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INTERNATIONAL/061: Russland - Rauswurf aus der G20? Wohl kaum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. April 2014

Russland: Rauswurf aus der G20? - Wohl kaum

von Thalif Deen


Bild: © Eskinder Debebe/UN

Der russische Präsident Wladimir Putin vor Beginn des G20-Gipfels in St. Petersburg am 5. September 2013
Bild: © Eskinder Debebe/UN

New York, 3. April (IPS) - Als die Westmächte, angeführt von den USA, den Rauswurf Russlands aus der Gruppe der Acht (G8) Industriestaaten beschlossen, ging es darum, den Präsidenten Wladimir Putin für seine Intervention in der Ukraine und 'Annexion' der Krim abzustrafen und zu isolieren. "Was geschieht als nächstes? Fliegt Russland nun aus den Vereinten Nationen und der G20?", witzelte daraufhin ein asiatischer Diplomat im UN-Foyer Ende März und sprach von einem westlichen Hirngespinst.

Die Entscheidung der G8 ist weitgehend bedeutungslos, weil sie lediglich von den sieben westlichen Industriestaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA sowie der Europäischen Union getroffen wurde.

Russland ist ebenfalls Mitglied der G20, einem Bündnis aus Industrie- und Entwicklungsländern sowie aus den zu den BRICS-Staaten zusammengefassten wirtschaftlichen Schwergewichten Russland, Indien, China und Südafrika. Australien hat zwar gewarnt, dass Russland auf dem nächsten G20-Gipfel in Brisbane im November aus dieser Allianz ausgeschlossen werden könnte. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Am Rande des Gipfeltreffens über nukleare Sicherheit in Den Haag warnten die BRICS-Außenminister vor einem solchen Schritt. In einer Mitteilung, die auf der Konferenz verbreitet wurde, erklärten sie, dass innerhalb der G20 alle Mitglieder den gleichen Status hätten und somit kein Mitgliedsland einfach unilateral über die Beschaffenheit der Gruppe entscheiden könne.

Die G20-Mitglieder sind Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, die Republik Korea, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Türkei, die USA und die Europäische Union (EU).

Bei einer Abstimmung in der 193 Mitgliedstaaten zählenden UN-Vollversammlung Ende März über eine explizit Russland-kritische Resolution zu den Unruhen in der Ukraine enthielten sich die vier russischen BRICS-Partner ihrer Stimme und schlossen sich damit 54 anderen Ländern an. Bei der endgültigen Abstimmung stimmten zudem 100 für und elf gegen die Resolution.


"Lediglich selbsternannte informelle Gruppierungen"

Wie Chakravarthi Raghavan, emeritierter Redakteur des 'South-North Development Monitor' mit Sitz in Genf, gegenüber IPS erklärte, "sind die G7/G8 und die G20 lediglich selbsternannte informelle Gruppierungen, die keinerlei Legitimität besitzen und nichts weiter als teure Jahresspektakel abhalten, auf denen sich gelegentlich die Nebenveranstaltungen als nützlich erweisen".

Raghavan erinnerte daran, dass die G7/G8 ursprünglich in Reaktion auf die Ölkrise entstanden sei. Man habe vorgehabt, wirtschaftliche Fragen anzugehen und in einen Dialog der G5/G7-Staaten mit der Organisation der erdölexportierenden Ländern (OPEC) zu treten, um Abkommen zu fördern und Konfrontationen zu vermeiden.

Sehr schnell habe sich der G7-Prozess als wenig effektiv herausgestellt. So seien die ursprünglichen Pläne, sich bei Bedarf zu einem informellen aber offenen Meinungsaustausch zu treffen, gescheitert. "Den Bürokratien und Ministerien der Regierungen war gar nicht daran gelegen, dass dieser Prozess vorankam", betonte Raghavan, ehemaliger Chefredakteur des 'Press Trust of India' (PTI), der seit vielen Jahrzehnten über die Aktivitäten der Vereinten Nationen in Genf und New York berichtet.

Obwohl die G7 ihren wirtschaftlichen Fokus verloren habe, seien die kostspieligen Jahrestreffen und Zusammenkünfte der 'Sherpas' (Führer) fortgesetzt worden. Die Veranstaltungen seien zur reinen Formsache verkommen und präsentierten längst gefasste Beschlüsse, die nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners getroffen würden. Außerdem habe sich die G7/G8 in alle möglichen Belange eingemischt, ohne dass deren Regierungen sicherstellen konnten, dass die Entscheidungen in ihren eigenen Ländern umgesetzt würden.


Aufnahme und Ausschluss Russlands gleichermaßen "undurchsichtig"

"Der Vorgang, der 1998 mit der Aufnahme von Russland zur Erweiterung der G7 in die G8 gipfelte, war ebenso undurchsichtig wie der Vorgang, der jetzt zum Ausschluss Moskaus führte", meinte Vijay Prashad, Autor des Buches 'The Poorer Nations: A Possible History of the Global South' ('Die armen Länder - Wie die Geschichte des globalen Südens auch hätte verlaufen können') gegenüber IPS.

Die Gruppe der Sieben (G7) aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA traf 1974 zusammen, um eine gemeinsame Antwort auf den einschneidenden Vorstoß des Dritte-Welt-Projekts der entkolonisierten Staaten, den Angriff mit der 'Waffe Erdöl' im Jahr 1973, zu formulieren, der im Mai 1974 zur Resolution 3201 der UN-Vollversammlung für eine Neue Weltwirtschaftsordnung (NIEO) zugunsten der Entwicklungsländer führte. Damals hatten die arabischen Produzentenländer den Ölhahn zugedreht und die Industriestaaten in die Krise gestürzt.

"Die G7 wurde gegründet, um, wie sich der ehemalige US-Präsident Gerald Ford ausdrückte, 'sicherzustellen, dass die derzeitige Weltwirtschaftssituation nicht als Krise innerhalb des demokratischen oder kapitalistischem Systems aufgefasst wird'", erklärte Prashad. Die Krise sei als vorübergehendes, nicht als systematisches Problem betrachtet worden.

Der Zusammenbruch des Dritte-Welt-Projekts, der Aufstieg des vom Internationalen Währungsfonds (IWF) vorangetriebenen neoliberalen Zeitalters und der Niedergang der damaligen Sowjetunion hätten die G7 veranlasst, Russland in ihren Reihen willkommen zu heißen, meinte Prashad, der Edward-Said-Vorsitzende der Amerikanischen Universität Beirut im Libanon. Die G7-Mitgliedschaft wurde mit dem Versprechen versüßt, dass die Nordatlantische Allianz (NATO) nicht näher an Russland als an die deutsche Grenze heranrücken würde.


G20-Treffen mit geringer Wirkung

Raghavan zufolge äußern sich auch die G20-Staaten auf ihren Jahrestreffen zu einer Vielzahl unterschiedlicher Themen, ohne dass diese vorankommen, wie die Bemühungen gezeigt hätten, die Doha-Welthandelsgespräche endlich zu einem Abschluss zu bringen. Einige ihrer vollmundigen Pläne, die künftigen Finanzkrisen vorbeugen sollten, seien durch den Einfluss der großen Finanzlobbyisten in New York und London wieder verwässert worden, so Raghavan, Autor des Buches 'Third World in the Third Millennium' (Dritte Welt im Dritten Jahrtausend').

Als die Kreditkrise ihren Anfang nahm, habe der Westen sofort China und Indien um finanzielle Mittel gebeten und als Gegenleistung in Aussicht gestellt, die G8 abzuwickeln und der G20 (mit Brasilien, China, Indien und Südafrika als Mitglieder) sämtliche Aufgaben für die Behandlung internationaler Angelegenheiten zu übertragen. China hat geliefert, der Westen nicht.

Die G20 war während der Asienkrise 1997 bis 1998 gegründet worden, um nationalistischen Reaktionen auf den Finanzcrash vorzubeugen. "Als sich die westlichen Börsenmärkte erholt hatten, waren auch die Versprechen vergessen", kritisierte Raghavan.

Die G8 existierte weiter - zur Enttäuschung der BRICS-Staaten, die sich mehr Einfluss erhofft hatten. Sie stimmen darin überein, dass die Bewegungen des Westens in Richtung Osten gefährlich sind. Es ist unwahrscheinlich, dass sie einem Ausschluss Russlands zustimmen werden - abgesehen von der Bedeutungslosigkeit, die damit verbunden wäre. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/russia-expelled-g8-g20-fast/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2014