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SICHERHEIT/170: "Kein Hiroshima, kein Nagasaki mehr" - Verhandlungen über Atomwaffenverbot gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 07. August 2015

Abrüstung: "Kein Hiroshima, kein Nagasaki mehr" - Beginn von Verhandlungen über Atomwaffenverbot gefordert

von Thalif Deen


Bild: © Paulo Filgueiras/UN

Eine Überlebende der Atombombenanschläge von Hiroshima und Nagasaki, auf einer Sonderveranstaltung im Rahmen der Abrüstungswoche 2011
Bild: © Paulo Filgueiras/UN

NEW YORK (IPS) - UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, ein engagierter Verfechter der nuklearen Abrüstung, hat genau 70 Jahre nach den US-Atombombenanschlägen auf Japan den Slogan globaler Abrüstungskampagnen aufgegriffen und 'Kein Hiroshima, kein Nagasaki mehr' gefordert.

Ban erinnerte daran, dass mehr als 200.000 Menschen der nuklearen Verseuchung, den Schockwellen und der Wärmestrahlung durch die Zündung der 'Bombe' erlegen seien. Weitere 400.000 sind seit Ende des Zeiten Weltkriegs an den kurz-, mittel- und langfristigen Folgen gestorben. "So wie Sie muss auch die internationale Gemeinschaft die Erinnerung an die Bombardierung wachhalten, bis wir sicher sein können, dass Atomwaffen ausgerottet sind", erklärte er in einer an die Japaner gerichteten Ansprache.

Wie der UN-Chef weiter betonte, setzen sich die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung vor 70 Jahren für die Zerstörung dieser Massenvernichtungswaffen (WMDs) ein. Die erste im Januar 1946 angenommene Resolution der UN-Vollversammlung habe den Kurs für die Eliminierung der WMDs vorgegeben. Er selbst werde jede Gelegenheit nutzen, um auf die Gefahren hinzuweisen, die von Atomwaffen ausgingen, meinte Ban.


Einsatztabu

John Burroughs, Exekutivdirektor des 'Lawyers Committee on Nuclear Policy', einer aus Rechtsanwälten bestehenden Anti-Atomwaffen-Organisation, erklärte im IPS-Gespräch, dass der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki auf schockierende Weise die furchtbaren Eigenschaften von Atomwaffen aufgezeigt habe. Dies sei sicherlich ein Grund dafür, warum Atombomben in den darauffolgenden 70 Jahren in keinem Krieg zum Einsatz kamen. Es gebe ein "Tabu", die tödliche Waffe zu zünden.

Laut dem Internationalen Gerichtshof und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ist der Einsatz von Atomwaffen mit dem humanitären Recht zum Schutz von Zivilisten vor den Auswirkungen von Kriegen unvereinbar.

Auch wenn die diesjährige Konferenz der Vertragsstaaten zur Revision des Atomwaffensperrvertrags (NPT) ohne ein Abschlussdokument zu Ende ging, waren sich alle Länder einschließlich der NPT-Atomstaaten in dem Punkt einig, dass "im Interesse der Menschheit und der Sicherheit aller Völker Atomwaffen niemals wieder zum Einsatz kommen dürfen". Doch das Tabu, Kernwaffen einzusetzen, steht auf tönernen Füßen, wie das Säbelrasseln im Zusammenhang mit der Ukraine verdeutlicht hat.

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum es seit 1945 nicht erneut zu einem Einsatz von Atomwaffen gekommen ist. Dazu gehören unter anderem die Kriegsmüdigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die positive Rolle der Vereinten Nationen und anderer Institutionen, die über die Jahre entstanden sind. Doch die Gefahr, die von Atombomben ausgeht, ist solange nicht gebannt, bis es ein für alle Staaten verbindliches globales Abkommen gibt, das diese Massenvernichtungswaffen ächtet.

Laut Alice Slater, Leiterin des New Yorker Büros der 'Nuclear Age Peace Foundation', einer weiteren Organisation für atomare Abrüstung, sind die bisherigen rechtlichen Strukturen zur Kontrolle und Eliminierung von Atomwaffen wirkungslos. Dies zeige sich daran, dass die fünf offiziellen Atommächte - USA, Großbritannien, Russland, Frankreich und China - ihrer 1970 im NPT eingegangenen Verpflichtung bis heute nicht nachgekommen seien, "in Treu und Glauben" Abrüstungsverhandlungen zu führen.

Die Atommächte verschanzten sich in aller Regel hinter der Doktrin der atomaren Abschreckung, mit der die USA auch andere NATO-Partner sowie Japan, Australien und Südkorea infiziert hätten, so Slater. Die Nicht-NPT-Vertragsstaaten Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea verbarrikadieren sich hinter dem Scheinargument der 'friedlichen' Nutzung der Atomkraft.

Den Rest der Welt sei zu Recht empört - und zwar nicht nur über die fehlenden Fortschritte der Atommächte, ihre Versprechen umzusetzen, sondern auch über die fortgesetzte Modernisierung und 'Verbesserung' ihrer Atomwaffenarsenale, fügte sie hinzu.


Kritik an drastischen US-Aufrüstungsplänen

Die USA beispielsweise haben vor, in den nächsten 30 Jahren eine Billion US-Dollar für den Bau von zwei neuen Bombenfabriken, Trägerraketen und Atomsprengköpfen auszugeben. Und erst im vergangenen Monat führte die US-Luftwaffe in Nevada einen ersten Abwurftest mit der Atombombe B-61-12 durch.

In Nordkalifornien haben Friedensaktivisten den 70. Jahrestag des Bombenabwurfs über Hiroshima zum Anlass genommen, um vor dem Livermore-Laboratorium gegen die Entwicklung neuer modifizierter Atomwaffen zu demonstrieren. Das 'Lawrence Livermore Lab' ist eine von zwei nationalen US-Forschungseinrichtungen, die sämtliche US-Atomsprengköpfe entworfen haben.

In einem Leitfaden an die Presse erklärte die 'Western States Legal Foundation' (WSLF), die sich seit langem für nukleare Abrüstung engagiert, dass 70 Jahre mach dem Abwurf US-amerikanischer Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki die Vorbereitungen für einen Atomkrieg im Livermore Lab weitergingen.

Mehr als 85 Prozent des für das Fiskaljahr 2016 beantragten Etats des Laboratoriums sind für Aktivitäten im Zusammenhang mit Atomwaffen vorgesehen. Wissenschaftler am Livermore entwickeln derzeit modifizierte atomare Sprengköpfe für eine neue Langstrecken-Abstandswaffe, die die luftgestützten Marschflugkörper ersetzen soll.

Trotz der verheerenden Folgen, die die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki angerichtet haben, befinden sich noch immer 16.000 atomare Sprengköpfe in den weltweiten Waffenarsenalen - mit Ausnahme von 1.000 in russischen und US-amerikanischen.

Ob sie nun im Zuge einer Konfrontation, einer Fehleinschätzung, eines Irrtums oder aus 'Wahnsinn' gezündet werden - die freigesetzte Strahlung einer Atombombe kennt keine Grenzen. "Der humanitäre Preis für unsere Gesundheit, Umwelt, Ethik und Demokratie, für den Weltfrieden und unser Vertrauen in das Überleben der Menschheit wäre gewaltig", heißt es in der Pressemitteilung.

Slater erklärte gegenüber IPS, dass die Staaten ohne Atomwaffen auf der letzten NPT-Revisionskonferenz im Mai, die aufgrund der Weigerung der USA, Großbritanniens und Kanadas abgebrochen wurde, einem Vorschlag Ägyptens für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone Nahost zuzustimmen, einen mutigen Schritt unternommen hätten.

So verurteilte Südafrika die "nukleare Apartheit" in Gestalt von Atommächten und Staaten, die keine Atomwaffen besitzen. Ein solches Apartheidsystem mache die ganze Welt zur Geisel einer von einer Staatenminderheit oktroyierten 'Sicherheitsdoktrin'.


Mehr Unterschriften unter den 'Humanitarian Pledge' erhofft

In den letzten beiden Jahren nach drei größeren Konferenzen über die humanitären Folgen von Atomwaffen, an der Vertreter von Regierungen und der Zivilgesellschaft in Norwegen, Mexiko und Österreich teilnahmen, haben mehr als 100 Länder einen von Österreich vorgelegten 'Humanitarian Pledge' unterzeichnet, dessen Ziel es ist, die rechtliche Lücke zu schließen, die dem Verbot und der Beseitigung von Atomwaffen im Wege steht.

Inzwischen sind 113 Staaten bereit, über ein Verbot von Atomwaffen zu verhandeln, wie es bereits im Fall biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen durchgesetzt werden konnte.

Jetzt hoffe man, dass die Zivilgesellschaft die Länder unter dem nuklearen Schutzschild der USA dazu bewegen könne, aus dem "Teufelspakt" auszusteigen und sich dem Humanitarian Pledge anzuschließen, so Slater. "In diesem August erinnern und gedenken wir weltweit den schrecklichen Ereignissen in Hiroshima und Nagasaki. Es ist höchste Zeit, die Bombe zu ächten. Lasst uns dafür sorgen, dass die Gespräche endlich beginnen." (Ende/IPS/kb/07.08.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/08/no-more-hiroshimas-no-more-nagasakis-vows-u-n-chief/

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IPS-Tagesdienst vom 07. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2015

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