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WISSENSCHAFT/1412: Forschungskooperationen mit Afrika sind im Fluss (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 159/März 2018
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Zwischen Autonomie und Abhängigkeit
Forschungskooperationen mit Afrika sind im Fluss

von Stefan Skupien


Kurz gefasst:   Internationale Forschungskooperationen sind auf Förderer und neue Kooperationsmodelle angewiesen. Das gilt besonders für Partner aus Ländern mit niedrigem Ressourceneinsatz für Wissenschaft und Innovation. In einer Studie zu Kooperationen zwischen europäischen und afrikanischen Forschenden zu den Themen vernachlässigte Tropenkrankheiten und erneuerbare Energien geht es um die ungleichen Bedingungen, unter denen die Kooperationen stattfinden, und um die Handlungsoptionen, die Beteiligte zum Ausgleich entwickeln. Öffentlichen und privaten Forschungsförderern kommt dabei eine zentrale Gestaltungsrolle zu.


Globale Herausforderungen lassen sich gegenwärtig am ehesten von forschungsstarken Wissensgesellschaften bewältigen, die intensiv zusammenarbeiten. Afrikanische Forschende sind in derartige globale Wissenschaftskooperationen oft nur unzureichend eingebunden. Nord-Süd-Asymmetrien beeinflussen das Agenda-Setting ebenso wie die Finanzierung und Arbeitsteilung im Forschungsprozess. Das stellt die Beteiligten oft vor schwierige Entscheidungen mit ambivalenten Folgen. Die Förderung von Wissenschaftskooperationen rückt zum einen als Instrument für soziale und ökologische Nachhaltigkeit, aber auch als Untersuchungsgegenstand zunehmend in den Blickpunkt der Sozialwissenschaften. Afrikanisch-europäische Forschungsbeziehungen bilden den Hintergrund für mein Projekt "Assessing North-South Scientific Cooperation: African-European Research Partnerships and Their Ideas of Sustainability".

Die Geschichte dieser Kooperationen zeichnet ein ambivalentes Bild. Afrikanische Akteure waren zwar immer schon in internationale Forschungskooperationen eingebunden. Zu Beginn waren sie vor allem Gegenstand der Forschung, später allenfalls Hilfskräfte für die Sammlung von Rohdaten, die dann an den Universitäten der Kolonialmetropolen London, Paris oder Berlin ausgewertet wurden. Diese Praxis änderte sich in den afrikanischen Staaten auch nach der Erlangung ihrer Unabhängigkeit nur wenig, da Ressourcen und Expertise an den neu gegründeten Universitäten für eine gleichberechtigte Teilhabe an internationalen Kollaborationen nur minimal vorhanden waren. Heute jedoch zeigen bibliometrische Analysen, dass Forschende aus afrikanischen Institutionen immer häufiger an internationalen Kooperationen beteiligt sind und sich auch innerhalb Afrikas immer intensiver vernetzen. Jedoch bleibt der relative Anteil an der globalen Wissensproduktion weiter überaus niedrig.

Die globale wissenschaftliche Abhängigkeit und Versuche, Auswege zu finden, waren in den internationalen Foren seit Langem ein Thema, unter anderem bei einer prägenden United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) im Jahr 1979, aus der das "Vienna Programme of Action on Science and Technology" resultierte. Und sie bleiben bis heute drängende wissenschaftspolitische Fragen, denn bisher werden in vielen afrikanischen Staaten weniger als 0,6 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) in Forschung und Entwicklung investiert (im Kontrast zum OECD-Durchschnitt von 2,4 des BSP, 2013). Ausnahmen bilden Staaten wie Südafrika und Ägypten, aber auch kleine und bisher kaum beachtete Staaten wie Tunesien und Malawi. Aufgrund geringer privatwirtschaftlicher Investitionen in eigene Forschungsabteilungen gibt es derzeit aber wenig Alternativen zu staatlicher und internationaler Förderung, um Forschung zu betreiben. Externe - öffentliche wie private - Förderer erlangen so eine zentrale Rolle in der Gestaltung und Nachhaltigkeit von Forschungsstrukturen. Afrikanische Forschende benötigen diese Investitionen dringend, um adäquate Antworten auf drängende lokale Forschungsfragen geben zu können, und fordern von ihren Regierungen die notwendigen finanziellen Mittel, um unabhängiger von internationalen Förderern zu sein.

Der Blick auf das Feld der Forschungsbeziehungen mit Afrika ist deshalb notwendig, um genauer zeigen zu können, wie Organisationen und einzelne Forschende mit diesen Asymmetrien und daraus resultierenden Ambivalenzen umgehen und welche Entscheidungen sie treffen. Private wie öffentliche Forschungsförderer bewegen sich in diesem Feld entlang verschiedener Zielerwartungen zwischen Wissenschafts-, Entwicklungs- und Außenpolitik. Mit der Gestaltung ihrer Programme reagieren Förderer auf diese Anforderungen, wobei neben der Förderung von Einzelpersonen und Forschungskooperationen das organisatorische Forschungsadministration immer stärker im Vordergrund steht.

Dabei sind die Instrumente, die mehr Gleichheit in Forschungsbeziehungen herbeiführen könnten, längst bekannt. Förderer können die Zugänge zu Ausschreibungen und zu Netzwerken für alle Beteiligten verbessern und die Anforderungen in den Ausschreibungen beeinflussen. In ihren Review-Mechanismen können sie die wissenschaftlichen Anforderungen und den lokalen Innovations- und Übersetzungbedarf ausbalancieren, ohne den wissenschaftlichen Anspruch aufgeben zu müssen. Durch kontinuierliche Begleitung und Anpassung ihrer Verwendungsrichtlinien haben sie zudem die Möglichkeit, die bestehenden Machtbeziehungen in den Kooperationen zu beeinflussen. Oft treten solche Machtbeziehungen ungewollt besonders bei der Mittelverteilung, dem Antragsprozess und auch bei der Bearbeitung von Proben und Materialien in den besser ausgestatteten Laboren auf. Und die Förderer können durch Nachbereitung der Projekte zur weiteren Verbreitung der Ergebnisse und ihrer Nachhaltigkeit beitragen. Eine wesentliche Verbesserungsmöglichkeit auch für europäische Partner besteht allerdings in der Dauer der Förderung. Oftmals lassen sich in den üblichen drei Jahren Projektförderung keine nachhaltigen Partnerschaften und Infrastrukturen auf- und Asymmetrien abbauen. Dieses Problem teilen afrikanische Forschende mit ihren europäischen Kollegen und Kolleginnen.

Einige der Förderer haben sich dafür ethischen Standards verpflichtet, die zu mehr Gleichheit in Forschungspartnerschaften beitragen sollen. Die Schweizer Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern hat bereits in den späten 1990ern einen Leitfaden herausgegeben, der auch an die UNCTAD-Diskussionen von 1979 anschließt. Die Research Fairness Initiative aus der Gesundheitsforschung ist ein jüngeres Beispiel der ethisch orientierten Harmonisierung von Kollaborationen zwischen noch ungleich ausgestatteten Partnern.

In meinem Forschungsprojekt widme ich mich diesen Entwicklungen in der Förderlandschaft und untersuche ihre Effekte auf Kooperationen zwischen afrikanischen und europäischen Partnern. Im Mittelpunkt der Studie stehen öffentliche und private Förderer der ehemaligen Kolonialmächte Frankreich, Großbritannien und Deutschland sowie Schweden und die Schweiz. Zudem ziehe ich Initiativen der Europäischen Union heran, um multilaterale Initiativen zu erfassen. Quantitative und qualitative Erhebungen helfen, das institutionelle Feld adäquat beschreiben und die Entwicklungen besonders seit dem "Vienna Programme of Action" erklären zu können. In diesem Rahmen entstand eine Datenbank mit derzeit 144 Förderprogrammen aus den Forschungsdisziplinen der vernachlässigten Tropenkrankheiten und den erneuerbaren Energien. Sie umfasst einen Zeitraum von 1961 bis heute und hat Programme im Blick, in denen zumindest ein Teil für kollaborative Forschungen oder auch für institutionelle Förderung aufgewendet wird. Würde man Stipendienprogramme für einzelne Forscherinnen und Forscher ebenfalls erfassen wollen, würde die Zahl um ein Vielfaches ansteigen. Nichtsdestotrotz erlauben die meisten Forschungspartnerschaften oft auch die Fortbildung und den Austausch von Masterstudierenden und Doktoranden. Viele der Programme sind den öffentlich zugänglichen Datenbanken der jeweiligen Förderer entnommen, von denen wir in den untersuchten Ländern bisher 59 identifizieren konnten. Nimmt man die jeweiligen Partnerorganisationen in anderen europäischen und afrikanischen Ländern hinzu, sind derzeit 90 Förderorganisationen in der Datenbank erfasst.

Diese Datenbank erlaubt einen explorativen Zugang zu Intentionen, thematischen und geografischen Förderschwerpunkten und den Auswahlkriterien. Vorläufige Analysen der Daten lassen bereits einige Rückschlüsse auf die Forschungs- und Förderbeziehungen zwischen Afrika und Europa zu. So werden medizinische Forschungen wesentlich häufiger und bereits länger gefördert als Kollaborationen in den erneuerbaren Energien. Die Kollaborationen werden hauptsächlich aus Sonderprogrammen finanziert, die sich explizit entweder auf afrikanische Länder oder auf einen Entwicklungsaspekt beziehen. Als Förderer treten in Frankreich, Deutschland, Schweden und der Schweiz hauptsächlich Bildungs- und Entwicklungsministerien als öffentliche Förderer auf, während es in Deutschland auch einen nennenswerten Teil privater Förderung gibt, etwa durch die Volkswagenstiftung, die seit 2005 ein eigenes Förderprogramm für Afrika hat. Großbritannien bildet insofern eine Ausnahme, als hier der private Förderanteil deutlich überwiegt. Das lässt sich mit dem hohen Anteil an privaten Stiftungen erklären, die im anglofonen Bereich auch mehr Wissenschaftsförderung betreiben. Der Wellcome Trust zum Beispiel ist der größte Akteur in der medizinischen Forschungsförderung. Darüber hinaus kooperieren private und öffentliche Förderer in Großbritannien im Vergleich zu den anderen Ländern häufiger, etwa bei entwicklungspolitischen Programmen für wissenschaftliche Kapazitäten. Damit treffen verschiedene Organisationstypen und -ziele aufeinander, die sich in der oben beschriebenen Grauzone zwischen Entwicklungspolitik und Wissenschaftsförderung bewegen.

Auch die Förderer kooperieren zunehmend international. Sie tragen damit der internationalen Verflechtung afrikanischer und europäischer Wissenschaftler Rechnung. Die Modelle der Finanzierung sind dabei ebenso wie die Motivation dazu unterschiedlich. Zwei Dimensionen müssen unterschieden werden: die Finanzierungsquellen und die Organisationen, die für die Implementierung zuständig sind. Seit 2010 entstehen immer mehr Kooperationen zwischen europäischen und afrikanischen Ländern für wissenschaftliche Förderprogramme. Allein das deutsche Bildungsministerium hat mit Tunesien, Ägypten und Marokko seit 2008 mehrere bilaterale Finanzierungsmodelle für Forschende aufgelegt. Die Programme werden über ein gemeinsames Konsortium eingerichtet und sollen damit die Forschungsagenden mehr als bisher auf lokale Fragen und Herausforderungen ausrichten. Der europäische Förderer tritt damit im Idealfall operativ stärker in den Hintergrund und agiert nun eher als Finanzier. Neben diesen bilateralen Abkommen stehen multilaterale Programme, in denen zum Beispiel die Europäische Union Förderungen ermöglicht (European Research Area Network Africa als ein prägnantes Beispiel) oder in denen sich europäische private Stiftungen zugunsten des Aufbaus medizinischer Kapazitäten zusammenschließen, wie im Fall des African Research Network for Neglected Tropical Diseases.

Was bedeuten diese Förderstrukturen für den Grad der Autonomie afrikanischer Forschender, selbst Ziele zu setzen und Forschungen zu unternehmen? Die Ambivalenz von Abhängigkeit und Selbstermächtigung bleibt ein prägendes Merkmal. Zum einen dominieren ressourcenstärkere Akteure und Wissenssysteme sowie Theorien und Methoden noch immer die Ausbildungswege und Forschungsinfrastrukturen und damit auch die Kollaborationen. Afrikanische Forschende erhalten nur langsam größere Wahlmöglichkeiten zwischen Finanzierungsquellen, da ja die afrikanischen Regierungen mit wenigen Ausnahmen noch keine nennenswerten eigenen Mittel für Forschungen bereitstellen und auch die niedrigen bis fehlenden Investitionen aus der Privatwirtschaft nicht ersetzen können, die in vielen OECD-Ländern eine wichtige Rolle spielen. Interviews mit Forschenden und Vertretern von Wissenschaftsministerien in Afrika bestätigen diese Abhängigkeit für die beiden untersuchten Anwendungsfelder. Auf der anderen Seite stellen Forschungskooperationen die Möglichkeit dar, das entsprechende Wissen und die notwendige Infrastruktur aufzubauen, Doktoranden und Doktorandinnen auszubilden und die Expertise vor Ort einzusetzen. Damit geht ein Schritt zur Selbstermächtigung einher, die es erlaubt, viele Schritte der Analyse biologischer Proben in der Gesundheitsforschung vor Ort vorzunehmen und nicht mehr nach Europa oder in die USA ausfliegen zu müssen. Von bilateralen und multilateralen Förderkonstellationen wird zudem erwartet, dass sie Wissenschaftsministerien und damit afrikanische Regierungen enger einbinden und so deren administrative Expertise fördern, damit durch eigene finanzielle Beiträge die afrikanischen Stimmen im Aushandlungsprozess der Forschungsagenden mehr Gewicht erhalten. Die Dominanz ressourcenstärkerer Akteure wie Deutschland oder Frankreich in globalen Wissenschaftskooperationen wird jedoch vorerst fortbestehen.


Literatur

Adriansen, Hanne Kirstine/Møller Madsen, Lene/Jensen, Stig (Hg.):
Higher Education and Capacity Building in Africa: The Geography and Power of Knowledge under Changing Conditions. Routledge 2016.

Halvorsen, Tor/Nossum, Jorun (Hg.):
North-South Knowledge Networks: Towards Equitable Collaboration between Academics, Donors and Universities. Cape Town: African Minds 2016. Hountondji, Paulin J.:
"Scientific Dependence in Africa Today." In: Research in African Literatures, 1990, Jg. 21, H. 3, S. 5-15.

Moyi Okwaro, Ferdinand/Geissler P. W.:
"In/dependent Collaborations: Perceptions and Experiences of African Scientists in Transnational HIV Research." In: Medical Anthropology Quarterly, 2015, Jg. 29, H. 4, S. 492-511.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 159, März 2018, Seite 31-33
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2018

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