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REDE/887: Angela Merkel auf der Festversammlung der Max-Planck-Gesellschaft, 9.6.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der Festversammlung der Max-Planck-Gesellschaft am 9. Juni 2011 in Berlin:


Sehr geehrter Herr Professor Gruss,
sehr geehrter Herr Minister Barañao,
sehr geehrter Herr Zöllner,
meine Damen und Herren,

ich möchte Ihnen zuerst ein Kompliment für das Aussuchen des Veranstaltungsortes machen. Der Ort für die Festversammlung ist trefflich gewählt. Das Gebäude der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom verbindet nämlich auf bemerkenswerte Weise Alt und Neu zu einer Einheit - bildlich und wörtlich. Kern des Gebäudes ist das ehemalige Kaiserliche Telegraphenamt. Es steht für die Ursprünge der Telekommunikation in Berlin. Heute ist das Haus ein Aushängeschild einer ausgesprochen innovativen Branche. Die Erfahrungen der Tradition und das Zukunftsstreben der Moderne klug und bedacht miteinander zu verbinden, ist ein Erfolgsrezept, das sich auch die Max-Planck-Gesellschaft immer wieder zu eigen gemacht hat.

Die traditionsreiche Organisation steht heute für Spitzenforschung auf höchstem Niveau. Sie hat weltweit einen guten Namen; und selbst zu Hause schätzt man sie. Auch dass ihre Wurzeln hundert Jahre zurückreichen, ist alles andere als gewöhnlich. Im Januar 1911 trafen sich in der Königlichen Akademie der Künste am Pariser Platz Wissenschaftler, Industrielle und Politiker und riefen unter dem Protektorat Kaiser Wilhelm II. eine völlig neuartige Forschungsorganisation ins Leben: die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft - die Vorgängerorganisation der Max-Planck-Gesellschaft.

Die Grundidee war von Anfang an, Spitzenwissenschaftler gezielt zu unterstützen, indem man ihnen Freiräume für ihre Forschung bot. Die Initiative hierfür, solch eine Institution zu gründen, geht auf Adolf von Harnack zurück. Der bekannte Theologe und einflussreiche Wissenschaftsmanager war dann auch der erste Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Sie richtete für herausragende Wissenschaftler eigene Institute ein. Frei von den Pflichten der Lehre und Verwaltung sollten sie sich auf ihre Forschungsarbeit konzentrieren können; und das sollte auch in finanzieller Hinsicht gelten. So wurde auch die Idee der privaten Forschungsförderung in die Realität umgesetzt.

Das innovative Konzept hat also ganz auf die Kraft individueller Kreativität gesetzt. Es schuf Raum für wissenschaftliche Arbeiten, die an den Universitäten so keinen Platz fanden, und ermöglichte damit auch, völlig neue Gebiete in der Grundlagenforschung zu erschließen. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Insgesamt 15 Nobelpreisträger arbeiteten an den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Rasch hatte sie sich zu einer starken Säule des internationalen Wissenschaftsbetriebs entwickelt.

Doch die glanzvolle Entwicklung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sollte nicht ohne dunkle Schatten bleiben. Ideologie und Verbrechen des Nationalsozialismus hinterließen tiefe Spuren. Jüdische Wissenschaftler wie Albert Einstein, Fritz Haber oder Lise Meitner mussten Deutschland verlassen. Insgesamt verließ ein Drittel der wissenschaftlichen Mitglieder die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Hinzu kam, dass regimetreue Forscher ihre Arbeit auf menschenverachtende nationalsozialistische Ziele ausrichteten. Ob in medizinischen Einrichtungen oder in Instituten für Biologie, Psychiatrie, für Erblehre und Eugenik oder für Hirnforschung - hier haben Wissenschaftler große Schuld auf sich und ihre Institution geladen. So hat auch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft an dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte mitgeschrieben.

Die Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft während des Nationalsozialismus wurde erst spät zum Thema - viel zu spät, müssen wir aus heutiger Sicht sagen, denn es dauerte gut 50 Jahre, bis die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von ihrer Nachfolgeorganisation, der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, aufgearbeitet wurde. Es ist der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl, dem das Verdienst zukommt, 1997 eine unabhängige Kommission eingesetzt zu haben, die die Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft während des Nationalsozialismus aufarbeiten sollte. Dafür gebührt ihm großer Dank.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die Alliierten die Auflösung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft angeordnet. Aber sie ermöglichten eine Reorganisation unter neuem Namen. In Göttingen gelang 1948 der Neuanfang. Die Nachfolgeorganisation wurde nach Max Planck benannt, dem kurz zuvor verstorbenen Vater der Quantentheorie. Der Physiker und Nobelpreisträger war 1930 bis 1937 Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Der wachsende Druck der Nationalsozialisten hat ihn seinerzeit gezwungen, auf seine Wiederwahl zu verzichten. Deshalb war es sicherlich eine sehr symbolträchtige Namenswahl; es war auch eine glückliche, denn der Max-Planck-Gesellschaft gelang es sehr schnell, sich zu etablieren und wesentlich zum wissenschaftlichen Neubeginn der jungen Bundesrepublik beizutragen. Heute zählt sie längst zu den weltweit angesehensten Forschungseinrichtungen. Professor Gruss hat es schon angesprochen: 17 Nobelpreise, die an Forscher aus ihren Instituten verliehen wurden, sprechen für sich.

Wissenschaft, wenn sie verantwortungsvoll ist, findet nie nur im sogenannten Elfenbeinturm statt, sondern sie bemüht sich stets aufs Neue, neben dem Drang des Forschers nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch die ethischen Grenzen wissenschaftlichen Handelns zu erkennen. Jeder Tag bringt neue Entdeckungen mit sich. Unser Wissensstand erweitert sich rasant. Die Welt der Technologien wächst und wächst, immer wieder tun sich schier unbegrenzte Möglichkeiten auf. Genau das ist ja das Spannende an der Wissenschaft: eine unendliche Möglichkeit des Wachstums. Doch umso wichtiger ist es, sich bei jedem Schritt auch mit der Frage nach denkbaren Folgen auseinanderzusetzen. Nicht alles, was machbar ist, ist auch ethisch und gesellschaftlich wünschenswert. Ich halte jetzt sozusagen keinen Antivortrag zu Professor Gruss, aber ich sage, dass die Machbarkeit natürlich immer wieder hinterfragt werden muss.

Wir haben ein Grundgesetz, das die Freiheit von Wissenschaft und Forschung schützt; das ist ein Riesenerfolg. Diese Freiheit eröffnet die Spielräume, die für erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten unerlässlich sind. Aber alle Artikel des Grundgesetzes stehen in einem engen Zusammenhang mit Artikel 1 - damit, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und daher die Freiheit der Wissenschaft wie alle anderen Freiheiten, die wir haben, auch einer Begrenzung unterworfen ist. Das heißt, die Freiheit des Forschers ist niemals von der Verantwortung des Forschers zu trennen, so wie Freiheit und Verantwortung auch in keinem anderen menschlichen Bereich voneinander zu trennen sind. Der Mensch ist kein isoliertes Individuum. Er ist eingebunden in eine Gemeinschaft von Individuen mit jeweils eigenen Interessen und gleichwertigen Rechten und - am wichtigsten eben - seiner unveräußerlichen Würde.

Der bekannte Max-Planck-Forscher Carl Friedrich von Weizsäcker hat in diesem Zusammenhang sehr treffend formuliert: "Die Wissenschaft ist erst erwachsen, wenn sie die Verantwortung für ihre Folgen übernimmt." Das können wir jetzt in die Frage des Risikos einbeziehen und dann sagen: Natürlich ist das Streben nach Fortschritt für ein Hochtechnologie- und Industrieland wie Deutschland absolut notwendig, um sich Zukunft zu erschließen, um auch in Zukunft Wohlstand zu sichern. Wenn wir uns auch einmal die demografischen Fragen anschauen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, dann wissen wir, dass Neugierde eine immer weiter zu pflegende Eigenschaft und Tugend in unserem Lande sein muss. Deutschland ist nun nicht einfach ein Land der Angst, sondern es ist auch das Land der Ideen, ein Land, das für neue Technik, für Pioniergeist und höchste Ingenieurskunst steht. Manchmal erwächst auch aus der Betrachtung von Risiken durchaus ein interessanter Gedanke. Manchmal sind wir vielleicht auch, wenn wir alle Folgen bedenken, eben Menschen, die sich über alles Gedanken machen, vieles infrage stellen, nichts als total gegeben hinnehmen. Und so haben alle Eigenschaften, auch vielleicht typische Eigenschaften eines Volkes ihre Schatten-, aber auch ihre lichtvollen Seiten.

Das notwendige Streben nach Fortschritt mit grenzenlosem Fortschritt gleichzusetzen, wäre fatal. Die ethische Dimension muss immer im Auge behalten werden. Das gesamte Spannungsfeld erleben wir sicherlich auch im Bereich der Embryonenforschung. Hier ist die Frage, was wir dürfen, was wir können, was verantwortbar ist, eine, die auch im Deutschen Bundestag immer wieder mit großer Intensität und Leidenschaft diskutiert wird. Und ich glaube - das darf ich zumindest für mich sagen -, es sind mit die spannendsten Sitzungen, die wir haben, wenn es um grundsätzliche, um Gewissensfragen geht. Hierbei gibt es die ernsthaftesten Auseinandersetzungen, bei denen man zwischen den Parteien nicht mehr so einfach unterscheiden kann. Es ist immer sehr bewegend, wenn wir solche grundsätzlichen Fragen diskutieren. Es sind Forschungen gerade in diesen Bereichen, die einerseits segensreiche Entwicklungen mit sich bringen und andererseits immer die Gefahr von Zweckbestimmung des Menschen in sich bergen.

Wir haben auch immer wieder erlebt, dass sich Erfahrungs- und Erkenntnisstand ständig ändern und sich auch die Gewichtung pro und kontra bestimmte Technologien völlig verändern kann. Oft macht auch erst der Erfolg von bestimmten Technologien diese akzeptabel. Dabei denke ich zum Beispiel an die gentechnische Herstellung von Insulin - eine Frage, die uns Jahre, fast jahrzehntelang beschäftigt hat bis zu dem Moment, als es fast zu spät war, das Verfahren bei uns noch industriell zu nutzen. Als es dann möglich war, führte dies dazu, dass es vollständig akzeptiert wurde. Niemand würde heute mehr die Fragen aufwerfen, die früher noch aufgeworfen wurden.

Nun hat Herr Professor Gruss aus guten Gründen über die Energieforschung als Beispiel gesprochen, weil uns die Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima natürlich alle sehr beschäftigt hat, die im Übrigen, wie ich glaube, die ganze Welt beschäftigt hat, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Ich habe mich mit dem japanischen Premierminister unterhalten. Zumindest ist auch er wie viele andere der Meinung, dass man die Risiken der Nukleartechnologie auch dadurch einschränken kann, dass man Alternativen für die Energieerzeugung sucht.

Herr Professor Gruss hat auch auf die Ethikkommission hingewiesen, in der Politiker oder jedenfalls Menschen mit politischer Erfahrung, Wissenschaftler und Vertreter auch der Akademien in kurzer Zeit sehr intensiv diskutiert haben. Für mich war das eine sehr interessante Debatte - auch über die Frage: Wie ordne ich Risiken ein? Ich glaube wie Professor Gruss, dass diese Ethikkommission sehr stark zur Versachlichung der Debatte beigetragen hat, indem sie letztlich gesagt hat: Es gibt Risiken, die wir im Zusammenhang mit der Kernenergie sehen, die weit über unsere eigene Generation, auch weit über den örtlichen Anwendungsbereich der jeweiligen Technologie hinausgehen, weshalb man versuchen sollte, in einer vertretbaren Weise aus dieser Technologie auszusteigen, also nicht mit dem Risiko, zum Beispiel Strom aus Kernenergie importieren oder auf Stromversorgung verzichten zu müssen und damit Wohlstand zur Diskussion zu stellen.

Ich glaube - zumindest sagt uns das die Ethikkommission; und das sollte auch unser Anspruch sein -, dass wir es schaffen können, innerhalb der nächsten zehn Jahre keinen kurzfristigen Anstieg der CO2-Emissionen im Lande zu haben. Das setzt allerdings voraus, dass wir neben der Suche nach anderen Arten der Stromerzeugung auch sehr viel mehr in anderen Bereichen tun. Wenn wir nur die Stromerzeugung ins Blickfeld nähmen, würden wir einen Anstieg der CO2-Emissionen bekommen; das ist keine Frage. Aber es ist so, dass von unserem gesamten Energieverbrauch 40 Prozent allein in die Wärmeversorgung gehen und wir hier erhebliche Potenziale haben, die wir auch heben wollen, indem wir zum Beispiel die Gebäudesanierung im Altbaubestand sehr stark vorantreiben. Ich glaube ohnehin, dass wir die energiepolitische Debatte so führen müssen, dass noch mehr Menschen verstehen, worum es geht. Denn Energieversorgung eines hochindustrialisierten Landes ist in der Tat ein Kernpunkt für Wohlstand.

Wir haben heute im Deutschen Bundestag über die Umsetzung der Beschlüsse, die uns die Ethikkommission mit auf den Weg gegeben hat, gesprochen. Wir haben vor allen Dingen darüber gesprochen, dass, wenn wir einen solchen Weg gehen, wir nicht nur sagen, was wir nicht wollen, sondern vor allen Dingen sagen, was wir wollen und wie wir das machen. Denn wenn sich Deutschland jetzt der Erforschung der erneuerbaren Energien und zum Beispiel auch der Speicherung von Energie in voller Breite und Intensität widmet, dann können daraus auch Zukunftsoptionen entstehen, die uns große neue Möglichkeiten bieten.

Ich weiß, dass der Weg, den wir jetzt gehen, nicht ohne Risiko ist. Deshalb wird man auch sehr streng und nachprüfbar Jahr für Jahr analysieren müssen: Wo steht man? Ein Land, das in zehn Jahren es nicht schafft, 100 Kilometer Höchstspannungsleitungen zu bauen, wird sich schwertun, das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu erreichen. Deshalb muss sich an dieser Stelle etwas ändern. Aber ich glaube, dass wir als Angebot für andere Länder - ohne jetzt moralisch überheblich sein zu wollen - auch zeigen könnten, dass man ein hochentwickeltes Industrieland sein kann und dennoch Kernenergie nicht unbedingt braucht.

Nun sind wir in einer Ausgangssituation, die relativ komfortabel ist. Wir erzeugen nur 23 Prozent unseres Stroms aus Kernenergie, andere Länder haben einen viel höheren Anteil. Deshalb können wir diesen Weg auch verantwortbar einschlagen. Aber wenn man sich die Welt vorstellt, wenn man sich die terroristischen Gefahren, die regionalen Auseinandersetzungen vor Augen führt, dann, muss ich Ihnen sagen, wäre es nicht schlecht, einmal zu zeigen, dass man eine gute wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand haben kann und trotzdem nicht unbedingt auf die Kernenergie angewiesen ist. Ich kann mir viele Regionen dieser Welt vorstellen, in denen erhebliche Gefährdungen vorhanden sind. Deshalb wird es auch in Zukunft sehr darauf ankommen, über die Sicherheitsstandards von Kernenergie zu sprechen.

Die Max-Planck-Gesellschaft hat sich in der letzten Zeit gerade auch der Energieforschung in höchstem Maße zugewandt, wenngleich Herr Professor Gruss gesagt hat, dass es natürlich noch viele andere Bereiche gibt.

Ich will noch ein letztes Wort zur Kernfusion sagen: Ich glaube, dass sie Potenziale bietet. Allerdings muss ich sagen, dass mich die Kostenexplosionen in bestimmten Bereichen nicht völlig sorglos stimmen, wenn ich daran denke, was wir zum Beispiel von der ITER-Front hören. Wir können auch keine monothematische Forschungsausrichtung machen; das sage ich bei allem Bekenntnis zu ITER, zum Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, das ja in der Nähe meines Wahlkreises liegt und das ich natürlich schon allein deshalb lieben muss. Aber wir brauchen eine ausgewogene Vorgehensweise. Es gibt auch viele andere sehr spannende, hochinteressante Forschungsgebiete.

Die Max-Planck-Gesellschaft ist immer am Puls der Zeit und trotzdem unbeirrbar, unbestechlich, was auch die Verfolgung bestimmter Forschungsgebiete anbelangt, denn das ist ja auch wichtig. Bei allem, was man heute an Medienpräsenz haben muss, bei allem, was man auch den Menschen erklären muss - Hiphop bei der Forschung ist nicht die Antwort auf das, was man braucht. Oft entstehen Dinge unverhofft, ungeplant; und darin liegt ja auch der Charme der Freiheit des Wissenschaftlers. Deshalb muss auch immer das rechte Maß und die Balance gefunden werden. Ein Thema, das vor einem halben Jahr ganz interessant war, kann heute vielleicht gar nicht mehr so interessant sein. Deshalb ist die Forschungsbreite, wie sie in den Forschungsinstituten der Max-Planck-Gesellschaft angelegt ist, wirklich wichtig.

Wir haben in der letzten Zeit neben den vergleichsweise berechenbaren finanziellen Zusagen auch in Krisenzeiten - auch aus der Überzeugung als Bundesregierung heraus, dass wir als eine Gesellschaft, die im Durchschnitt älter wird, gerade in Forschung und Entwicklung investieren müssen - relativ gute Mechanismen für den Dialog zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und wirtschaftsnaher Forschung gefunden. Ich schätze gerade auch den Innovationsdialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Wir versprechen uns davon hilfreiche Aufschlüsse darüber, wie wir Technologielinien mit hohem Potenzial für Wertschöpfung und Beschäftigung noch besser identifizieren können und wie es uns gelingen kann, solche Technologien auf den Märkten zu platzieren. Wir sehen aber auch, wie notwendig es ist, Grundlagenforschung Zeit zu geben, um sich entwickeln zu können, und nicht alles vonseiten der Politik vorhersagen zu wollen. Ich sage immer: Wenn ein Thema auf der Feuilleton-Seite einer großen Zeitung aufgetaucht ist, neigen wir ja alle, die wir nicht oder nicht mehr in der aktiven Forschung sind, dazu, dieses als besonders wichtig zu erachten. Aber man sollte immer mit Respekt bedenken, dass es noch viele andere Themen gibt, die es nicht bis dorthin schaffen und trotzdem wichtig sein können.

Ich bin Ihnen, Herr Professor Gruss, sehr dankbar dafür, dass Sie an unserem Innovationsdialog mitwirken. Ich glaube, dass die Max-Planck-Gesellschaft - da spreche ich für die ganze Bundesregierung - ein kompetenter, verlässlicher Partner in unserer Forschungs- und Innovationspolitik ist. Wir versuchen, Sie zu unterstützen, wir versuchen, Ihnen nicht allzu viel hineinzureden. Deshalb wollen wir auch an die Erfolge des Pakts für Forschung und Innovation anknüpfen. Wir erhöhen die finanziellen Mittel jährlich jeweils um fünf Prozent. Denn Forschung und Entwicklung betrachten wir als Eintrittskarten auch für den Wohlstand von morgen.

Wir müssen auch die Strukturen verändern - Professor Gruss hatte nett darauf hingewiesen. Wissenschaftsfreiheitsgesetz, bürokratische Hürden - vieles muss immer wieder überdacht werden. Zum Wissenschaftsfreiheitsgesetz kann ich nur sagen: Ich bin dafür. Wir müssen nur aufpassen, dass die, die immer erfolgreich an einem Institut arbeiten, nicht zum Schluss am schlechtesten wegkommen. Man darf das Hopping nicht dadurch fördern, dass man mit jedem Wechsel - insbesondere wenn man aus dem Ausland nach Deutschland zurückkommt - besonders gut gestellt wird, sonst geht nämlich jeder erst einmal ins Ausland, bevor er wieder zurückkommt. Also, auch da sind die Fragen der Balance zu betrachten. Das heißt, Unterstützung muss nach strengen wissenschaftlichen Leistungskriterien erfolgen und nicht allein nach der Frage, ob jemand von möglichst weit herkommt.

Wir versuchen, Ihnen seitens der Politik genug Luft zum Atmen zu lassen. Ich bitte Sie aber auch, sich nicht selber mehr Ärger zu machen, als notwendig ist, was Berichtspflichten und sonstiges anbelangt. Aber genau so viel zu behalten, was gebraucht wird, um den Überblick zu behalten - das ist ja auch immer eine schwierige Frage der Balance. Wenn man aber manchmal den Eindruck hat, dass einem die Begutachtungen fast den ganzen Tag rauben, dann wäre das schlecht. Insofern: Haben Sie ein Einsehen mit all Ihren Direktoren, die manchmal auch noch etwas Eigenes forschen müssen. Aber das nur als Randbemerkung; das wird zum Schluss nämlich immer uns in die Schuhe geschoben. Deshalb dürfen Sie da ruhig ein gewisses Widerstandspotenzial entwickeln.

Kenntnis, Können, Kreativität - das sind die Schlagworte, mit denen sich die Max-Planck-Gesellschaft immer wieder in die Herzen des Landes gebracht hat. Bleiben Sie ein Hort der Wissenschaft, eine Quelle der Innovation. Seien Sie weiter neugierig. Erfreuen Sie uns mit neuen Erkenntnissen und damit, dass die Max-Planck-Gesellschaft auch im Ausland immer einen guten Namen hat.

Dass der argentinische Wissenschaftsminister heute hier ist, spricht ja dafür, dass Sie auf den verschiedensten Kontinenten wirklich eine gute Reputation haben. Die Wissenschaft bietet ja auch Möglichkeiten, Globalisierung zu leben. Deutschland möchte dazu einen Beitrag leisten. Ich darf Ihnen auch sagen: Inzwischen gibt es in Deutschland vielfältige Möglichkeiten, nicht nur in Deutsch zu studieren und zu promovieren. Die Menschen in der Wissenschaft können meist noch eine zweite Sprache. Das muss nicht unbedingt Spanisch sein, Englisch ist es schon eher. Man muss nicht immer nach Großbritannien oder Amerika gehen. Jeder Wissenschaftler und Student ist uns in Deutschland herzlich willkommen. Wenn Sie das meiner Kollegin, Präsidentin Kirchner, neben einem herzlichen Gruß mit auf den Weg geben - stellvertretend für alle anderen Länder, aus denen wir auch gern Gäste bei uns haben -, wäre das schön.

Herzlichen Dank, dass ich heute dabei sein durfte. Forschen Sie weiter, seien Sie weiter so erfolgreich. Und glauben Sie nicht, dass Sie nur mit einer "German Angst" leben müssen. Es gibt auch außerhalb der Max-Planck-Gesellschaft viele neugierige, fröhliche Leute, die Risiken eingehen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 62-1 vom 14.06.2011
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der Festversammlung der
Max-Planck-Gesellschaft am 9. Juni 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2011