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REDE/880: Merkel - Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 24./25. März 2011 in Brüssel (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Europäischen Rat am 24./25. März 2011 in Brüssel vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor wir im Rahmen dieser Debatte über das Gesamtpaket zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion beraten, das der heute beginnende Europäische Rat beschließen wird, möchte ich zunächst unseren Blick noch einmal auf die dramatischen Ereignisse in Japan und die Umbrüche im arabischen Raum lenken. Seit einigen Wochen erleben wir in zahlreichen Staaten der arabischen Welt tiefgreifende Umwälzungen. Sie gründen in der Sehnsucht der Menschen nach Freiheit, nach politischer Selbstbestimmung. Sie werden das Gesicht dieser Region verändern. Damit werden sie auch das Gesicht der Welt verändern.

Die Menschen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder vor der Universität in Sanaa demonstrieren, fordern Freiheit, sie fordern Demokratie, sie fordern soziale Gerechtigkeit, und sie fordern bessere Lebensbedingungen. Sie wenden sich gegen Willkürherrschaft, Unterdrückung und Korruption. Sie nehmen den Übergang zu einer neuen Ordnung in ihre eigenen Hände. Dafür gebührt ihnen unser aller Respekt.

Diese Umwälzungen sind eine historische Chance für die Menschen in der arabischen Welt, aber genauso auch für uns als Nachbarn dieser Region. Deshalb hat sich der Europäische Rat am Freitag vor 14 Tagen mit diesem Thema beschäftigt. Die Kommission hat Vorschläge für eine neue Partnerschaft mit dieser Region vorgelegt.

Allerdings spüren wir gleichzeitig, wie fragil die Entwicklungen sind und wie ungewiss ihr Ausgang ist. Wir sehen das in Bahrain, in Jemen, in Syrien, in Algerien, und wir sehen das natürlich noch viel gravierender in Libyen. Dort hat Gaddafi seinem eigenen Volk den Krieg erklärt. Die in der vergangenen Woche im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete Resolution 1973 dient deshalb dem Ziel, diesem Krieg Gaddafis gegen sein eigenes Volk Einhalt zu gebieten.

Die Bundesregierung hat sich, wie Sie wissen, bei der Abstimmung über diese Resolution enthalten. Sie hat sich enthalten, weil sie Bedenken hinsichtlich der militärischen Umsetzung der Resolution hat. Deutschland entsendet deshalb auch keine Soldaten der Bundeswehr.

Aber auch wenn das so ist, so gilt gleichzeitig: Die Bundesregierung unterstützt die Ziele, die mit dieser Resolution verabschiedet wurden, uneingeschränkt. Sie hat sich für diese Ziele von Anfang an eingesetzt. Deshalb hoffen wir auf einen schnellen und vor allem nachhaltigen Erfolg, um diese Ziele zu erreichen.

Wir treten vor allen Dingen für stärkere wirtschaftliche Sanktionen ein. Ich spreche über dieses Thema, weil ich mich auf dem Rat in Abstimmung mit allen Ministern - insbesondere natürlich mit dem Außenministerium - noch einmal für ein umfassendes Ölembargo und weitreichende Handelseinschränkungen gegenüber Libyen einsetzen werde. Ich hoffe, dass wir an diesem Punkt in der Europäischen Union endlich auch eine gemeinschaftliche Haltung erreichen. Dies sollte möglich sein. Kein Ölexport mehr aus Libyen in ein europäisches Land.

Darüber hinaus ist es uns wichtig, humanitäre Hilfe für Flüchtlinge aus Libyen zu leisten. Dazu gehört auch, dass wir den Mitgliedstaaten, die außergewöhnlich stark durch Migrationsströme belastet werden, solidarisch zur Seite stehen. Wir kennen die Entwicklung der Zukunft noch nicht. Ich will aber ganz deutlich sagen: Bürgerkriegsflüchtlinge, wie wir sie eventuell aus Libyen zu erwarten haben, sind Flüchtlinge, die unserer Solidarität bedürfen. Flüchtlinge zum Beispiel aus Tunesien, wo die Freiheit sich schon Bahn gebrochen hat, sind etwas anderes. Ich glaube, wir müssen hier deutlich unterscheiden.

Auch weil Deutschland sich militärisch nicht an der Umsetzung der Resolution 1973 beteiligt, werden wir unsere NATO-Verbündeten beim Einsatz von AWACS-Flugzeugen über Afghanistan entlasten. Da ich an der morgigen zweiten und dritten Lesung zum AWACS-Mandat wegen des zeitgleich stattfindenden EU-Rates nicht teilnehmen kann, erlaube ich mir, die Gelegenheit dieser Regierungserklärung zu nutzen, meine Haltung zu diesem Mandat vor diesem Haus deutlich zu machen; denn darauf haben Sie einen Anspruch.

Wir werden über den Beschluss der Bundesregierung debattieren und abstimmen, bis zu 300 deutsche Soldaten für NATO-AWACS-Flüge zur Überwachung des afghanischen Luftraums einzusetzen. Der Einsatz ist zeitlich befristet bis zum 31. Januar 2012. Die NATO-AWACS-Flugzeuge leisten einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit ziviler und militärischer Flugbewegungen im afghanischen Luftraum. Das AWACS-Mandat dient dem Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan sowie dem Schutz der afghanischen Bevölkerung. Es folgt dem Gebot der Bündnissolidarität. Ich darf deshalb bereits heute um Ihre Zustimmung bitten.

Mindestens genauso sehr bewegen uns die dramatischen Ereignisse in Japan. Sie sind ein Einschnitt für die ganze Welt, ohne jeden Zweifel. Auch in Deutschland und in Europa konnten wir nach den Ereignissen in Japan nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Über die dazu notwendigen bisherigen Entscheidungen der Bundesregierung haben wir am vergangenen Donnerstag nach meiner Regierungserklärung debattiert. Das ist heute nicht zu wiederholen. Ich weise aber darauf hin, dass die Sicherheit der Kernenergie auch Thema beim Rat der Staats- und Regierungschefs sein wird. Deutschland hat dieses Thema angemeldet; denn die Sicherheit der Kernkraftwerke innerhalb der Europäischen Union geht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichermaßen an. Deshalb gehört dies auf die Agenda unserer Beratungen. Ich werde die von Kommissar Oettinger vorgeschlagene Durchführung von freiwilligen Sicherheitsüberprüfungen, sogenannte Stresstests, für alle europäischen Kernkraftwerke unterstützen. Ich werde darüber hinaus intensiv dafür werben, dass auch unsere Nachbarländer außerhalb der Europäischen Union solche Stresstests durchführen. Frankreich und Deutschland werden zudem gemeinsam eine Initiative der G20 zur weltweiten Sicherheit von Kernkraftwerken einbringen. Die zuständigen Minister werden dazu in Kürze zu einer Konferenz zusammenkommen.

Das eigentlich zentrale Thema des morgigen Rates werden aber die Beratung und Verabschiedung eines Gesamtpakets zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion sein. Für mich ist dabei ganz wichtig: Der Euro und die Wirtschafts- und Währungsunion sind Kernbereiche der europäischen Einigung. Sie sind unverzichtbar aus wirtschaftlichen wie aus politischen Gründen. Deutschland profitiert vom Euro. Deutschland profitiert vom Euro wie kaum ein anderes Land in der Europäischen Union. Wir profitieren von der Preisstabilität. Wir profitieren davon, dass wir beim Reisen keine lästigen Umtauschgebühren mehr bezahlen müssen. Unsere Wirtschaftsunternehmen, die vielfach stark exportorientiert sind, profitieren von anderen Euro-Ländern, die wichtige Absatzmärkte für deutsche Waren sind. Die nominalen Warenexporte Deutschlands in die Euro-Zone haben sich zwischen 1999 und 2009 um 48 Prozent erhöht. Durch entfallende Umtauschkosten werden in der Euro-Zone rund 20 bis 25 Milliarden Euro jährlich eingespart. Dieses Geld kann an anderer Stelle investiert werden.

Kurz gesagt: Der Euro sorgt für Arbeitsplätze, er sorgt für Wirtschaftswachstum, er sorgt für Steuereinnahmen in Deutschland. Er ist eine stets stabile Währung im Innen- wie im Außenwert, und zwar - das haben wir erlebt - auch in Krisenzeiten. Wir haben eine stabile Gemeinschaftswährung, weil wir eine unabhängige Europäische Zentralbank haben, die strikt dem Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet ist. So steht es in den Verträgen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viel härter uns die internationale Finanz- und Bankenkrise 2008 getroffen hätte, wenn wir nicht die gemeinsame Währung gehabt hätten.

Der Euro hat nicht nur einen wirtschaftlichen Wert. Er ist weit mehr als eine verlässliche Währung. Er ist ökonomischer und politischer Ausdruck unserer engen Verflechtung und Verbundenheit in der Europäischen Union. Wir Mitglieder der Wirtschafts- und Währungsunion bilden eine Verantwortungsgemeinschaft. Jeder Einzelne von uns ist zu Eigenverantwortung und Solidarität verpflichtet. An diesen Grundsätzen habe ich, hat die ganze Bundesregierung im letzten Jahr ihr Handeln ausgerichtet, als es um die Krisenbewältigung auch innerhalb von Europa ging. An diesen Grundsätzen orientiere ich mich jetzt und orientiert sich auch das Gesamtpaket zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, das der Europäische Rat verabschieden wird.

Mit diesem Gesamtpaket ziehen wir die Lehren aus der Schuldenkrise. Es ist ganz wichtig, noch einmal Folgendes festzuhalten:

Erstens. Alles, was wir jetzt tun, ist Umgang mit den Fehlern, die in der Vergangenheit aufgetreten sind - von der Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts unter Rot-Grün bis hin zu Ergebnissen innerhalb der Banken- und Schuldenkrise. Es ist noch nicht die Umsetzung der Lehren, die wir aus der Krise gezogen haben.

Zweitens. Wir bauen uns damit ein Rahmenwerk dafür, dass die in der Vergangenheit aufgetretenen Fehler nicht wieder passieren können. Ich verstehe natürlich, dass viele fragen - diese Diskussionen führen wir auch hier im Parlament -: Was ist eure Sicherheit, dass die Fehler, die in der Vergangenheit aufgetreten sind und für die man angeblich auch das richtige Rahmenwerk hatte, in der Zukunft nicht wieder passieren?

Deshalb kann ich nur an uns alle appellieren: Das eine ist das, was wir jetzt beschließen. Das andere ist die Bereitschaft, es dann auch wirklich einzuhalten und nicht hier und dort irgendwelche politischen Begründungen dafür zu finden, dass es jetzt gerade die Umstände nicht erlauben. Das muss eine gemeinschaftliche Verpflichtung dieses Hohen Hauses sein.

Seit Beginn der Schuldenkrise im Euro-Raum haben wir immer wieder gefordert, dass neben allem notwendigen Krisenmanagement auch über den Tag hinaus gedacht werden muss. Vor allem müssen wir eine neue Stabilitätskultur und die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum unserer Bemühungen stellen; denn nur eine höhere Wettbewerbsfähigkeit kann auf Dauer für das Wachstum sorgen, das notwendig ist, um eine Perspektive zum Abbau der Schulden zu schaffen.

Das Gesamtpaket zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion verfolgt deshalb drei Ziele:

erstens mehr Stabilität und Solidität,

zweitens die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und

drittens ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität. Damit werden wir - davon bin ich überzeugt - die wirtschaftliche und politische Glaubwürdigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion stärken und erhöhen sowie nachhaltig gestalten.

Zum ersten Ziel: Wir sorgen für mehr Stabilität und Solidität. Dafür werden strengere Vorgaben eingeführt und deren Einhaltung strikt überwacht. Das bezeichnen wir als die Überarbeitung und Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wir verschärfen ihn in der Tat. Künftig riskieren Euro-Mitgliedstaaten auch dann schon Sanktionen, wenn sie nicht die notwendigen Schritte in Richtung eines ausgeglichenen Haushalts unternehmen. Damit soll frühzeitig einem übermäßigen Defizit entgegengesteuert werden.

Wir haben erreicht, dass Haushaltssünder bei Verletzung der Maastricht-Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts künftig früher und schneller bestraft werden. Das ist die Stärkung des präventiven Arms des Stabilitätspakts.

Außerdem wird ein neues Erfüllungskriterium in Zukunft viel stärker berücksichtigt. Bis jetzt war schon klar, dass es keine Verschuldung von mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geben darf. Dieses Kriterium ist aber nie Gegenstand von Sanktionen gewesen. Künftig müssen diejenigen mit Sanktionen rechnen, die diesen Schuldenstand überschreiten. Davon ist im Übrigen auch Deutschland betroffen; denn unsere Gesamtverschuldung liegt über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Abbau der Schulden muss nach den neuen Regeln um ein Zwanzigstel, also fünf Prozent, des Bruttoinlandsprodukts erfolgen. Dieser Aufgabe müssen auch wir in der Bundesrepublik Deutschland uns stellen.

Dass wir diese Regelungen so streng gefasst haben und dass kein einzelner Mitgliedstaat mehr dagegen opponiert, ist ein großer Fortschritt; denn von exorbitanten Schuldenständen einiger Mitgliedstaaten gehen große Gefahren aus, und zwar nicht nur für das Land, sondern, wie wir erlebt haben, für die Stabilität des Euros insgesamt.

Des Weiteren - auch das ist neu - arbeiten wir an einem neuen Überwachungsverfahren, mit dem wir die Entstehung schwerwiegender wirtschaftlicher Ungleichgewichte in Europa künftig vermeiden und notfalls gegensteuern können. Die Fragen in diesem Bereich werden sehr stark diskutiert, weil Ungleichgewichte natürlich auf verschiedenen Ursachen beruhen können. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben gegenüber vielen europäischen Ländern Exportüberschüsse. Wenn dies auf erhöhter Wettbewerbsfähigkeit beruht, darf dies natürlich nicht zum Gegenstand von Klagen werden - damit es da zu keiner Fehleinschätzung kommt -, sondern muss begrüßt werden.

Aber es gibt auch Länder, die sehr große Importüberschüsse haben; wir sprechen hier vom asymmetrischen Ansatz. Hier muss aufgepasst werden, ob sich nicht etwas andeutet, was langfristig oder mittelfristig zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Stabilitäts- und Wachstumspakts führt. Das heißt: Wir minimieren weitere Risiken, die die Finanzstabilität Europas als Ganzes gefährden könnten. Auch hier gilt: Künftig sind Sanktionen möglich, wenn ein Mitgliedstaat die Empfehlungen missachtet.

Wir haben klargestellt, dass Handlungsbedarf vor allem bei den Ländern mit Wettbewerbsschwächen besteht; denn Konvergenz in der Europäischen Union, insbesondere in der Euro-Zone, darf natürlich nicht Annäherung an die Schwächeren sein, sondern muss immer an den Stärkeren unter uns ausgerichtet sein, damit Europa als Ganzes wettbewerbsfähig bleibt.

Schließlich werden die ordentliche Haushaltsführung durch mehr Solidität und Verlässlichkeit der Statistiken in Zukunft verpflichtend vorgeschrieben, damit die Ergebnisse, die wir haben, wirklich vergleichbar sind. Auch das ist ein wichtiger Faktor. Wenn wir einmal an die griechischen Zahlen, die Eurostat gemeldet wurden, und an die Berichtigung der Zahlen zu den Defiziten denken, so wissen wir, wovon wir sprechen.

Es ist ein großer Erfolg, dass jetzt alle Mitgliedstaaten zu größeren Anstrengungen bereit sind. Die Richtlinien sind von der Kommission vorgelegt; sie werden im Europäischen Parlament und im Rat beraten und werden natürlich auch hier im Deutschen Bundestag Gegenstand von Beratungen sein.

Zweitens. Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit. Dafür verpflichten wir uns zu Strukturreformen und zur engeren Koordinierung unserer Wirtschaftspolitiken. Für die dauerhafte Stabilisierung des Euros sind die Reformanstrengungen in den einzelnen Euro-Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung. Alle Euro-Staaten - ich beziehe Deutschland ausdrücklich mit ein - müssen mehr tun, um wettbewerbsfähiger zu werden. Ich möchte an dieser Stelle dem Ratspräsidenten Herman Van Rompuy ausdrücklich danken, dass er gemeinsam mit dem Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso die Verhandlungen über den Pakt für den Euro geführt hat.

Es ist gelungen, auch etliche Nicht-Euro-Staaten für unseren Pakt zu gewinnen. Polen und Dänemark haben ihre Unterstützung bereits öffentlich bekannt gegeben; ich halte das für ein gutes Zeichen. Mir war die Öffnung dieses Paktes für alle besonders wichtig; denn das Ziel muss sein, dass möglichst viele Länder der Europäischen Union der gemeinsamen Währung, dem Euro, beitreten. Je mehr Mitgliedstaaten sich dem Pakt anschließen, umso größer sind natürlich die gemeinschaftlichen Impulse für den Binnenmarkt.

Bei diesem Pakt geht es ausschließlich um nationale Zuständigkeiten. Deshalb werden die Verpflichtungen im Rahmen dieses Paktes natürlich ausführlich hier im Deutschen Bundestag debattiert. Das Europäische Parlament wird informiert; das ist klar; denn es ist eine Institution der Europäischen Union. Wir arbeiten und koordinieren uns aber in einem Bereich, der nationale Zuständigkeiten umfasst. Das heißt also, der Pakt setzt auf die direkte Verantwortlichkeit der Staats- und Regierungschefs, die sich in Zukunft persönlich zu Strukturreformen verpflichten und für die nationale Umsetzung sorgen müssen. Es versteht sich von selbst, dass dies der Unterstützung des jeweiligen Parlaments, in diesem Fall des Deutschen Bundestags und seiner Mehrheit, bedarf. Das heißt, das wird Gegenstand intensiver Diskussionen unter uns sein.

Wir machen damit die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zur Chefsache. Wir orientieren uns nicht an den Schwächsten, sondern an den Besten, und zwar nicht nur innerhalb Europas. Die ausdrückliche Verpflichtung ist vielmehr, sich auch an unseren strategischen Partnern, das heißt, an den Besten der Welt zu orientieren. Wir könnten natürlich Stabilität des Euros und Solidarität im Euro-Raum erreichen und gleichzeitig den Abstand zur Weltspitze immer größer werden lassen. Das ist nicht unser Ziel. Wohlstand für die Menschen, Arbeitsplätze für die Menschen in Deutschland werden nur erreichbar sein, wenn wir in Europa an der Spitze der Welt dabei sind; das ist die simple, aber unabdingbare Wahrheit.

Der Pakt nennt objektive Indikatoren. Die Kommission wird die Überwachung dieses Paktes vornehmen. Wir müssen eines sehen: Deutschland ist beileibe nicht überall und in allen Bereichen schon bei den Besten dabei. Auch wir müssen uns anstrengen. Deshalb haben wir ein Aktionsprogramm dem Parlament vorgelegt, das unter anderem die Ankündigung enthält, dass Deutschland schon früher die vorgegebenen Neuverschuldungsgrenzen erreichen wird. Zudem wird der Bund in diesem und im nächsten Jahr weniger neue Schulden machen, als es die Schuldenregel des Grundgesetzes vorsieht.

Wir wollen die regulierten Bereiche der Wirtschaft, zum Beispiel im Busfernlinienverkehr, öffnen.

Wir können darüber sehr viel reden: Mal sind es die Eisenbahnen, mal sind es die Busse, dann ist es der gemeinsame europäische Flugraum. Genau um diese Dinge geht es bei der Frage, ob sich Europa seinen Wachstumsfragen widmet oder nicht.

Aber ich werde lieber auf weitere Beispiele verzichten, weil es große Teile dieses Hauses nicht interessiert. Die Koalitionsfraktionen werden dann natürlich gern informiert.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich kümmere mich lieber um die wachsende Wettbewerbsfähigkeit Europas, als dass ich dauernd Rettungsprogramme für andere Länder machen muss. Wir setzen darauf, dass Europa insgesamt besser wird. Sie können sich dann ja um andere Dinge kümmern.

Ich komme nun zum dritten Ziel. Wir sorgen für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität. Dafür schaffen wir neben der heute bestehenden Fazilität, der EFSF, einen dauerhaften Stabilitätsmechanismus.

Wir haben bereits früh im letzten Jahr gefordert, dass der Mechanismus einer verlässlichen rechtlichen Grundlage bedarf. Nachdem der Bundestag die notwendige Vertragsänderung unterstützt hat, kann ich morgen beim Europäischen Rat dem einstimmigen Beschluss zur vereinfachten Änderung von Artikel 136 AEUV zustimmen. Anschließend muss dies natürlich national ratifiziert werden: bei uns mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates.

Die neue Vertragsbestimmung stellt auf unser Drängen hin klar, dass der Mechanismus nur dann aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euros als Ganzes zu wahren. Es handelt sich also um eine sogenannte Ultima-Ratio-Klausel. Sie schafft die gerade für Deutschland unabdingbare Rechtssicherheit für den neuen Mechanismus und erfüllt damit den Geist der Verträge.

Gegen große Widerstände hat Deutschland außerdem durchgesetzt, dass auch die folgenden wichtigen Kriterien bei der Konstruktion des dauerhaften europäischen Stabilitätsmechanismus eingehalten werden:

Erstens. Kredite des Mechanismus können nur als letztes Mittel vergeben werden, nachdem die Kommission und der IWF in Verbindung mit der EZB die Schuldentragfähigkeit des Antragstellers untersucht haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Es darf sich nur um Liquiditätsprobleme handeln.

Zweitens. Die Vergabe wird durch einstimmigen Beschluss entschieden. Das heißt, jeder Mitgliedstaat hat sein Stimmrecht in jedem einzelnen Fall. Voraussetzung ist immer, dass sich das entsprechende Euro-Mitglied zu harten Eigenanstrengungen im Rahmen der Programmauflagen verpflichtet.

Wenn ich in den Februar des vergangenen Jahres zurückblicke - damals haben wir uns viel über die Frage gestritten, wann Griechenland Unterstützung bekommen kann -, sage ich: Wir haben die Prinzipien jetzt richtig vereinbart.

Für uns war von Anfang an klar - das hat sich bewährt und ist im Zuge der Beratungen jetzt die gemeinsame Meinung aller -: Solidarität gibt es nur bei entsprechender Eigenanstrengung des einzelnen Landes, weil die Euro-Zone nur dann harmonisch zusammenhalten kann, wenn sich alle Länder auf ein gemeinsames Niveau verständigen.

Dazu bedarf es vieler Reformen in den einzelnen Ländern. Das war nicht unumstritten, genauso wenig wie die Frage, ob der IWF daran beteiligt wird, und vieles andere mehr. Heute nimmt das jeder als gegeben hin. Ich sage Ihnen: Es war richtig, dafür gekämpft zu haben, weil diese Prinzipien innerhalb der Euro-Zone allgemein gelten müssen.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus wird mit einer effektiven Darlehenskapazität von 500 Milliarden Euro ausgestattet. Sie wissen, dass wir diese Ausstattung im Rahmen eines AAA-Ratings wollen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus bildet damit ein tragfähiges Rettungsnetz für den äußersten Notfall. Er setzt sich zusammen aus Kapital und Garantien. Die Summe des Kapitals wird 80 Milliarden Euro betragen. In den Beratungen werde ich noch einmal darauf drängen, dass der Aufbau dieses Kapitalstocks über fünf Jahre verteilt wird, also in mehreren Zeitschritten abläuft, beginnend ab 2013.

Ich bedanke mich bei den Finanzministern dafür, dass sie das, was im Zusammenhang mit diesem Mechanismus zu klären war, weitestgehend geklärt haben, sodass wir im Europäischen Rat nur noch ganz wenige Fragen zu besprechen haben. Das ist sehr gut.

Die Haftung Deutschlands ist nach oben begrenzt. Die Finanzierung des Mechanismus wird von den teilnehmenden Mitgliedstaaten anteilig gewährleistet, wobei es im Grundsatz bei dem schon bisher verwendeten EZB-Kapitalanteilschlüssel bleibt. Er wird lediglich temporär geringfügig angepasst, um eine überproportionale Belastung einiger Mitgliedstaaten zu verhindern. Ich sage ganz klar: Mit der christlich-liberalen Koalition wird es keine Vergemeinschaftung von Schulden geben. Die wird es nicht geben.

Aus genau diesem Grund lehnen wir auch die Einführung von Euro-Bonds ab. Denn dies wäre die Vergemeinschaftung von Schulden und der Einstieg in eine gesamtschuldnerische Haftung. Wer solche Forderungen stellt, handelt nicht im Interesse der deutschen Steuerzahler. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Es geht aber nicht nur um die deutschen Steuerzahler. Ich bin dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sehr dankbar, der am Montag in Brüssel noch einmal bekräftigt hat, dass mit Euro-Bonds die Anreize für eine solide Haushaltspolitik leiden. Genau das darf nicht passieren. Das heißt, dass es nicht nur im Interesse des deutschen Steuerzahlers - was schon wichtig ist -, sondern auch im Interesse Europas ist, dass wir dies nicht machen.

Es wird also weder regelmäßige noch dauerhafte Transferleistungen geben. Zur dauerhaften Bewältigung der Herausforderung ist vielmehr ein konsequenter Konsolidierungs- und Reformweg unerlässlich. Dafür setzen wir uns ein. Wie schwierig das ist, haben wir am gestrigen Tag erlebt. Die portugiesische Regierung hatte uns auf dem Treffen der Euro-Gruppe ein umfassendes Reformprogramm für die Jahre 2011, 2012 und 2013 vorgelegt. Dieses Programm hat die Zustimmung der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank gefunden. Wir haben dem portugiesischen Premierminister Sócrates dafür - das will ich auch heute noch einmal tun - bei dem Treffen der Euro-Gruppe unsere Hochachtung ausgesprochen. Hier geht es um die Frage, ob die Finanzstabilität des Euro als Ganzes erhalten werden kann, und darum, dass ein Premierminister - dabei ist es mir egal, ob er zu einer sozialdemokratischen, einer christdemokratischen oder sonst einer Partei gehört - Verantwortung gezeigt hat. Dafür war ich dankbar. Es ist bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, dafür eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen. Beklagen Sie sich bitte nicht darüber, dass wir uns dann hier noch einmal mit den Folgen dieser Sache auseinandersetzen müssen. Ich sage nur, dass es ein richtiger und mutiger Schritt war und dass es auch zeigt, wie viel politischen Mutes es bedarf, wenn die Dinge in der Vergangenheit nicht richtig gelaufen sind.

Wir machen uns - um zum permanenten Stabilitätsmechanismus zurückzukommen - stark - das wird Teil des Mechanismus sein - für die Beteiligung privater Gläubiger. Dies ist ein immer wieder diskutierter Faktor. Ich glaube, es ist absolut richtig, zu sagen: Ab 2013 muss im Falle der nicht gegebenen Solvenz eines Staates die Beteiligung privater Gläubiger verpflichtend sein. Das haben wir gegen viele Widerstände durchgesetzt.

Ich sage ausdrücklich: Das, was von einer Seite dieses Hauses immer als Isolierung oder Alleinstehen Deutschlands betrachtet wurde, ist notwendig gewesen, damit wir zu einer vernünftigen Ordnung kommen; denn Sie sehen an den Märkten ganz deutlich, dass die Beteiligung privater Gläubiger eine notwendige Voraussetzung ist, um manche Probleme zu bewältigen. Auf jeden Fall haben wir in der Zukunft dieses Instrumentarium zur Verfügung. Das wird ein immanenter Bestandteil dieses neuen Mechanismus sein.

Für mich gilt weiterhin der Grundsatz, den ich auch am 15. Dezember in diesem Haus genannt habe: Niemand in Europa wird allein gelassen. Niemand wird fallen gelassen; denn Europa gelingt nur gemeinsam. Aber dies bedarf natürlich gemeinsamer Anstrengungen, also eines vernünftigen Verhältnisses von Eigenanstrengung und Solidarität.

Ich kann Ihnen sagen - so weit sind wir in den Gesprächen mit Irland noch nicht -, dass zum Beispiel Griechenland beim Treffen der Chefs der Euro-Zone am 11. März überzeugend die Fortsetzung der Strukturreformen dargelegt sowie ein 50 Milliarden Euro umfassendes Privatisierungsprogramm angekündigt hat.

Dass die übrigen Euro-Mitgliedstaaten bereit sind, solidarisch zu handeln, haben wir mit unserem Beschluss zum derzeitigen provisorischen Euro-Rettungsschirm am 11. März 2011 deutlich gemacht. Im Falle Griechenlands sind wir zu einer bestimmten Zinssenkung bereit.

Wir werden auch sicherstellen, dass das im Mai 2010 beschlossene Volumen des Euro-Rettungsschirms von 440 Milliarden Euro im Notfall effektiv zur Verfügung gestellt werden kann. Dies wird allgemein erwartet. Auch hier zeigen wir konkrete Solidarität und Verantwortung.

Ich bin überzeugt: Mit dieser Gesamtstrategie zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion wird das Jahr 2011 für den Euro und für die Europäische Union zum Jahr des Vertrauens.

Frau Dr. Enkelmann, Sie möchten also nicht, dass dieses Jahr zum Jahr des Vertrauens wird. Es ist interessant, dies festzuhalten. Wir wollen das. Ich glaube, das ist sehr wichtig und richtig. Ich würde an Ihrer Stelle, auch wenn es schwerfällt, in diesen europäischen Angelegenheiten einmal die Kraft aufbringen, ein kleines bisschen über den Tellerrand zu gucken. Dies würde Europa wirklich guttun. Sie erheben sich hier über die portugiesische Opposition und sind nicht einmal bei Sachen, bei denen Sie gar nichts zu entscheiden haben, bereit, eine ernsthafte Debatte zu führen. Das ist schon beachtlich, muss ich sagen.

Es geht um die dauerhafte Stabilität des Euro. Wir machen den Euro und Europa zukunftsfähig. Wir bringen Eigenverantwortung und Solidarität in ein ausgewogenes Verhältnis. Wir füllen somit - das ist das Eigentliche, das jetzt passiert - eine Lücke in der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion, die in ihrem ganzen Ausmaß erst im letzten Jahr offenbar geworden ist. Damit stärken wir die politische und die wirtschaftliche Glaubwürdigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion; denn nur ein stabiles und wettbewerbsstarkes Europa hat Gewicht in der Welt.

Die Stärkung der Europäischen Union und ihrer gemeinsamen Währung ist eine zentrale Aufgabe unserer Zeit. Die Bundesregierung setzt alles daran, diese zentrale Aufgabe so zu lösen, dass die Europäische Union insgesamt und damit alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union eine gute Zukunft haben. Für diesen Weg bitte ich den Deutschen Bundestag um Unterstützung, weil er aus meiner Sicht ein notwendiger Weg ist.


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Quelle:
Bulletin Nr. 32-1 vom 24.03.2011
Deutscher Bundestag
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
zum Europäischen Rat am 24./25. März 2011 in Brüssel
vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011