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WISSENSCHAFT/1358: Digital ist teilbar - Potenziale und Erfolgsbedingungen von Open Access und Open Data (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 155/März 2017
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Digital ist teilbar
Potenziale und Erfolgsbedingungen von Open Access und Open Data

von Alessandro Blasetti, Patrick J. Droß, Mathis Fräßdorf und Julian Naujoks


Kurz gefasst: Die Open-Access-Bewegung erreichte 2003 einen ersten Höhepunkt mit der Verabschiedung der Berliner Erklärung. Knapp fünfzehn Jahre später ist in Bezug auf die Open-Access-Stellung von Journalartikeln viel erreicht worden. Allerdings gibt es in diesem Bereich vermehrt Bestrebungen, die die Open-Access-Idee verwässern. Bei Forschungsdaten sind es strukturelle Hindernisse, die ihre Umsetzung erschweren. Um Open Access in beiden Bereichen - Journal Artikel und Forschungsdaten - langfristig zu etablieren, sind umfangreiche Informationsangebote essenziell.

"Mit dem Internet ist zum ersten Mal die Möglichkeit einer umfassenden und interaktiven Repräsentation des menschlichen Wissens, einschließlich des kulturellen Erbes, bei gleichzeitiger Gewährleistung eines weltweiten Zugangs gegeben." Mit der "Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen" haben die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen und namhafte internationale Forschungseinrichtungen 2003 gemeinsam einen Meilenstein der internationalen Open-Access-Bewegung gesetzt. Der Erklärung liegt die Vision einer Gesellschaft zugrunde, in der Wissen als digitales Gemeingut frei zirkuliert und allen Interessierten - egal ob wissenschaftlich orientiert oder nicht - ohne weitere finanzielle, rechtliche oder technische Einschränkungen zugänglich ist.

Damit erkennen die Verfasser der "Berliner Erklärung" in der Digitalisierung in erster Linie Chancen für Wissenschaft und Gesellschaft. Neben den Demokratisierungspotenzialen des Internets thematisieren sie die Möglichkeit der weitgehenden Überwindung traditioneller Barrieren zwischen verschiedenen Formen und Formaten wissenschaftlicher Informationen. Freien Zugang zum wissenschaftlichen Output fordern sie dementsprechend nicht nur in Bezug auf wissenschaftliche Literatur, sondern auch für Daten, Bilder und damit im Grunde für alle im Forschungsprozess entstehenden Ergebnisse und Materialien. Gleichwohl ist aktuell auch häufig von "Open Data" die Rede, wenn es explizit um den freien Zugang zu Forschungsdaten geht.

Die Open-Access-Bewegung schreitet seit der Unterzeichnung der Berliner Erklärung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft unaufhaltsam voran. Fast 600 Institutionen haben sich bislang weltweit der "Berliner Erklärung" angeschlossen. Dies kann kaum verwundern, spricht doch vieles für das Open-Access-Modell: Die freie Verfügbarkeit von Ergebnissen erleichtert und beschleunigt die wissenschaftsinterne Kommunikation und spart damit Zeit und Geld. Nimmt man das Gleichnis des Zwerges, der auf den Schultern von Riesen weiter schauen kann, so wird der wissenschaftliche Wahrnehmungshorizont durch die verbesserte Verfügbarkeit von Forschungsergebnissen grundlegend erweitert. Verfügbarkeit steht auch für Transparenz. Dies bedeutet im wissenschaftlichen Kontext, dass Ergebnisse nachvollziehbar sind und sich andere an einer Replikation versuchen können. Wenn die eigenen Ergebnisse anderen Forschenden zugänglich sind, erhöht sich der Anreiz, den Prinzipien einer guten wissenschaftlichen Praxis entsprechend möglichst korrekt und genau zu arbeiten. Dies verbessert zwangsläufig auch die Qualität des originären wissenschaftlichen Outputs. Zu den praktischen Argumenten kommt ein prinzipielles: Wird die Forschung aus öffentlichen Geldern finanziert, so sollten die Ergebnisse auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden.

Die genannten Argumente haben längst Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden und stoßen heute auf breite gesellschaftliche Akzeptanz. Auch Forschungsförderer greifen die Open-Access-Idee auf und fordern als Bedingung einer Forschungsfinanzierung die Veröffentlichung von Texten und Daten im Open Access. Die Europäische Union nimmt mit ihrem Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 hierbei eine Vorreiterrolle ein. Und auch in der jüngst von der Leibniz-Gemeinschaft verabschiedeten "Open-Access-Policy 2016-2020" wird festgehalten, dass in "den vergangenen Jahren [...] in vielen Bereichen von Politik, Bildung, Gesellschaft und Wissenschaft ein Kulturwandel stattgefunden" habe, in dessen Folge sich "neue Formen des wissenschaftlichen Handelns und Publizierens" entwickelt haben. Doch wie steht es um diesen Kulturwandel? Welchen Herausforderungen sieht sich die Wissenschaft bei der Umsetzung des Open-Access-Paradigmas gegenüber?

Gewiss wurde Open Access in vielen Disziplinen in den letzten 15 Jahren zum Bestandteil der Forschungspraxis. Vor allem im Bereich der Journal-Veröffentlichungen ist seither erfreulicherweise viel passiert: Nicht kommerzielle Open-Access-Journals wurden gegründet und konnten sich etablieren. Publikationen werden zunehmend auch von konventionellen Zeitschriften - wenn auch meist gegen Entgelt - unter Creative-Commons-Lizenzen bereitgestellt. Mit der Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechts für wissenschaftliche Zeitschriftenartikel hat der Gesetzgeber in Deutschland zuletzt die rechtlichen Barrieren für einen Open-Access-Zugang zu konventionell veröffentlichten Journal-Artikeln gesenkt. Dennoch: Die Open-Access-Kultur ist längst noch nicht so etabliert, wie es die Unterzeichner der "Berliner Erklärung" angestrebt haben.

Die Spielräume für eine grundlegende Transformation des traditionellen wissenschaftlichen Publikationswesens sind zwar da, doch die Widerstandsfähigkeit historisch gewachsener Strukturen steht einem Systemwechsel entgegen. Juristische, insbesondere urheber- und verlagsrechtliche Barrieren spielen hierbei eine zentrale Rolle. Es ist nach wie vor herrschende Praxis, dass sich kommerzielle Verlage von Autorinnen und Autoren die ausschließlichen Nutzungsrechte an Forschungsergebnissen übertragen lassen, um diese als exklusives Verlagseigentum zu einem beliebig hohen Preis zu vermarkten. Sich dieser Praxis aktiv zu entziehen, indem man einfach woanders publiziert, fällt vielen Forschenden nach wie vor nicht leicht genug, sodass sie in der althergebrachten Publikationswelt gefangen bleiben. Den Forschenden ist das aber nur bedingt vorzuwerfen, denn auf professioneller Ebene spielt Reputation oft eine große Rolle - und diese wird im Regelfall nach den Kriterien des alten Systems bemessen: Bei Berufungen beispielsweise wird nicht auf Open Access Publikationen oder Bereitstellung von Forschungsdaten Wert gelegt, sondern weiterhin auf Publikationen in Journalen mit hohem Impact Factor (deren Aussagekraft oft allzu wenig hinterfragt wird). Neuere Open-Access-Journals und neue Metriken zur Bewertung der Sichtbarkeit von Publikationen stellen daher für die meisten Forschenden noch keine vollwertige Alternative dar.

Verlagsseitig wurde längst auf die Open-Access-Bewegung reagiert, indem Open-Access-Publikationen als Angebot der renommierten Großverlage in die Programme aufgenommen wurden. Allerdings verwandelt sich die Open-Access-Idee mit der Erhebung von Article Processing Charges (APC) in ein profitorientiertes und sehr lukratives Geschäftsmodell. Hierbei werden für die Veröffentlichung von Artikeln im Open Access teils Summen von über 4.000 Euro verlangt. So wird der ursprüngliche Open-Access-Gedanke der freien Verfüg barkeit der Artikel durch Barrieren für den Autor pervertiert und das herkömmliche Modell des "pay to read" lediglich durch das ebenso wenig nachhal tige Modell des "pay to write/publish" abgelöst.

Die Probleme des Open Access bei Veröffentlichungen von Artikeln unterscheiden sich grundlegend von den Herausforderungen bei der Veröffentlichung und Verfügbarmachung von Forschungsdaten - Open Data. Hier stehen zunächst Verwertungsinteressen der Forschenden dem Grundsatz des Open Access entgegen: Ähnlich dem Patentschutz wünschen sich viele Wissenschaftler eine Embargozeit, in der sie für ein Projekt erhobene Daten ausschließlich selbst auswerten können. Dies wird in der Praxis durchaus als legitim angesehen, auch wenn sich dieses Verhalten nicht zu 100 Prozent mit den Open-Access-Prinzipien in Einklang bringen lässt.

Doch auch nach Abschluss der eigenen Arbeit zeigt sich in Bezug auf das Teilen von Forschungsdaten eine gewisse Janusköpfigkeit: Während viele Forschende die Bereitstellung von Forschungsdaten als förderlich für den wissenschaftlichen Fortschritt sehen, stellen sie eigene Daten nur selten selbst bereit. Auch wenn es bei manchen Datensätzen gute Gründe für diese Zurückhaltung geben mag - Datenschutz sei hier als ein Hauptgrund erwähnt -, so mangelt es derzeit vor allem noch an wirksamen Anreizen. Reputation ist eine zentrale Währung im Wissenschaftsbetrieb; entsprechend würden Zitationen von Forschungsdaten durch Nachnutzer sowie die Berücksichtigung von Datenproduktionen in Bewertungsverfahren sicherlich zu einer höheren Anzahl an veröffentlichten Daten führen, sei es bei Berufungen oder bei Entfristungen.

Hier eröffnet sich dem Datenproduzenten allerdings ein weiteres Problemfeld: Wohin mit den Daten? Erst seit Kurzem wird im Bereich Open Data in die notwendige digitale Infrastruktur zur Sicherung und Veröffentlichung von Forschungsdaten investiert. Bestehende Archive und Forschungsdatenzentren waren kaum in der Lage, Open-Data-Angebote für ganze Disziplinen bereitzustellen. Der Aufbau unterschiedlicher neuer Infrastrukturangebote vollzieht sich derzeit jedoch sehr dezentral und wenig koordiniert. Institute und Universitäten haben teils eigene Lösungen entwickelt, neue fachliche Datenrepositorien werden aufgebaut.

Gleichzeitig bieten inzwischen auch kommerzielle Anbieter sozialer Wissenschaftsnetzwerke wie ResearchGate oder Academia rudimentäre Möglichkeiten zum Veröffentlichen von Daten an. Die eigenen Daten möchte man aber nur da veröffentlichen, wo man auch sicher ist, dass sie permanent und auch prominent verfügbar sind und nicht in wenigen Jahren wieder umziehen müssen. Welche Standards, welche Strukturen und welche Anbieter sich in dieser diversifizierten digitalen Dateninfrastrukturlandschaft durchsetzen werden, ist derzeit für die einzelnen Wissenschaftler nur schwer abzusehen. Die hier skizzierte Unübersichtlichkeit legt den Schluss nahe, dass es nicht ausreicht, den Forschenden nur eine technische Infrastruktur in Form von Daten- und Text-Repositorien bereitzustellen. Forschende benötigen vielmehr bei der Verwirklichung des Open-Access-Gedankens eine tiefergehende professionelle Unterstützung. Bibliotheken werden vielfach bereits aktiv, indem sie Open-Access-Beratungen und -Publikationsdienste anbieten. Für den Bereich der Forschungsdaten ist eine entsprechende Unterstützung jedoch längst noch nicht etabliert. Gerade hier wäre sie wichtig, weil die Veröffentlichung von Forschungsdaten anspruchsvoll und arbeitsintensiv ist. Es ist daher unerlässlich, dass zentrale Stellen der Infrastruktur Wissen akquirieren, um die Forschenden in ihrer eigentlichen Arbeit zu unterstützen.

Diese zentralen Stellen müssen für die Forschenden zugänglich sein, sie müssen im ständigen Austausch mit der Wissenschaft stehen und in den skizzierten Gebieten - Wissenschaft, Technik, Recht - Expertise aufbauen. Es wäre eine Verschwendung von Ressourcen, wenn jeder Forschende sich mit den praktischen Details von Open Access und Open Data individuell auseinandersetzen müsste. Nur eine feste Verankerung entsprechender Unterstützungsangebote im wissenschaftlichen Betrieb kann langfristig dazu beitragen, nicht nur den Anteil von Open-Access-Publikationen im Text- und Datenformat zu erhöhen, sondern auch den in der "Berliner Erklärung" implizit geforderten Kulturwandel in der Wissenschaft zu fördern und zu verstetigen.


Das Autorenteam der Abteilung Wissenschaftliche Information: Julian Naujoks (wissenschaftlicher Mitarbeiter), Alessandro Blasetti (Open-Access-Beauftragter des WZB), Mathis Fräßdorf (seit September 2016 Leiter der Abteilung) und Patrick J. Droß (wissenschaftlicher Mitarbeiter und Datenschutzbeauftragter des WZB).
julian.naujoks@wzb.eu
alessandro.blasetti@wzb.eu
mathis.fraessdorf@wzb.eu
patrick.dross@wzb.eu


Literatur

Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen. Verabschiedet am 23. Oktober 2003. Online:
http://openaccess.mpg.de/68053/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf (Stand 25.01.2017).

Blasetti, Alessandro/Nix, Sebastian: "Open Access hier und jetzt. Konsequent macht das WZB wissenschaftliche Texte frei zugänglich". In: WZB-Mitteilungen, 2015, H. 150, S. 10-12. Online:
https://bibliothek.wzb.eu/artikel/2015/f-19454.pdf (Stand 25.01.2017).

Droß, Patrick J./Linne, Monika: "Sicheres und einfaches Data Sharing mit SowiDataNet. Dokumentieren - veröffentlichen - nachnutzen". In: Bibliotheksdienst, 2016, Bd. 50, H. 7. DOI: 10.1515/bd-2016-0079.

Fecher, Benedikt/Friesike, Sascha/Hebing, Marcel/Linek, Stephanie/Sauermann, Armin: A Reputation Economy: Results from an Empirical Survey on Academic Data Sharing. DIW Discussion Papers, 2015, No. 1454. Online:
http://hdl.handle.net/10419/107687 (Stand 25.01.2017).

Herb, Ulrich: Open Science in der Soziologie. Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme zur offenen Wissenschaft und eine Untersuchung ihrer Verbreitung in der Soziologie. Glückstadt: Hülsbusch 2015. Online:
https://zenodo.org/record/31234 (Stand 25.01.2017).

Open-Access-Policy der Leibniz Gemeinschaft 2016-2020. 2016. Online:
http://www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/downloads/Infrastruktur/Leibniz-Open-Access-Policy (Stand 25.01.2017).

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 155, März 2017, Seite 34-37
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Telefon: 030/25 491-0, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2017

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