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REDE/915: Dr. Thomas de Maizière zum Haushaltsgesetz 2013, 12.09.2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zum Haushaltsgesetz 2013 vor dem Deutschen Bundestag am 12. September 2012 in Berlin:



Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir debattieren heute in erster Lesung über den Haushalt des Verteidigungsministeriums. Ich will deshalb meinen Debattenbeitrag dazu nutzen, über den Haushalt und die Bundeswehr im engeren Sinne zu sprechen und nicht über Sicherheitspolitik, Mandate, Afghanistan oder Drohnen - ein anderes Mal gerne, Herr Mützenich -, weil ich glaube, das entspricht der Tagesordnung.

Der Regierungsentwurf sieht für den Verteidigungshaushalt einen Betrag von 33,3 Milliarden Euro vor. Das ist im Verhältnis zum Vorjahr ein Anstieg um 1,4 Milliarden Euro. Das ist viel in Zeiten der Konsolidierung.

Wie erklärt sich dieser Anstieg? Das ist im Wesentlichen mit rund einer Milliarde Euro die Umsetzung der Lohn- und Gehaltsrunden im öffentlichen Dienst. Die Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes und die Gehaltserhöhung in den Verhandlungen über den öffentlichen Dienst bedeuten für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr ab 1. Januar 2012 eine Lohnerhöhung um insgesamt 5,82 Prozent. Zum 1. Januar 2013 und im August 2013 kommen jeweils weitere 1,2 Prozent dazu. Eine solche Steigerung des Einkommens von Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr hat es lange nicht gegeben.

Ich bin sehr dankbar - jetzt komme ich zum Haushalt zurück -, dass die Mittel zur Deckung der Kosten dieser Lohn- und Gehaltsrunde im Jahr 2013 und für die ganze Finanzplanung bis 2016 dem Einzelplan 14 zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Alles andere wäre, ehrlich gesagt, auch eine Katastrophe gewesen. Wir wären außerstande gewesen, eine Milliarde Euro aus dem laufenden Geschäft "herauszuschwitzen". Sie sehen an diesem Beispiel: Die nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr stellt eine permanente Herausforderung dar. Aber bisher ist sie gelungen. Wir werden unserer Verantwortung gerecht. Unser Haushalt kann sich sehen lassen, auch international, insbesondere im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich. Insgesamt belaufen sich die Ausgaben für verteidigungsinvestive Ausgaben auf 7,1 Milliarden Euro. Damit können wir die laufenden militärischen Beschaffungsvorhaben ebenso gewährleisten wie die Deckung des durch die Neuausrichtung entstandenen Mehrbedarfs bei Infrastruktur und Informationstechnik.

Bei den internationalen Einsätzen machen wir keine Abstriche, wenn es um die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten geht. Was im Einsatz benötigt wird - ich unterstreiche das Wort "benötigt" -, muss schnellstmöglich zur Verfügung stehen. Das erwarten die Soldatinnen und Soldaten genauso wie die Bürgerinnen und Bürger.

Nun ist die Neuausrichtung der Bundeswehr auch mit einem Personalabbau verbunden; das wissen wir alle. Darum will ich nicht herumreden. Parallel zum Personalabbau muss es aber auch einen Personalaufbau geben; denn nur mit neuem Personal lassen sich einsatzbereite und motivierte Streitkräfte erhalten. Die bisherigen Bewerberzahlen sowohl bei den Zeit- und Berufssoldaten als auch bei den freiwillig Wehrdienstleistenden stimmen mich zuversichtlich. Unabdingbar für eine attraktive Bundeswehr sind eine ausgewogene Alters- und Dienstgradstruktur im militärischen und im zivilen Bereich sowie berufliche Perspektiven. Dies schließt finanzielle Verbesserungen ein.

Mit dem Bundeswehrreform-Begleitgesetz, das Sie dankenswerterweise vor kurzem verabschiedet haben, haben wir ein Instrument, um beides zu erreichen. Es hilft uns, die erforderlichen Personalabbauschritte sozialverträglich zu vollziehen und gleichzeitig die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern. Mit 250 Millionen Euro im Jahr 2013 und 300 Millionen Euro pro Jahr in den Folgejahren steht ein erhebliches Finanzvolumen zur Verfügung, um zahlreiche nachhaltige Maßnahmen zu realisieren. Ich will auch daran erinnern, dass wir die Vergütung für mehr geleistete Arbeit zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Bundeswehrreform-Begleitgesetzes um 83 Prozent von 35,74 Euro auf 65,50 Euro pro Tag erhöht haben.

Nun ist die Attraktivität eines Arbeitsplatzes Gott sei Dank nicht nur über das Geld zu definieren. Aber diese Maßnahmen sind wichtig. Sie können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn es uns auch künftig gelingt, überzeugend zu vermitteln, welchen einzigartigen und welchen unverzichtbaren Dienst die Angehörigen der Bundeswehr für unser ganzes Land leisten. Dieser Dienst ist nicht leicht und oft gefährlich. Ihm gebührt deshalb die Wertschätzung unseres ganzen Landes, erst recht in einer Zeit tiefgreifender, ja allumfassender Veränderungen.

Vor einem Jahr habe ich Sie an dieser Stelle über die beabsichtigten Maßnahmen im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr unterrichtet. Zwischenzeitlich sind viele grundlegende Elemente der Neuausrichtung der Bundeswehr entschieden und auf den Weg gebracht worden. Ich nenne als Beispiele nur die Festlegung der Zahl der Großwaffensysteme, die Entscheidungen zur Stationierungsplanung, die Neuorganisation des Ministeriums und vor allem die Realisierungsplanung für jede einzelne Dienststelle im Juni dieses Jahres. Fast 5.000 von 6.400 militärischen und zivilen Organisationseinheiten haben wir neu geplant. Fast 5.000 von 6.400! Das Ministerium sowie alle Kommandobehörden und Bundesoberbehörden in meinem Geschäftsbereich werden neu aufgestellt. Das war und ist eine gewaltige Arbeit. Die Neuausrichtung war, ist und bleibt deswegen eine hochkomplexe Herausforderung. In fast allen Bereichen, bei fast allen Strukturen und Prozessen kommt es zu massiven Veränderungen - und das alles gleichzeitig. Wir müssen 240.000 Menschen einen Dienstposten zuweisen und für die anderen einen umsichtigen Personalabbau realisieren. Die Neuausrichtung der Bundeswehr verlangt deshalb allen Beteiligten und Betroffenen besondere Anstrengungen und viel Ausdauer ab. Nur mit diesem umfassenden Ansatz macht die Neuausrichtung allerdings auch Sinn.

Nun führen Geld und auch organisatorische Maßnahmen alleine noch nicht zum Erfolg. Es muss uns gelingen, nicht nur die Köpfe und die Statistiken, sondern auch die Menschen und die Herzen zu überzeugen. Wir haben in den vergangenen Tagen viel über eine kritische Stimmung in der Bundeswehr gehört. Das ist in diesem Stadium eines derart umfassenden Veränderungsprozesses auch nicht ungewöhnlich, sondern geradezu verständlich und zu erwarten. Ich nehme das Ergebnis beider Studien ernst, und es beschäftigt mich.

Die Soldatinnen und Soldaten, die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundeswehr wollen diese Veränderung. Das ist ein ganz interessantes Ergebnis. Drei Viertel aller Führungskräfte halten die Neuausrichtung für notwendig. Mit der Umsetzung sind aber fast ebenso viele unzufrieden. Nun beginnt die Umsetzung aber gerade erst. Mit dem Ministerium haben wir im April angefangen. Im September und Oktober werden die militärischen Kommandobehörden und Bundesoberbehörden neu aufgestellt. Danach beginnt die Umstrukturierung oder Aufstellung der einzelnen Dienststellen in der Fläche. So stellen wir sicher, dass diese tiefgreifende Strukturreform sauber durchgeplant und systematisch erfolgt sowie nachhaltig ist.

Planungssicherheit für die Menschen in der Bundeswehr wird sich erst allmählich herstellen. Natürlich beeinflusst die persönliche Betroffenheit die Beurteilung des Gesamtprozesses. Vertraute Orte und Einheiten verlassen zu müssen, sich in neuen Strukturen und Abläufen zurechtzufinden, eine neue militärische oder zivile Aufgabe zu übernehmen oder gar zu hören, dass es für einen selbst gar keinen Dienstposten mehr gibt, verlangt viel von jedem Einzelnen und von jeder Familie. Umbau, Umstellungen, Umzüge - das schafft natürlich Unsicherheit und kostet Kraft, aber es ist unvermeidlich.

Wer daher die Situation unserer Soldaten und Mitarbeiter kennt, den überraschen die Ergebnisse der aktuellen Studien des BundeswehrVerbandes und meines Hauses nicht. Sie beschreiben realistisch die Stimmung in der Bundeswehr. Ich will die Ergebnisse deshalb auch nicht beschönigen. Im Gegenteil: Es ist richtig und wichtig, dass wir unseren Entscheidungen ein realistisches Bild der Lage zugrunde legen. Wir werden die Ergebnisse der beiden Studien berücksichtigen.

Das betrifft zum einen die Kommunikation. Zusammenhänge zwischen dem von der Mehrheit erkannten Handlungsbedarf, den Entscheidungen und der Umsetzung müssen wir besser als bisher erläutern.

Und: Die Einbindung der Führungskräfte in den Prozess der Neuausrichtung muss besser werden.

Ein Teil der Unzufriedenheit ist schließlich wohl auf das hohe Tempo zurückzuführen, mit dem wir die Neuausrichtung vorangetrieben haben und nach meiner Auffassung vorantreiben müssen, damit die Veränderungen nicht zum Dauerzustand werden.

Der zentralen Rolle der Führungskräfte für den Erfolg der Neuausrichtung sind wir uns bewusst. Deshalb wird sie Thema der Bundeswehrtagung in sechs Wochen sein. Mir hat, Herr Bartels, einer meiner Gesprächspartner in diesem Zusammenhang gesagt: Viele Soldaten und zivile Mitarbeiter warten ab, ob die Neuausrichtung der Bundeswehr ein Erfolg wird. - Wahrscheinlich ist das keine unzutreffende Beschreibung. Ich habe ihm geantwortet: Wenn alle abwarten, ob die Neuausrichtung der Bundeswehr ein Erfolg wird, dann kann ich Ihnen versprechen, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr kein Erfolg wird; denn mit Abwarten wird nichts zum Erfolg, sondern nur mit Mittun und Mitgestalten, mit Verantwortung-Übernehmen und mit Kommunizieren.

Die Zielvorgaben können nicht allein der Minister, nicht allein der Generalinspekteur, können nicht allein die Staatssekretäre, nicht einmal die Inspekteure allein umsetzen; vielmehr müssen alle, die Verantwortung tragen, diese Sache zu ihrer eigenen machen, und sie müssen ihre jeweiligen Mitarbeiter und Untergebenen davon überzeugen. Auch das gehört zu Führen und zu Führen mit Auftrag.

Wir befinden uns mitten in der Neuausrichtung. Diese einfache wie folgenreiche Feststellung sollte auch Folgen haben für unsere politischen Diskussionen über die Bundeswehr, über ihre Neuausrichtung und damit auch über den vorliegenden Haushalt. Mitten in dieser Neuausrichtung können wir mit den Haushaltsberatungen ein Zeichen setzen, dass wir viel über die Neuausrichtung debattieren können und müssen, dass aber der Weg und das Ziel richtig sind, und insbesondere, dass die Bundeswehr von einem breiten Konsens in diesem Deutschen Bundestag getragen wird.

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Quelle:
Bulletin 77-4 vom 12.09.2012
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zum
Haushaltsgesetz 2013 vor dem Deutschen Bundestag am 12. September 2012 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2012