-gabriel.de/reden/rede-des-spd-vorsitzenden-sigmar-gabriel-auf-dem-spd-bundesparteitag-in-dresden1).

• Vester, Michael / Oertzen, Peter von / Geiling, Heiko / Hermann, Thomas / Müller, Dagmar 2001. Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Frankfurt a.M.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 6/2014, Heft 205, Seite 60-63
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2015


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