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REDE/903: Minister Thomas de Maizière zum Haushaltsgesetz 2012, 23.11.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Jahr 2011, das jetzt schon fast zu Ende geht, war in der Tat ein Jahr vieler sehr, sehr wichtiger Entscheidungen für die Bundeswehr. Es begann mit der Aussetzung der Wehrpflicht.

Das Zweite war die Vorlage der Verteidigungspolitischen Richtlinien im Mai. Es folgte im Zusammenhang damit die Festlegung des Gesamtumfangs der Streitkräfte - es war schon die Rede davon - bis zu 185.000: 170.000 plus 5.000 plus x.

Der nächste Schritt war die Beschlussfassung über den Haushalt auf Regierungsebene mit dem 45. Finanzplan, der hier sehr unterschiedlich bewertet wird. Ich finde das Ergebnis gut. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück.

Es folgte dann die Entscheidung über die Grobplanungen im Einzelnen: Wie groß soll das Heer sein, wie groß die Luftwaffe oder wie groß die Marine? In der Tat, Herr Lindner, haben wir uns für den Grundsatz "Breite vor Tiefe" entschieden. Wir sind zum Beispiel dem Vorschlag des von mir im Übrigen wirklich sehr geschätzten Vorsitzenden der sogenannten Weise-Kommission, Herrn Weise, nicht gefolgt und haben nicht gesagt: Wisst ihr was? Wir können im Rahmen von "Pooling & Sharing" auf die Marine verzichten; denn Großbritannien hat eine Marine.

Das würde nicht nur bei Herrn Bartels, Herrn Koppelin, Herrn Gädechens und so weiter auf Probleme stoßen, sondern das wäre auch falsch. Der Grundsatz "Breite vor Tiefe" ist, wenn die Breite eine vernünftige Form hat, richtig. In dieser Auffassung unterscheiden wir uns.

Es folgten die Entscheidung zur Verkleinerung und Umstrukturierung des Ministeriums, das Reservistenkonzept, die Liste mit Angaben zu den Großgeräten, die Aufsetzung eines neuen Beschaffungs- und Rüstungsprozesses - dazu sage ich gleich noch ein paar Worte - und schließlich die Stationierungsentscheidung am 26. Oktober. Diese war - Herr Willsch und einige andere haben es bereits gesagt - eine Folge der vorhergehenden Entscheidung. Die Stationierungsentscheidung ist nicht die Neuausrichtung, sondern eine logische Folge von alldem. Ich verstehe die Sorgen und Nöte der Betroffenen vor Ort, ob es die Angehörigen, der Bäcker um die Ecke oder der Bürgermeister sind. Darüber wird zu sprechen sein. Die Entscheidung selbst war notwendig. Ich bedanke mich für die - jedenfalls im Großen und Ganzen - damit verbundene Akzeptanz.

Ausgangspunkt unserer Überlegung war das Ziel, über Streitkräfte zu verfügen, die dem Stellenwert und der Verantwortung unseres Landes entsprechen und bei denen Auftrag und Mittel zusammenpassen. Die Neuausrichtung ist - wir haben darüber diskutiert - sicherheitspolitisch begründet. Sie ist mit Blick auf unsere kleiner werdenden Jahrgänge demografisch abgesichert, und sie ist solide finanziert. Wir brauchen die Neuausrichtung, um die Herausforderungen und Gefährdungen unserer Sicherheit zu meistern.

Die Finanzausstattung mit 31,9 Milliarden Euro ist nicht üppig. Aber sie ist angemessen, und sie ist - soweit das angesichts der Zeit, in der wir leben, überhaupt möglich ist - mittelfristig gesichert.

Folgendes ist uns gelungen - ich will nur ein paar Beispiele nennen; einige sind schon genannt worden -:

Wir werden ein zusätzliches Reformbegleit- und Attraktivitätsprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro aufstellen. Es wird in den nächsten Jahren etwas aufwachsen.

Wir haben die Ausgaben für die internationalen Einsätze um 250 Millionen Euro erhöht. Frau Buchholz, das wollten wir tun, weil wir finden, dass der Schutz der Soldaten, die in unserem Auftrag tätig sind, oberste Priorität hat.

Wir haben die Ausgaben für die Materialerhaltung gegenüber der bisherigen Planung um 212 Millionen Euro verstärkt; denn da gab es immer einen Engpass. Das war auch immer eine Art Sparbüchse: Wenn es nicht gereicht hat, dann wurde beim Benzin gespart. Das wollen wir ändern.

Darüber hinaus nehmen wir - Herr Koppelin hat darauf hingewiesen; dafür bin ich besonders dankbar - 6.000 Planstellenverbesserungen für die Mannschaftsdienstgrade und rund 500 Stellenhebungen für Soldaten und zivile Mitarbeiter im unteren Bereich vor. Gestern hat Herr Schneider im Zusammenhang mit der ersten Lesung des Etats des Finanzministeriums Stellenhebungen kritisiert. Einige haben ihn mit Zwischenrufen darauf hingewiesen, dass das zumindest für diesen Bereich nicht gelten kann. Wenn man für die Kleinverdiener etwas macht, dann verdient das Lob und nicht Tadel.

Ich werde den Dank an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium weitergeben. Gerne erwidere ich den Dank, und zwar nicht nur an die Berichterstatter aller Fraktionen, sondern auch an deren Mitarbeiter und an den Haushaltsausschuss im Ganzen.

Ein solcher Stil und ein solches Klima in diesen Debatten, nämlich dass nicht mit Leidenschaft um die großen Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gerungen wird, sondern dass es hier eine große Einigkeit gibt, ist, zumindest wenn man sich einmal die Geschichte der westdeutschen Bundesrepublik anschaut, nicht selbstverständlich. Die PDS-Linken schließen sich da aus. Um es einmal so zu sagen: Ich wäre aber auch besorgt, wenn es anders wäre.

Bei allen anderen freue ich mich darüber. Vielleicht denken die Grünen einmal darüber nach, ob Sie bei aller Kritik im Einzelnen, die man natürlich haben kann und die auch wir haben - die SPD kritisiert die Reduzierung auf nur noch 55.000 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; die Grünen plädieren sogar für eine noch kleinere Armee mit 160.000 Soldaten; sie haben allerdings nie gesagt, ob etwa auch die freiwillig Wehrdienstleistenden und andere dazugerechnet werden sollen -, nicht doch wieder zu einem Konsens zurückkommen wollen. Wenn ich die momentanen Differenzen ausblende, muss ich feststellen: Dass Union, FDP und SPD in Bundeswehrfragen einen Konsens hatten, hat dieser Republik in den letzten 60 Jahren ziemlich gut getan. Ich möchte, dass das so bleibt.

Ein Wort zur Rüstungsindustrie. Herr Koppelin hat bereits darauf hingewiesen, dass wir schwierige Gespräche geführt haben. Man muss wissen, dass die Entwicklung in anderen Staaten ähnlich verläuft. Aber ich muss wiederholen - das sagen alle meine Kollegen; der französische Verteidigungsminister kommt nachher in den Verteidigungsausschuss -: Unsere Beschaffungsprozesse sind absolut unzureichend. Das liegt an der Bestellerseite, aber auch an der Unternehmensseite. Die Qualität stimmt oft nicht. Preisabsprachen werden nicht eingehalten, und es wird nicht pünktlich geliefert. So können wir nicht weitermachen. Wir werden sehr harte Gespräche führen, mit dem Ziel, das zu ändern, aber nicht um einzusparen, sondern um überhaupt wieder Spielraum für neue Beschaffungen zu bekommen.

Ein Wort zum Reformbegleitprogramm. Wir reden viel über Strukturen. Aber es geht hier in erster Linie um Menschen, um die Soldatinnen und Soldaten sowie um die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für sie alle wollen wir etwas tun, und zwar sowohl für diejenigen, die bleiben - sie sollen eine Erhöhung der Vergütung für besondere zeitliche Belastungen erhalten -, als auch für diejenigen, die die Bundeswehr verlassen müssen. Das kann man angesichts des Personalabbaus bei den zivilen Beschäftigten in den vergangenen 20, 30 Jahren vielleicht großzügig nennen. Aber ich halte es für angemessen. Derjenige, von dem viel verlangt wird, kann auch ein besonderes Maß an Fürsorge erwarten. Das wollen wir hiermit bieten. Ich hoffe, dass wir über den entsprechenden Gesetzentwurf, sobald er vorliegt, zügig beraten werden.

So viel zu den Entscheidungen in diesem Jahr. Das war, ehrlich gesagt, noch der leichtere Teil der Übung; denn jetzt geht es um die Umsetzung. Sie wird schwierig und ist nicht in einem Jahr zu machen. Dafür brauchen wir Jahre. Wir müssen das alles kontinuierlich umsetzen, Mentalitäten verändern, den Spaß an Verantwortung fördern und so arbeiten, dass Führen mit Auftrag auf allen Ebenen Realität und nicht nur Anspruch ist; das dauert. Die Mühen der Ebenen sind oft größer als die Mühen des Aufstiegs.

Wir müssen das alles bei laufenden Einsätzen tun. Wir werden im Dezember in erster Lesung über den ISAF-Einsatz in Afghanistan beraten; Herr Koppelin und andere haben davon in der außenpolitischen Debatte schon gesprochen. Ich würde mich freuen, wenn auch hier große Einigkeit über Ziel und Umsetzung bestünde.

Wir werden später die Anträge auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Atalanta und an Active Endeavour diskutieren. Der französische Verteidigungsminister kommt nachher in den Verteidigungsausschuss. Wie gesagt, wir müssen alles bei laufenden Einsätzen machen. Es handelt sich quasi um eine Operation am offenen Herzen. Wir wollen bündnisfähig bleiben und unseren Verpflichtungen nachkommen und gleichzeitig Umstrukturierungen vornehmen. Das verlangt viel Kraft, viel Aufmerksamkeit, viel Fürsorge und viel Unterstützung. Ich spüre diese Unterstützung für die Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier und außerhalb des Hauses. Dafür bedanke ich mich. Ich bitte darum, dabeizubleiben, auch wenn es bei der Umsetzung das eine oder andere Problem gibt. Ich freue mich über die Zustimmung zum Einzelplan 14, die wir hoffentlich gleich erleben werden.


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Quelle:
Bulletin Nr. 124-3 vom 23.11.2011
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011