Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

REDE/935: Dr. Thomas de Maizière - Bundesminister des Innern, 30.01.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, zur Innenpolitik der Bundesregierung in der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 30. Januar 2014 in Berlin:



Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Bundesministerium des Innern ist nach meiner Auffassung das Bürgerministerium für Deutschland, das Ministerium für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Was bedeutet das?

Wir wollen erstens, dass unsere Bürgerinnen und Bürger ihr Leben in Freiheit führen, dass sie sich engagieren, aktiv und tolerant dazu beitragen, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten.

Wir wollen zweitens, dass unsere Bürgerinnen und Bürger möglichst in Sicherheit leben und auf einen leistungsfähigen Staat und eine gute Verwaltung vertrauen können. Für diese Ziele arbeite ich als Bundesminister des Innern und für die inneren Angelegenheiten unseres Gemeinwesens.

Freiheit und Sicherheit - das klingt auf den ersten Blick nach Gegensatz, nach Spannung, nach widerstreitender Forderung. Aber in Wahrheit ist es nicht so. Sie bedingen einander geradezu. Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Innenpolitik ist geprägt von Ermöglichen und Einschränken, von Selbstbestimmung und Ordnung, von Unabhängigkeit und Verpflichtung, von Freiheit und Verantwortung. Ziel ist es in unserer Demokratie stets, die Ausübung von Freiheit zu stärken. Dafür braucht es Rahmenbedingungen. Das gilt nicht nur für Märkte, insbesondere Finanzmärkte, wie wir schmerzlich gelernt haben, sondern genauso für das Zusammenleben von Menschen insgesamt.

Lassen Sie mich das an drei Beispielen deutlich machen.

Erstens. Zunächst zum Kernanliegen eines jeden demokratischen Staates, dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Um diesen Schutz zu gewährleisten, braucht es Instrumente und Menschen, Gesetze und Beamte. Wo diese Instrumente ansetzen und wie sie wirken, hängt von dem zu schützenden Gut oder anders formuliert davon ab, welchen Gefahren wir ausgesetzt sind.

Leider müssen wir davon ausgehen, dass der internationale Terrorismus immer noch eine große Gefahr für unsere öffentliche Sicherheit in Deutschland darstellt. Schließen wir bitte nicht daraus, dass es bei uns weniger Anschläge als in anderen Staaten gibt, dass die Gefahr bei uns geringer sei; eine Gefahr, der wir entschlossen gegenübertreten müssen, allerdings in dem Wissen, dass es einen perfekten Schutz vor terroristischen Anschlägen nicht gibt.

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in Deutschland in erheblichem Umfang international agierende organisierte Kriminalität haben. Die Täter agieren in den Bereichen Einbruchs- und Kfz-Diebstahl, bei international vernetzten Finanzgeschäften, bei Menschenhandel und Rauschgift - auch im und mithilfe des Internets. Dagegen müssen wir in Deutschland entschlossen und in Europa gemeinsamer als bisher vorgehen. Das habe ich mir auch mit meinem französischen Kollegen vorgenommen.

Unsere Demokratie, unsere Freiheit wird darüber hinaus von Extremisten, rechts wie links, angegriffen. Die Vergangenheit, gerade auch die letzte Legislaturperiode, hat es gezeigt: Wir dürfen politischen Extremismus nie mehr unterschätzen.

Notwendige Instrumente, die wir zu all dem brauchen, sind unter anderem bestimmte, präzise wirkende und maßvoll geführte Dateien über Gefährder. Effektive und rechtsstaatliche Möglichkeiten für die Ermittlungsarbeit sind die Neuausrichtung unseres Verfassungsschutzes und die sogenannte Vorratsdatenspeicherung, präziser: die Regelung von Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten bei den Unternehmen, die ohnehin über diese Daten verfügen. Wir brauchen dieses Instrument, um schwerste Straftaten aufklären zu können.

Instrumente sind aber nur das eine. Es geht immer auch um den Menschen. Ich sehe mit Sorge, dass die harte, rohe Gewalt in unserem Alltag zunimmt. Ich meine Gewalt gegen Polizisten, aber sogar auch gegen Rettungskräfte. Ich meine Gewalt rund um das Thema Fußball. Ich meine rohe Gewalt unter Jugendlichen, die dann gelegentlich auch noch ins Netz gestellt wird. All das ist natürlich strafbar und muss bestraft werden. Aber es geht genauso um Prävention und Zusammenhalt. Wir brauchen eine Ächtung von Gewalt auf unseren Straßen. Es gibt keinen Grund, es gibt keinen gesellschaftlichen Missstand, der es rechtfertigt, in unserem Land Gewalt auszuüben.

Ich denke dabei zum Beispiel an die jüngsten Ausschreitungen in Hamburg. Mit Blick auf zukünftige Einsatzlagen, zum Beispiel den G8-Gipfel im nächsten Jahr, kann ich nur dringend dazu auffordern: Wir brauchen Solidarität mit Polizisten. Wir brauchen Solidarität mit Polizisten, wenn sie angegriffen werden, wenn sie bei Demonstrationen den Rechtsstaat vertreten. Wir brauchen genauso auch Solidarität mit allen Opfern von Angriffen: Jugendlichen, Asylbewerbern - wo und wie auch immer. Gewalttäter dürfen in unserem Land von niemandem gesellschaftliche Solidarität erfahren.

Das kann der Staat nicht allein leisten. Wir brauchen solidarische Bürgerinnen und Bürger. Natürlich haben wir Initiativen wie das Bundesprogramm "Zusammenhalt durch Teilhabe", die zu Mitwirkung und Solidarität anregen. Aber es bedarf vieler Netzwerke der Hilfe, der Zivilcourage und der gesellschaftlichen Übereinstimmung. Bürgerschaftliches Engagement ist wie Hefe für eine freiheitliche Gesellschaft. Wir sind auf Menschen angewiesen, die für andere Verantwortung übernehmen, die einen Beitrag für die Gemeinschaft erbringen. Das wird in Zeiten des demografischen Wandels sicher nicht einfacher; denn die Bewältigung demografischer Probleme trifft nicht allein die Sozialkassen.

Nachhaltige Demografiepolitik bedeutet auch, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir unser Zusammenleben künftig organisieren wollen, in den Städten genauso wie in den ländlichen Regionen, von der Schulversorgung über Krankenhäuser und Pflegestrukturen bis zu einer erreichbaren Verwaltung. Alt und Jung sind mehr denn je aufeinander angewiesen. Das Bundesministerium des Innern führt die Anliegen der Ressorts der Bundesregierung in einer Demografiestrategie zusammen.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt braucht auch eine leistungsfähige Verwaltung; nur sie kann das Funktionieren unserer arbeitsteiligen Gesellschaft gewährleisten. Wir brauchen eine Verwaltung mit tüchtigen Mitarbeitern, die zügig entscheiden, klug abwägen und immer daran denken, dass es bei der Gesetzesanwendung um Menschen geht. Ich stelle mich als Minister für den öffentlichen Dienst vor unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Hinblick auf die Lohnrunde, vor der wir stehen, rufe ich die Gewerkschaften auf: Halten Sie Maß! Kein Baum wächst in den Himmel.

Der zweite Bereich, den ich heute ansprechen will, ist das Thema "Sicherheit im Netz". Bürger, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat sind immer stärker auf digitale Informationswege angewiesen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Angriffe auf das Netz, nimmt die Kriminalität im Netz zu, wie wir es unlängst mit den Hackerangriffen auf Millionen von E-Mail-Konten deutscher Nutzer erlebt haben. Bei diesen Angriffen geht es aber auch um Spionage gegenüber Staat und Wirtschaft und um die Bedrohung kritischer Infrastrukturen aus dem Cyberraum.

Wenn wir diesen Gefahren begegnen wollen, dann brauchen wir Freiheit im Netz und Sicherheit im Netz. Wir brauchen ausreichenden Raum für neue Geschäftsmodelle. Wir brauchen eine intelligente Nutzung der neuesten technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Und wir brauchen selbstverständlich auch hier einen Ordnungsrahmen. Nur so kann überhaupt ein sicheres und verantwortungsvolles Navigieren im Netz erhalten oder wiederhergestellt werden. Rechtsfreie Räume dürfen wir auch im Netz nicht dulden.

Wir reden zu Recht viel über die NSA und die USA; die Kanzlerin hat das gestern thematisiert, und wir werden es weiter tun. Aber das ist nur ein Ausschnitt eines ganz großen Themas: Gleichgültig mit welcher Motivation, mit welchen Methoden oder von wo aus auch immer das Netz angegriffen wird, es muss uns dabei stets um eines gehen: um den Erhalt und den Schutz des Netzes als geordneten Freiheitsraum und damit um den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger. Deswegen behaupte ich: Der demokratische Staat und die Netzcommunity sind nicht etwa Gegner, sondern in Wahrheit Verbündete bei diesem Anliegen.

Die Sicherung der Kommunikation und der Nutzung der Informationstechnik ist eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Alle Beteiligten in Verantwortung zu nehmen, wird ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein. In Anbetracht der angespannten Bedrohungslage im Netz ist der Schutz kritischer Infrastrukturen für uns alle besonders wichtig. Ich werde einen neuen Entwurf für ein IT-Sicherheitsgesetz vorlegen. Dieser wird mit klaren Verantwortungszuweisungen und Vorgaben natürlich auch reglementieren, ein bestimmtes Verhalten vorschreiben. Aber es wird kein sicheres Netz geben, wenn durch die Sorglosigkeit Einzelner elementare Güter unseres Zusammenlebens gefährdet werden.

Zum dritten Bereich, der Integration. Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderer - das wissen längst alle, auch wenn es unterschiedlich laut ausgesprochen wird -; aber sie muss legal erfolgen und nicht weil unsere Sozialleistungen ohne Arbeit höher sind als anderswo. Auch das zwei Seiten derselben Medaille. Stichtagunabhängiges Bleiberecht, Lockerung der Residenzpflicht für Asylbewerber, erleichterter Arbeitsmarktzugang, Aufhebung der Optionspflicht für in Deutschland geborene und aufgewachsene junge Menschen: all diese Maßnahmen können bei der Bevölkerung nur dann auf Akzeptanz stoßen, wenn wir gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass gegenüber denjenigen, die den Rechtsfrieden in Deutschland stören, das Recht auch klar durchgesetzt wird.

Die Beendigung des Aufenthalts von Ausländern, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht zusteht, muss tatsächlich zeitnah erfolgen. Ebenso die Verkürzung der Asylverfahren. Hier müssen erhebliche Vollzugsdefizite bei der Aufenthaltsbeendigung abgebaut werden und eine angemessene Modernisierung des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts erfolgen. Für beide Bereiche haben wir in der Koalitionsvereinbarung Verabredungen getroffen, die gemeinsam umgesetzt werden. Wir brauchen eine Willkommenskultur in Deutschland für alle, die hier wirklich willkommen sind.

Zum Schluss ein paar Worte zum Sport: Deutschland braucht Spitzensport. Hier gilt ein unverfälschtes, klares Leistungsprinzip. Hier entstehen Vorbilder, und Spitzensport fördert Patriotismus. Ich freue mich darüber.

Allen Teilnehmern der Olympischen Winterspiele in Sotschi möchte ich alles Gute und viel Erfolg wünschen.

Als Bundesinnenminister ist es für mich selbstverständlich, die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi zu besuchen. Wir wollen unseren Athletinnen und Athleten die Daumen drücken. Danach reden wir dann mit den Sportverbänden und auf deren Vorschläge hin über Veränderungen bei den Förderstrukturen.

Dem Parlament, Herr Präsident, biete ich bei alledem und auch bei den Punkten, die ich aus Zeitgründen nicht ansprechen konnte, wie etwa den Katastrophenschutz und viele andere Themen, eine gute und faire Zusammenarbeit an. Streiten wir für die Freiheit, für den Schutz der Bürger, für die Sicherheit und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft um den besten Weg.

*

Quelle:
Bulletin 09-6 vom 30. Januar 2014
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière,
zur Innenpolitik der Bundesregierung in der Aussprache zur
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag
am 30. Januar 2014 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-0
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2014