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REDE/811: Dr. Thomas de Maizière zum Haushaltsgesetz 2010, 19.01.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand - 19.01.10

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 19. Januar 2010 in Berlin


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor 60 Jahren hat der Deutsche Bundestag den ersten Haushalt des Bundesministeriums des Innern beraten. Innenminister war Gustav Heinemann. In der sehr lebhaften Debatte forderte der Abgeordnete Hermann Ehlers Folgendes - ich zitiere -:

"... die anfallenden Aufgaben müssen heute gründlich, sachverständig und so wahrgenommen werden, dass wirklich etwas Ersprießliches und Dauerhaftes dabei herauskommt."

Das finde ich schön. Es sollte auch für uns ein Leitsatz werden.

Die Politik hatte damals die schwierige Aufgabe, mit äußerst knappen Mitteln auszukommen. Das Bundesministerium des Innern rechnete im damaligen Haushaltsentwurf mit Einnahmen in Höhe von 1.000 DM und Ausgaben in Höhe von 2.269. 400 DM.

Auch sonst ist die Debatte sehr interessant. Sie zeigt übrigens, dass nicht alles so furchtbar neu ist, was wir hier diskutieren. Lassen Sie mich zwei Zitate vortragen, die das deutlich machen. Sie zeigen übrigens auch, wie breit damals der Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums war. Der Abgeordnete Maier von der SPD gab dem Innenminister folgenden Rat:

"Um eine stärkere Autonomie der kommunalen Selbstverwaltung zu erreichen, geben wir dem Herrn Bundesminister des Innern zu erwägen anheim, den Ländern beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern in Form von Auflagen die Abführung gewisser Mindestprozentsätze an die Gemeinden zur Pflicht zu machen."

Interessante Anregung. Herr Ehlers sagte - jetzt wird es noch interessanter -:

"Der Bund hat dafür zu sorgen, dass wir nicht nur von einer Bundesrepublik Deutschland reden, dass wir nicht nur von einer Freizügigkeit reden und dabei durch die Gestaltung unseres öffentlichen Schulwesens aus den verschiedensten politischen, weltanschaulichen, kulturellen und schulpolitischen Vorstellungen heraus eine Zersplitterung schaffen, die es langsam unmöglich macht, dass ein Beamter von Schaumburg-Lippe nach Lippe-Detmold übersiedelt."

Hier liegen die Aufgaben, die der Bund wahrzunehmen hat, und ich meine, dass das Bundesinnenministerium - es war damals zuständig - eine gute Aufgabe hat, wenn es klärend und anregend in diese Dinge eingreift und dafür sorgt, dass wir hier wirklich zu einer Einheit in der Freiheit kommen.

Ich gebe das Zitat an Annette Schavan weiter. Insofern ist das alles nicht neu, was wir heute diskutieren.

Heute verlangt die Erfüllung der Aufgaben eines Innenministers mehr Mittel. Heute hat der Etat eine Größenordnung von 5,6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon sind Personalkosten.

Im Unterschied zu der Entwicklung der vergangenen Jahre ist auch das Gesamtvolumen meines Etats rückläufig. Das liegt überwiegend an Einmaleffekten durch die Europa- und Bundestagswahl mit einem Volumen von 100 Millionen Euro. Aber es veranlasst mich doch zu einer Grundsatzbemerkung. Allzu gerne wird die scheinbar zwingende Gleichung aufgemacht, dass nur Steigerungsraten in den Einzelplänen etwas über die Qualität des jeweiligen Politikfeldes aussagen. Ich denke, das werden wir in den nächsten Jahren überdenken müssen.

Steigerungsraten für sich betrachtet sind keine Aussage über die Qualität der Politik. Es gibt keine innere Dynamik staatlichen Handelns, die auf immer weitere Zuwächse programmiert wäre. Das können wir aus den Debatten von vor 50 oder 60 Jahren lernen, und das werden wir auch in den nächsten Jahren erleben.

Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst machen. Der öffentliche Dienst ist Garant für die Qualität unseres staatlichen Handelns, und das muss er auch bleiben. Ohne gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es keine leistungsfähige solidarische Gesellschaft. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben.

Uns allen muss aber angesichts der leeren Kassen auch klar sein, dass es nichts zu verteilen gibt. Die Verhandlungen werden schwierig. Ein Kompromiss ist möglich, aber schwierig. Ich würde mich freuen, wenn in den nächsten Tagen viele Wortmeldungen und sogenannte gute Ratschläge von außen an die Tarifpartner unterbleiben könnten. Das macht es am Verhandlungstisch nicht leichter.

Zurück zu unserem Haushalt. Die erste Aufgabe eines demokratischen Staates ist, Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. Das spiegelt auch unser Haushalt wider. Mehr als zwei Drittel der vorgesehenen Ausgaben entfallen auf diesen Bereich. Darüber können wir heute nicht umfassend diskutieren. Aber ich will noch ein Wort zu dem sagen, worüber vorhin diskutiert wurde. Auch nach dem Anschlagsversuch von Detroit rate ich zu Gelassenheit und Sachlichkeit. Wir müssen klug auf die Herausforderungen reagieren, die uns in diesem Bereich begegnen. Einen Nacktscanner wird es mit mir nicht geben. Körperscanner der zweiten Generation kann es dagegen sehr wohl geben, wenn sie drei Voraussetzungen erfüllen:

Erstens. Sie müssen leistungsfähig sein. Sie müssen das, was man sehen will, auch erkennen.

Zweitens. Sie dürfen in keiner Weise gesundheitsgefährdend sein. Deswegen wird es mit mir auch keinen Einsatz von Röntgenstrahlen - in welcher Form auch immer - geben.

Drittens. Sie müssen die Intimsphäre und die Persönlichkeitsrechte umfassend wahren.

Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind und die Geräte einsatzfähig sind, dann können wir darüber reden. Ich denke, das wird Mitte 2010 der Fall sein. Dann werde ich mich für den Einsatz solcher Körperscanner einsetzen. Wir sollten aber Mensch und Maschine nicht gegeneinander ausspielen. Natürlich brauchen wir auch tüchtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl bei der Bundespolizei als auch bei den Unternehmen der Flughafengesellschaften. Ich sage unumwunden: Hier ist sicherlich noch das eine oder andere zu tun und zu verbessern. Das schauen wir uns genau an. Ich möchte nicht, dass wir aufgrund der notwendigen Terrorabwehr andere Sorgen bei der öffentlichen Sicherheit vernachlässigen. Dazu gehört der Kampf gegen die organisierte Kriminalität, Drogen, Extremismus und Gewalt rund um Fußballstadien, um nur einige Beispiele zu nennen.

Eine weitere Kernaufgabe der kommenden Jahre ist die Integration, und zwar die Integration sowohl der bereits hier lebenden Zuwanderer als auch derjenigen, die neu zu uns kommen. Die Integrationskurse sind dabei eines der wichtigsten integrationspolitischen Instrumente des Bundes. Sie sind belächelt worden, haben sich aber als sehr gut und wirksam erwiesen. Seit 2005 haben rund 580.000 Zuwanderer an diesen Kursen teilgenommen. Die Mittel haben bisher nicht ausgereicht. Deswegen verzeichnet der Haushalt an dieser Stelle einen Zuwachs in Höhe von 44 Millionen Euro.

Die Deutsche Islam Konferenz ist das wichtigste Dialogforum von deutschem Staat und Vertretern der hier lebenden Muslime. Ich werde sie fortsetzen und vertiefen. Muslime in Deutschland sollen sich als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen und sollen von dieser auch so verstanden werden. Dies setzt nicht nur die theoretische Bejahung, sondern auch die praktische Bereitschaft voraus, das Grundgesetz wirklich zu leben. Ich möchte deshalb die zweite Stufe der Deutschen Islam Konferenz, deren theoretische Grundlegung - zu Recht - abschließend erfolgt ist, praktischer machen, und zwar in drei Punkten:

erstens in allem rund um die Themen Religionsunterricht sowie Religionslehrer- und Imamausbildung,

zweitens bei der Gleichbehandlung von Mann und Frau, insbesondere von Jungen und Mädchen, sowie

drittens in der Debatte über friedlichen Islam und gewalttätigen Islamismus.

Diese drei Punkte sind richtig und wichtig. Gerade in der Debatte über den dritten Punkt können und wollen wir helfen. Aber die Haupttrennlinie zwischen dem friedlichen Islam und dem gewalttätigen Islamismus muss der Islam selbst ziehen.

Wir werden in den nächsten Tagen viel über Sport reden. Die Olympischen Winterspiele stehen bevor. Ich werde zur Eröffnungsfeier nach Vancouver fahren. Unseren Athleten wünsche ich in Vancouver viel Erfolg. Ich möchte meinen dortigen Besuch auch nutzen, um für unsere Bewerbung für die Olympischen Spiele 2018 in München und Garmisch-Partenkirchen zu werben. Dies ist nicht nur für die Bundesregierung, sondern für uns alle - vielleicht bekommen wir deswegen noch einen Beifall des gesamten Hauses hin - ein nationales Anliegen.

Ein Schwerpunkt nicht nur der Innenpolitik wird in den kommenden Jahren die Informationsgesellschaft sein; wir haben darüber eben schon beim Etat des Verbraucherschutzministeriums diskutiert. Nach meiner Auffassung brauchen wir eine systematischere Antwort als bisher auf die Frage, wie auch im virtuellen Raum Freiheit, Sicherheit und Vertrauen gewährleistet werden können. So, wie dem Internet mittlerweile eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zukommt, so ist es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Ordnungsrahmen für das Internet fortzuentwickeln.

Dazu habe ich einen netzpolitischen Dialog mit Vertretern von Staat, Wissenschaft, Netzgemeinde und Zivilgesellschaft gestartet. Gestern gab es die erste Runde - vielleicht haben Sie etwas davon gehört -, die gezeigt hat, dass die Gräben zwischen Staat und Teilen der Netzgemeinde unübersehbar, aber nicht unüberbrückbar sind. Ich werde diesen Dialog fortsetzen und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit mit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, die vermutlich eingesetzt werden wird. Allerdings möchte ich, wenn es notwendig ist, etwas zu tun, nicht zwingend abwarten, bis die Enquete-Kommission am Ende der Legislaturperiode Ergebnisse vorlegt. Wenn wir uns einig sind, möchte ich manches schon vorher in Angriff nehmen.

Nicht nur der Datenschutz im Internet ist ein Thema, sondern Sie wissen, dass wir uns auch vorgenommen haben, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz als Teil des Datenschutzgesetzes vorzulegen. Ich hoffe, ich kann meine Zusage einhalten, Ende Februar den ersten Referentenentwurf zu präsentieren.

Als die Abgeordneten vor 60 Jahren über den Haushalt berieten, war die Debatte auch von der Erfahrung der Teilung Deutschlands geprägt. Niemand konnte damals wissen, wie lange diese Teilung dauert. In diesem Jahr dürfen wir uns gemeinsam über den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung freuen und können das auch mit Stolz auf das Erreichte tun. In den letzten 20 Jahren lag der Schwerpunkt der Bemühungen auf dem Aufbau einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur. Viel wurde diesbezüglich geleistet, und manches ist noch zu tun.

Heute stehen wir, bedingt durch den globalen Wettbewerb, vor neuen Herausforderungen wie der Stärkung der Innovationsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen, der Verbesserung der Qualifikation der Arbeitnehmer oder den Veränderungen, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben. Überhaupt wird mein Haus federführend gemeinsam mit den anderen Häusern eine Strategie zum Umgang mit der Demografie vorlegen. Dabei können wir viel von den Erfahrungen und Antworten in den ostdeutschen Ländern lernen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung, die hoffentlich unser aller Zustimmung findet. Zu dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums gehören auch der Bevölkerungsschutz und das Katastrophenmanagement. Das Technische Hilfswerk wird vom BMI mit Mitteln in Höhe von 178 Millionen Euro finanziert. Unser Mitgefühl und unsere tatkräftige Hilfe gelten in diesen Tagen den Menschen in dem geschundenen Land Haiti. Unsere Mitarbeiter sehen dort unvorstellbares Elend und packen an. Das Erdbeben in Haiti und seine Folgen mögen bei manchem von uns vielleicht einen verschobenen Maßstab bei der Kritik an unseren Verhältnissen oder der vorschnellen Verwendung der Begriffe von Chaos und Katastrophe zurechtrücken.

Den Frauen und Männern des Technischen Hilfswerkes und den Helferinnen und Helfern aus der ganzen Welt danke ich von ganzem Herzen. Ich wünsche ihnen vor allem viel innere Kraft, um das durchzustehen, was sie im Moment leisten.


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Quelle:
Bulletin Nr. 05-2 vom 19.01.2010
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, zum
Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 19. Januar 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2010