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FRIEDEN/1129: John McCain - Scharfmacher aus Passion und Tradition (SB)



Man sollte vielleicht einmal etwas genauer hinschauen, wer alles bei der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz ein- und ausgeht, bevor man sich über das rüde Verhalten eines Gastes ereifert. Wenn der Vorsitzende im Streitkräfteausschuß des US-Senats, John McCain, Bundeskanzlerin Angela Merkel im ZDF mehr oder minder offen unterstellt, nicht zu wissen, was sie tue, dann ist die Aufregung in Politik und Medien groß. McCain ist schließlich nicht nur irgendein US-Politiker, sondern einer der einflußreichsten Akteure der Republikanischen Partei im Bereich Internationaler Politik. Auf dem von der Bundesregierung im Verbund mit der Rüstungsindustrie finanzierten und von Bundeswehrsoldaten geschützten Treffen hochrangiger Geostrategen und Kriegsplaner ist der US-Senator langjähriger und regelmäßiger Gast. 2006 wurde ihm der von der Konferenz geschaffene Preis "Frieden durch Dialog" verliehen, so daß niemand behaupten kann, hier habe ein eher unwillkommener Provokateur Klartext geredet. McCain hat nichts anderes getan als zu versuchen, die Bundeskanzlerin dort abzuholen, wo sie nach Lage ihrer politischen Entscheidungen in Sachen Ukraine hinmarschiert. Daß sie dies, wie es ihre Art ist, hinter einem Vexierspiegel tut, in dem sich diverse Möglichkeitshorizonte abbilden, heißt nicht, daß ihre Position völlig anders geartet wäre als die des US-Politikers.

Was diesen zum Friedenspreisträger der Sicherheitskonferenz empfiehlt, umfaßt einen so umfangreichen Katalog einschlägiger Stellungnahmen gegen Rußland und andere Bösewichte, die nicht der von ihm als Ersatz für die Vereinten Nationen propagierten "Liga der Demokratien" angehören, daß es kein Vertun geben kann bei seinem prinzipiellen Eintreten für den Einsatz übermächtiger Feuerkraft. Am Angriff der NATO 1999 auf Jugoslawien hatte er vor allem auszusetzen, daß man nicht früher mit aller Macht und vor allem auch am Boden zugeschlagen hat. Im gleichen Jahr nahm er mit seiner Doktrin des "Schurkenstaaten-Rollbacks" das Leitmotiv der zweiten Präsidentschaft George W. Bushs vorweg. Zum 25. Jahrestag des Sieges Vietnams über die US-Aggressoren reiste der Kriegsveteran McCain mit umfangreicher Presse-Entourage in Hanoi an, um dort zu erklären, daß die falschen Leute den Krieg gewonnen hätten. Aus dem Munde ihres ehemaligen Kriegsgefangenen erfuhren die Gastgeber, daß die Vietnamesen, die mit den US-Streitkräften verbündet waren und nach deren Niederlage per Boot unter anderem in die USA flohen, die moralischen Sieger eines imperialistischen Krieges waren, der bis zu drei Millionen Vietnamesen das Leben kostete.

"Tatsachen sind Tatsachen. Wahrheit ist Wahrheit. Geschichte ist Geschichte. Ich sage immer die Wahrheit. Ich habe mein ganzes Leben gegen den Kommunismus gekämpft." Das an das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes gemahnende Credo des angeblich so dialogbereiten McCain gilt heute so wie vor 15 Jahren in Hanoi. Selbst wenn Rußland längst keine sozialistische Gesellschaft mehr hat oder die Sowjetunion verkörpert, für McCain ist der Antikommunismus zur zweiten Natur und Rußland damit zum unentbehrlichen Feindbild geworden. Schon 2004 bezichtigte er den russischen Präsidenten Vladimir Putin in München, die Sowjetunion restaurieren zu wollen, indem er die Staaten, "die durch unseren Sieg im Kalten Krieg von der sowjetischen Herrschaft befreit wurden", wieder unter die Kontrolle Moskaus bringen wolle.

2006 brachte McCain zusammen mit seinem nicht minder bellizistischen Senatorenkollegen Joseph Lieberman einen Resolutionsentwurf ein, der zum Ziel hatte, Rußland aus dem Kreis der G8-Staaten auszuschließen. Als Mitbewerber um die US-Präsidentschaft forderte McCain 2007 erneut den Ausschluß des "revanchistischen Rußlands" aus der G8, um den Kreml 2008 im Konflikt um Georgien einer Aggression zu bezichtigen, die mit den Mitteln der NATO zurückzudrängen sei. Wie es das Kalkül des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, den McCain zusammen mit Hillary Clinton 2005 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen hatte, vorsah, hatte der von ihm befohlene Angriff auf Südossetien eine internationale Krise entfacht. Diese hätte schon damals in einen Krieg der NATO gegen Rußland münden können, wenn es nach McCain gegangen wäre. Daß Saakaschwili den US-Senator 2010 bei einem Besuch in Georgien zum Nationalhelden ernannte, hat demgegenüber weit weniger Schaden angerichtet. Heute ermittelt die georgische Generalstaatsanwaltschaft gegen den in den USA lebenden und dort als "Senior Stateman" hofierten Saakaschwili wegen Korruption in diversen Fällen. Allem Anschein nach gilt sein an McCain 2010 gerichtetes Lob, daß man wahre Freunde in der Not erkenne, auch dafür, daß der ehemalige Präsident Georgiens wohl kaum an sein Heimatland ausgeliefert werden wird, um dort eine Haftstrafe von bis zu elf Jahren zu riskieren.

McCain, dem privater Waffenbesitz "ein fundamentales Recht ist, das so heilig wie das Recht auf Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht" sei, ist im Umgang mit seinen Feinden durchaus zu Scherzen aufgelegt. Als der republikanische Senator auf seiner "Straight Talk"-Wahlkampftour 2007 gefragt wurde, wann denn die US-Streitkräfte "eine Luftpostbotschaft nach Teheran" schickten, quittierte er dies mit einem Ständchen. Dem Beach-Boys-Klassiker "Barbara Ann" gab er allerdings einen neuen, zeitgemäßen Refrain: "Bomb, bomb, bomb; bomb, bomb, Iran". Daß dies bis heute nicht erfolgt ist, ist keineswegs ein Verdienst dieses US-Politikers.

So, wie McCain an seiner Aggressionsbereitschaft gegen diesen Staat niemals Zweifel aufkommen ließ, sparte der ehemalige Bomberpilot auch nicht mit den für Männer seines Schlages üblichen Testosteronaufwallungen. Der Familie seiner Ehefrau Cindy Lou Hensley McCain, die er 1979 heiratete, hat er nichts geringeres als seine Karriere zu verdanken, wurde der damals nicht zu den vermögenden Eliten seines Landes zählende Offizier und Kriegsheld doch 1981 von ihrem Vater Jim Hensley als Vizepräsident für Public Relations in dessen Biervertriebskonzern Hensley & Co eingestellt. Senator von Alabama wurde McCain dann unter anderem deshalb, weil sein in diesem Bundesstaat besonders einflußreicher Schwiegervater die notwendigen Kontakte herstellte. Cindy McCain, der als Mehrheitsaktionärin im Unternehmen ihres 2000 verstorbenen Vaters ein Einkommen von mehr als 200 Millionen Dollar im Jahr nachgesagt wird, geizt zudem nicht mit Wahlkampfspenden für ihren Ehemann. Das hinderte McCain im Präsidentschaftswahlkampf 2008 nicht daran, seine Frau auf dem traditionsreichsten Biker-Treffen der USA, die alljährlich von rund einer halben Million Motorradfahrern besuchte Sturgis Rally im US-Bundestaat South Dakota, als ernstzunehmende Konkurrentin für einen sogenannten Schönheitswettbewerb, bei dem die Frauen barbusig oder auch ganz nackt auftreten, vorzuschlagen. Er habe "Cindy aufgefordert, sich diesem Wettbewerb zu stellen. Mit ein bißchen Glück könnte sie die einzige Frau werden, die gleichzeitig als First Lady und Miss Buffalo Chip fungiert".

Die Aufregung darüber, daß McCain im Rahmen der sogenannten Sicherheitskonferenz, die auch durch einige Damen wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ein Herrenclub bleibt, die Bundeskanzlerin als inkompetent vorführt, ist allerdings der Tatsache geschuldet, daß der US-Senator mit seiner Provokation in die Kerbe der von führenden Politikern der Bundesrepublik selbst als unzureichend dargestellten Kriegsbereitschaft der Bevölkerung schlägt. Damit leistet er der großen Riege transatlantischer Scharfmacher absichtsvoll Schützenhilfe, so daß die Empörung über seinen Ausfall in Richtung Kanzlerin eher pflichtschuldigst geäußert, als in der Sache ernstgemeint vertreten wird.

Von daher kann in diesem Fall auch nicht behauptet werden, daß, wer sich in schlechte Gesellschaft begibt, darin umkommt. Das Gegenteil ist der Fall - umkommen sollen immer die anderen. Nichts anderes als das Führen eines permanenten Krieges mit allen offiziellen und inoffiziellen Mitteln bedeutet der "lange währende Frieden", den McCain 2007 versprach. Er werde ein Präsident sein, der "die Bestimmung unseres Landes und seine Stellung in der Welt wieder herstellt" und "Terroristen und Gegnern, die die Freiheiten in ihrem Land und in der Welt bedrohen, eine Niederlage zufügt".

8. Februar 2015


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