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SICHERHEIT/106: Was die USA im Atomstreit mit dem Iran aus der Kuba-Krise lernen können (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Oktober 2012

Rüstung: Diplomatie statt Präventivschlag - Was die USA im Atomstreit mit dem Iran aus der Kuba-Krise lernen können

von Jim Lobe



Washington, 23. Oktober (IPS) - Vor genau 50 Jahren erklärte der damalige US-Präsident John F. Kennedy in einer Radioansprache, dass die Sowjetunion Raketenabschussrampen auf Kuba errichten würde und er deshalb eine Blockade gegen die Insel verhängt habe. Um die Demontage und Entfernung aller Angriffswaffen von der Insel zu forcieren, ziehe er weitere härtere Maßnahmen in Betracht.

"Das war die bisher angsteinflößendste Rede eines US-Präsidenten", meint Peter Kornbluth vom 'National Security Archive' in Washington. Seit mehreren Jahrzehnten arbeitet er an der Freigabe geheimer Dokumente und anderer Materialien, die zu neuen Erkenntnissen über die 13-tägige Krise führen könnten, die die Welt nach Ansicht der meisten Historiker so nah wie nie an den Rand eines Atomkriegs geführt hatte.

Kennedys militärische Berater drängten damals auf einen Präventivschlag gegen Kuba, ohne zu wissen, dass sich auf einigen Abschussrampen bereits Raketen befanden. Tage später wurde die Krise beigelegt, als der sowjetische Präsident Nikita Chruschtschow seinen Plan aufgab und sich einverstanden erklärte, die Raketen abzuziehen, wenn im Gegenzug die USA nicht auf der Insel einmarschieren würden.

"Wir standen uns Auge in Auge gegenüber, und der andere blinzelte", freute sich US-Außenminister Dean Rusk. Dies war fortan die allgemein akzeptierte Version der Beilegung der Krise. "Kennedys Sieg in dem chaotischen und ergebnislosen Kalten Krieg dominierte die US-Außenpolitik", schrieb Leslie Gelb, der ehemalige Vorsitzende des Rats für Auswärtige Angelegenheiten in einem kürzlich auf dem Portal 'foreignpolicy.com' erschienenen Artikel.


Zugeständnisse gegenüber Moskau blieben geheim

Die US-Öffentlichkeit wusste allerdings nicht, dass nicht nur Moskau, sondern auch Washington im Zuge der Geheimdiplomatie Zugeständnisse gemacht hatte. Die Gespräche wurden in erster Linie von Kennedys Bruder Robert und dem sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin geführt. Dafür, dass die Sowjetunion die Raketen aus Kuba abzog, sagten die USA zu, ihre mit nuklearen Sprengköpfen versehenen Jupiter-Raketen binnen sechs Monaten aus der Türkei zu entfernen. Die US-Regierung bestand darauf, dass diese Abmachung geheim bleiben sollte.

"Der Mythos der Kuba-Krise und nicht die Realität wurden zum Maßstab dafür, wie man mit seinen Gegnern umzugehen hatte", erklärte Gelb. In einem Kommentar für die 'New York Times' schrieb Michael Dobbs, ein früherer Reporter der 'Washington Post', dass das Bild von den sich "Auge in Auge" gegenüberstehenden Feinden zu verheerenden Entscheidungen in der US-Außenpolitik geführt habe - von der Eskalation des Vietnam-Kriegs bis zum Einmarsch in den Irak während der Amtszeit von Präsident George W. Bush.

Nach Ansicht von Dobbs machte Bush einen fatalen Fehler, als er in einer Rede 2002 Kennedy als "Vater der Doktrin des Präventivkriegs" hinstellte. Tatsächlich hatte Kennedy aber alles daran gesetzt, einen solchen Krieg zu vermeiden.

Graham Allison, der Direktor des Belfer Zentrums der 'Kennedy School of Government' der Harvard-Universität, ist der Meinung, dass die heutige Politik mehr denn je aus der Kuba-Krise lernen kann. In einem im vergangenen Sommer von dem Magazin 'Foreign Affairs' veröffentlichten Artikel beschrieb Allison die derzeitige Konfrontation zwischen den USA und dem Iran als "Kuba-Raketenkrise in Zeitlupe". Kennedy-Berater hätten zwei Möglichkeiten vorgeschlagen: "Angreifen oder die sowjetischen Atomraketen in Kuba akzeptieren". Der Präsident habe aber beide Optionen zurückgewiesen und stattdessen einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss verfolgt. Für den Fall, dass Chruschtschow nicht eingewilligt hätte, habe Washington mit einem Angriff binnen 24 Stunden gedroht.

Präsident Barack Obama sieht sich nach Ansicht von Allison zurzeit ebenfalls vor zwei Alternativen gestellt. Entweder er nehme die Entwicklung einer iranischen Atombombe stillschweigend hin oder er ordne einen Präventivschlag gegen das Land an. Dieser könnte das iranische Atomprogramm aber bestenfalls um einige Jahre verzögern, meint er. Eine dritte Option nach dem Vorbild Kennedys würde hingegen eine Einigung vorsehen, die Irans Atomprogramm auf eine überprüfbare Weise begrenze. Im Gegenzug würden sich die USA dazu verpflichten, den Iran solange nicht anzugreifen, wie er sich an die Abmachungen halte.

Unbestätigten Berichten zufolge sollen sich Washington und Teheran im Grundsatz auf direkte bilaterale Gespräche nach den Wahlen am 6. November verständigt haben, möglicherweise im Rahmen der P5+1-Verhandlungen mit Großbritannien, Frankreich, China, Russland und Deutschland.

Allison sieht eine weitere Parallele zwischen der Kuba-Krise und der derzeitigen Pattsituation zwischen den USA und dem Iran: die Existenz von Dritten, die sich als Störer einschalten könnten. Vor 50 Jahren wollte der kubanische Staatschef Fidel Castro der US-Drohung entgegentreten und im Falle eines Angriffs sogar Raketen abfeuern. Da die Kubaner aber keine direkte Kontrolle über die sowjetischen Raketen hatten, konnten sie sich in diesem Punkt nicht durchsetzen. Kennedy warnte zudem den Kreml, dass dieser "für jeden Angriff gegen die USA von Kuba aus verantwortlich gemacht würde", sagte Allison.


Israel zum Angriff auf den Iran im Stande

Die Tatsache, dass Israel, das dem Iran wiederholt mit einem einseitigen Angriff auf die iranischen Atomanlagen gedroht hat, alle Karten in der Hand hält, um zu reagieren, macht die Lage heute noch komplizierter als die Situation, mit der damals Kennedy konfrontiert war. "Da die Beilegung der Kuba-Krise geheim gehalten wurde, verfestigte sich in der US-Außenpolitik die Vorstellung, dass eine Machtdemonstration Gegner zu einem Rückzieher bewegt", sagt Kornbluth. Dabei habe sich Kennedy um einen Kompromiss auf dem Verhandlungsweg bemüht, weil er entschlossen war, einen Präventivschlag zu vermeiden. "Er wusste, dass er damit im Atomzeitalter eine Büchse der Pandora geöffnet hätte." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.foreignpolicy.com/articles/2012/10/08/the_lie_that_screwed_up_50_years_of_us_foreign_policy
http://www.foreignaffairs.com/articles/137679/graham-allison/the-cuban-missile-crisis-at-50
http://www.ipsnews.net/2012/10/u-s-50th-anniversary-of-cuban-missile-crisis-offers-lessons-for-iran/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2012