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REDE/940: Verteidigungsministerin von der Leyen zur aktuellen Lage in der Ukraine, 7.5.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, zur aktuellen Lage in der Ukraine vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2014 in Berlin



Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Gehrcke, Sie haben eben noch einmal den abenteuerlichen Vorwurf formuliert - ich zitiere -, die Ukraine würde die Armee gegen das eigene Volk einsetzen.

Herr Gehrcke, gerade die OSZE-Militärbeobachtermission, die Sie eben so scharf kritisiert haben, hat den Zweck, mit solchen abenteuerlichen Unterstellungen aufzuräumen und neutral Tatsachen zusammenzutragen. Deshalb sage ich: Die OSZE-Mission war richtig und wichtig. Sie war regelkonform; unseren Soldaten ist da nichts vorzuwerfen.

Regelkonform bedeutet: Die Mission fand unter dem Dach der OSZE statt, und zwar nach den Regeln des Wiener Dokuments, die übrigens heute noch von Russland anerkannt werden. Die Einladung der Ukraine ging an sämtliche Teilnehmerstaaten, auch an Russland. 29 Nationen haben sich bereit erklärt, Inspektoren zu schicken, darunter auch neutrale Länder wie Schweden und die Schweiz. Die Mission wurde von allen 57 OSZE-Mitgliedstaaten rechtzeitig durch eine Notifikation zur Kenntnis genommen. Die Männer waren nach den OSZE-Statuten unterwegs. Die Region war exakt bezeichnet, und zwar von Odessa über Donezk und Slawjansk bis hoch nach Charkiw. Alle gesammelten Informationen wurden allen Teilnehmerstaaten des Wiener Dokuments zur Verfügung gestellt. Mehr Transparenz geht nicht. Deshalb ist es mir und übrigens auch unseren internationalen Partnern völlig unverständlich, wenn aus den Reihen der Opposition die Legitimität und die völkerrechtliche Basis infrage gestellt werden.

Regelkonform war auch die deutsche Beteiligung. Es gab eine laufende Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt, den Partnernationen und der OSZE. Der Generalinspekteur hat die Entsendung der Beobachter im März im Verteidigungsausschuss angekündigt, und es gab zwei schriftliche Unterrichtungen. Noch etwas ist mir wichtig: Oberst Schneider und sein Team haben sich während der Geiselhaft - wir haben sie bei dieser widerwärtigen Zurschaustellung über das Internet wahrgenommen - absolut besonnen und klug verhalten. Sie haben genau die richtigen Schlüsselworte gesagt, um klarzumachen, dass sie keine Kriegsgefangenen sind und dass sie ein Mandat haben. Sie haben aber auch alles unterlassen, um ihr Leben und das Leben der Kameraden durch unnötige verbale Provokationen der Aggressoren zu gefährden, die sie festgesetzt haben. Ich glaube, ich spreche im Namen der übergroßen Mehrheit dieses Hauses, wenn ich sage: Oberst Schneider und sein Team haben unsere Hochachtung und unseren Respekt verdient.

Die Diskussion muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wenn hier jemand einen Rechtsbruch begangen hat, dann waren das nicht unsere Inspektoren, sondern diejenigen, die sie entführt und festgesetzt haben. Wir dürfen auch nicht vergessen: Es ist die Bürgerbewegung des Maidan, die wir unterstützen.

Die Bürgerbewegung des Maidan verlangt, als unabhängiges Land selbstbestimmt entscheiden zu können, wie sie sich aufstellen. Nicht die Frage der Krim und die Provokationen durch Provokateure sollten unsere Debatte und unsere Einstellung bestimmen, sondern unsere Unterstützung der Bürgerbewegung; denn wir dürfen nicht vergessen, was die Auslöser für diese Konflikte waren. Wir dürfen jetzt nicht anfangen, die Ukraine zu kritisieren, sondern müssen anfangen, der Ukraine zu helfen, damit sie den Weg, den die Bürgerbewegung des Maidan beschreiten wollte, selbstbewusst weitergehen kann. Diese Richtung müssen wir einhalten.

Diejenigen, die die OSZE-Mission kritisieren, sind doch nicht diejenigen, die sich um unsere Soldaten Sorgen machen. Es sind vielmehr diejenigen, die alles tun, um neutrale Beobachter vor Ort zu verhindern, weil sie sich nicht in die Karten schauen lassen wollen. Auch das sollte man vor diesem Hohen Hause sagen.

Wir führen eine fundamentale Auseinandersetzung darüber, wie wir heute Konflikte lösen. Wir alle dachten doch, wir hätten die Zeit hinter uns, in der in Europa, zu dem ich selbstverständlich die Ukraine und Russland zähle, mit militärischen Mitteln Tatsachen geschaffen werden. Gerade weil wir wollen, dass wir diese Zeit hinter uns haben, werden wir nicht zulassen, dass die Sicherheitsarchitektur, die in den vergangenen Jahrzehnten Stück für Stück mühsam aufgebaut worden ist, jetzt in wenigen Wochen eingerissen und niedergetrampelt wird.

Es ist wichtig, dass wir dazu stehen, dass wir eine Sicherheitsarchitektur wollen, die besagt, dass wir unser Miteinander gemeinsam gestalten und an runden Tischen in Gesprächsräumen Auseinandersetzungen führen und Lösungen finden. Diese und keine andere Form der Auseinandersetzung wollen wir im 21. Jahrhundert, insbesondere nicht die der militärischen Auseinandersetzung. Deshalb sind die Missionen wichtig, sowohl die Militärbeobachtermission als auch die zivilen Missionen.

Die Schlüsselworte in der OSZE sind - das gilt für alle drei Missionen, die derzeit laufen - Transparenz und Vertrauen. Es geht darum, Gerüchte und Anschuldigungen der streitenden Parteien auseinanderzudividieren und Vertrauen zu schaffen, damit man zusammen an einem Tisch eine Lösung finden kann. Diese Missionen sind explizit geschaffen worden, um in die Regionen zu gehen, über die wir uns Sorgen machen. Weil das so kostbar ist, bin ich sicher, dass ich auch für die große Mehrheit dieses Hohen Hauses spreche, wenn ich sage, dass Deutschland auch in Zukunft unbeirrbar seine Verantwortung in der OSZE und in allen ihren Missionen wahrnehmen wird.

Die OSZE ist fast die letzte Runde, in der die Ukraine und Russland mit dem Westen an einem Tisch sitzen. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir durch die OSZE mit ihren Beobachtermissionen Unterstützung geben können, damit die Ukraine am 25. Mai Wahlen abhalten, den Reform- und Verfassungsprozess und die Dezentralisierung vorantreiben, den Regionen mehr Rechte gewähren und eine inklusive Regierung bilden kann. Das ist etwas, das die Ukraine in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nie kennengelernt hat. Es hat entweder die eine oder die andere Seite regiert, ohne auch die Minderheiten zu vertreten.

Ja, Herr Kollege Steinmeier, ich glaube, die gemeinsame Erfahrung der vergangenen Woche -ich danke noch einmal von Herzen für die gute Zusammenarbeit im Krisenstab, die dann auch zu einem guten Ende geführt hat - ist gewesen, dass es inmitten dieser Turbulenzen und der düsteren Situation, die wir zurzeit alle mit großer Sorge sehen, einen Moment gegeben hat, in dem alle an einem Strang gezogen haben. Dazu gehören die OSZE - der ich für die Übernahme der Verantwortung danke, was ein klares Zeichen war -, die von Ihnen, Herr Steinmeier, und der Bundeskanzlerin im Rahmen der Diplomatie geführten Telefonate, aber auch der Einsatz der ukrainischen Regierung ebenso wie der Einsatz des russischen Menschenrechtsbeauftragten Lukin. Das alles hat dazu geführt, dass die Geiseln ohne Bedingungen und unversehrt freigesetzt worden sind. Ich glaube, ich kann im Namen aller sagen: Wir wünschen uns wieder mehr solcher Momente. Das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen wollen.

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Quelle:
Bulletin 49-3 vom 7. Mai 2014
Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen,
zur aktuellen Lage in der Ukraine vor dem Deutschen Bundestag
am 7. Mai 2014 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2014