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INTERNATIONAL/092: Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Addis Abeba (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Addis Abeba
Vom schwierigen Ringen um mehr internationale Steuergerechtigkeit

von Dr. Klaus Schilder


Das Ausmaß des Problems ist allgemein akzeptiert: Jährlich verlieren Entwicklungs- und Industrieländer gleichermaßen mehrstellige Milliardenbeträge durch Steuerflucht und Steuervermeidung. Dennoch verpassten die Staaten bei der dritten Entwicklungsfinanzierungskonferenz im Juli 2015 in Addis Abeba die historische Chance, ein deutliches Handlungszeichen im Ringen um internationale Steuergerechtigkeit und gegen illegale Kapitalabflüsse aus dem Süden zu setzen. Fast gescheitert wären die Verhandlungen an der längst überfälligen Forderung, die Diskussionen endlich dorthin zu verlagern, wo sie in Zeiten eines globalisierten Finanzund Wirtschaftssystems hingehören: In die UN.


Schon in der ersten Entwicklungsfinanzierungskonferenz 2001 in Monterrey bildeten die Verhandlungen über systemische Reformen der nationalen und internationalen Steuer- und Fiskalpolitik, insbesondere zur Unterbindung illegaler Finanzflüsse und Stärkung der Mobilisierung einheimischer Ressourcen für Entwicklung, eine der tragenden Säulen der Agenda über Entwicklungsfinanzierung. Die im Juli 2015 verabschiedete Addis Abeba Action Agenda (AAAA) konnte im Ergebnis wenig neue Beiträge zur Schaffung eines wirksamen, inklusiven internationalen Steuersystems und effektiver Maßnahmen gegen illegale Finanzflüsse und Steuerhinterziehung beitragen. Wirklich neu ist nur die Zielvorgabe, bis zum Jahr 2030 die Anstrengungen zur Reduzierung und Eliminierung illegaler Finanzflüsse, unter anderem durch verstärkte nationale Regulierung und internationale Kooperation, zu verdoppeln. Ein Indikator, wie dies hinreichend zu messen sei, wurde allerdings nicht benannt.


Hauptstreitpunkt: Aufwertung der UN in der Steuerpolitik

Die zentrale Forderung vieler Entwicklungs- und Schwellenländer auf der Konferenz war die institutionelle Stärkung der internationalen Kooperation in Steuerfragen durch Aufwertung des existierenden UN-ExpertInnenausschusses zu einer vollwertigen politischen Kommission mit universeller Mitgliedschaft aller UN-Staaten. Dies wurde von einigen Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), nämlich den USA, der EU, Japan und Kanada, von vornherein abgelehnt, mit dem Ergebnis, dass die Verhandlungen über Reformen internationaler Steuerregeln weiterhin im exklusiven Kreis der industrialisierten Staaten in G20 und OECD ohne Beteiligung der Länder des globalen Südens geführt werden.


Ein schwieriger Prozess

Bisher kommt der G20, gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der OECD, die Schlüsselrolle in der internationalen Finanzpolitik zu. Dennoch kommen die finanz- und wirtschaftspolitischen Interessen der Länder, die nicht Mitglied der Gruppe sind, nicht ausreichend zur Geltung. Die Forderung der Entwicklungsländer zur Gründung einer zwischenstaatlichen Kommission für Steuerfragen entspricht auch der Notwendigkeit, angesichts von Fehlanreizen in der gegenwärtigen Steuerpolitik eine breit legitimierte Diskussion über Fragen internationaler Besteuerung zu ermöglichen, mit Blick auf die Mobilisierung heimischer Haushaltsmittel für die Überwindung von Armut und für nachhaltige Entwicklung im Kontext der 2030-Agenda. Vor diesem Hintergrund forderten die Gruppe der Entwicklungsländer (G77 und China) mehr Mitsprache, die Verbesserung der Kooperation auf internationaler Ebene und den Aufbau progressiver Steuersysteme. Ihr Kernargument: Angesichts der Tatsache, dass viele Entwicklungsländer zu den Hauptleidtragenden illegaler Finanzabflüsse, von Steuerhinterziehung und -vermeidung sowie missbräuchlicher Verrechnungspreislegung zählen, sollten sie gleichberechtigt am Tisch internationaler Verhandlungen sitzen. Dies sei im Kontext der UN am besten zu regeln, da hierdurch eine stärkere Kohärenz internationaler Steuerregeln durch Verringerung von Doppelbesteuerung, der Vermeidung eines schädlichen Steuersenkungswettlaufes sowie ein wirksameres Vorgehen gegen Steueroasen erreicht werden könne.(1)


Industriestaaten setzen sich durch

Die Forderung nach Demokratisierung der internationalen Steuerpolitik und der Beteiligung aller UN-Staaten an entsprechenden Verhandlungen ist keineswegs neu. Der Versuch, die UN zu einer Art Trendsetter in der internationalen Steuer- und Fiskalpolitik zu machen, wird schon seit gut 14 Jahren verfolgt. Der UN-ExpertInnenausschuss hat zudem bereits eigene Standards für Doppelbesteuerungsabkommen und die Konzernbesteuerung entwickelt, welche die Interessen der nicht innerhalb der OECD beteiligten Schwellen- und Entwicklungsländer stärker berücksichtigen als die Standards der OECD. Die Erwartungen, die internationale Regelung von Steuerpolitik in die UN zu verlagern und dadurch gerechter zu machen, wurden aber in Addis Abeba enttäuscht. Der letztlich verabschiedete Wortlaut der AAAA enthält eine Kompromissformel. So soll die Nominierung der Mitglieder der ExpertInnenkommission zwar durch die Regierungen, auf Basis einer ausgewogenen geographischen Verteilung und vorbehaltlich der endgültigen Ernennung durch den UN-Generalsekretär erfolgen, der Text enthält aber keinen Hinweis mehr auf ein zwischenstaatliches Gremium oder die von G77-Mitgliedern vorgeschlagene Prüfung weiterer Reformoptionen bis 2016.


Position der Bundesregierung

Deutschland hatte sich in den Vorverhandlungen in New York intensiv für die Bekämpfung illegaler Finanzströme, mehr Transparenz und die Reform internationaler Steuerregeln eingesetzt. Allerdings votierte Deutschland - wie die meisten EU-Staaten - nur für eine Stärkung der Arbeit der existierenden UN-ExpertInnenkommission durch die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel, verwahrte sich aber deutlich gegen die Forderung zur Schaffung einer internationalen Steuerkommission unter dem Dach der UN und lehnte damit die Forderungen der G77 rundweg ab. Vor allem die inhaltliche Effektivität und Beschlussfähigkeit eines neuen zwischenstaatlichen Gremiums in komplexen steuerpolitischen Fragen wurden angezweifelt. In der neuen Steuerkommission wären zudem statt wie bisher SteuerexpertInnen aus 25 Ländern - davon 15 aus G77-Staaten - in Steuerfragen weniger versierte DiplomatInnen aus allen 193 Mitgliedstaaten vertreten, so die Befürchtung. Eine im Sinne des Demokratieverständnisses bemerkenswerte Einschätzung, wenn sie gedanklich auf die Vielzahl der bestehenden UN-Kommissionen übertragen wird. Immerhin wurde hinsichtlich der laufenden Reformen der internationalen Steuergesetzgebung innerhalb der OECD Bereitschaft signalisiert, stärker auf die fiskalpolitischen Interessen von Entwicklungsländern einzugehen. Aus dem Entwicklungsministerium (BMZ) bestehe die Bereitschaft, die Entwicklungsländer vor allem bei der Stärkung ihrer Steuerverwaltungen zu unterstützen.


Progressive Vorschläge blieben ungehört

International existieren eine Reihe von multilateralen Initiativen zur Verbesserung der Steuersysteme in Entwicklungs- und Schwellenländern. Gleichzeitig herrscht politischer Stillstand bei der zentralen Frage, ob die Industrieländer bereit sind, ihre Definitionsmacht in der internationalen Steuer- und Fiskalpolitik an ein demokratisch legitimiertes Gremium zu übertragen. Dabei ist die Zeit reif für weitreichende und tiefgehende Reformen der internationalen Steuer- und Fiskalpolitik, die an die Wurzel von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten gehen und für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen könnten. So fordern führende ÖkonomInnen und FinanzministerInnen einen radikalen Kurswechsel in der internationalen Unternehmensbesteuerung. Der Missbrauch von Steuergesetzen durch Unternehmen erschwere die Finanzierung öffentlicher Gemeingüter und sozialer Grunddienste. Die in der unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) versammelten ExpertInnen setzen sich daher für eine grundlegende Reform des nicht mehr zeitgemäßen Systems internationaler Unternehmensbesteuerung und für die Gründung einer internationalen Steuerorganisation ein.


Industriestaaten sind gegen Schaffung demokratischer Strukturen

Das ernüchternde Ergebnis von Addis zeigt, dass einmal mehr die reichen Industriestaaten entgegen entwicklungspolitischer Sonntagsreden nicht daran interessiert waren, demokratischere Governance-Strukturen für die Kooperation in Fragen internationaler Steuerpolitik zu schaffen. Darüber hinaus fehlte ihnen der Wille, viele der problematischen, systemischen Hindernisse in der internationalen Steuerpolitik, die einem nachhaltigen und fairen Interessenausgleich mit Entwicklungs- und Schwellenländern entgegenstehen, anzupacken. Dies steht im offensichtlichen Widerspruch zum erklärten Ziel der 2030-Agenda und der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), politische Spielräume für Staaten zu eröffnen sowie Ungleichheiten innerhalb und zwischen Gesellschaften zu reduzieren. Die G77 haben bereits angekündigt, die Diskussion um die Demokratisierung der internationalen Steuerpolitik in der UN weiter intensiv voranzutreiben. Denn die Zeit für gute Ideen ist reif.


Der Autor ist Referent für Entwicklungsfinanzierung, Wirtschaft und Menschenrechte beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR e.V.

Anmerkung:
(1) http://eurodad.org/files pdf/55828f0985a99.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 11-12
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2015

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