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FRIEDEN/1136: Einstaatenlösung - Erpressungsziel erreicht ... (SB)



Wenn Deutschland wirklich Verantwortung für seine Nazi-Vergangenheit übernähme, würde es kompromisslos die Lehren aus dem damaligen Hass auf den Anderen ziehen, aus der rassistischen Gesetzgebung, aus der Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat und dem Gebrauch von Waffengewalt zu diesem Zweck. Und Deutschland würde diese Lehren auch auf die Politik der israelischen Regierung anwenden, anstatt sie zu verdrehen und zu entstellen, um sich an deren Seite zu stellen, bis hin zur Diskreditierung aller ihrer Gegner als Antisemiten.
Ilana Hammerman - Deutschland macht mich ratlos [1]

Der mit dem Titel "Peace to Prosperity" Frieden und Wohlstand verheißende Plan der US-Regierung für den Konflikt zwischen PalästinenserInnen und Israelis ist nicht nur eine Totgeburt, sondern ein potentieller Sprengkörper. Seine Explosivkraft steckt vor allem anderen darin, daß er ohne palästinensische Beteiligung aufgestellt und allein von US-Präsident Trump und Israels Premierminister Netanjahu vorgestellt wurde. Einer seit 54 Jahren zu großen Teilen unter Kontrolle der Streitkräfte eines anderen Landes lebenden und strukturell entrechteten Bevölkerung zu suggerieren, ihr werde eine Lösung auf Augenhöhe präsentiert, während ihnen diese mit paternalistischer Gönnerhaftigkeit aufoktroyiert wird, läßt diese wissen, daß man weder auf ihre Stimme angewiesen noch bereit ist, sie zu vernehmen.

Da auch die konkreten Details des sogenannten Friedensplans zu Ungunsten der PalästinenserInnen ausgehen und eine selbstbestimmte Zukunft in einem eigenen Staatswesen praktisch unmöglich machen, trifft die heute vielfach zu vernehmende Analyse, daß dieser Plan das praktische Ende des sogenannten Friedensprozesses sei, allemal zu. Seine für die schwächere Partei offenkundige Gefahr liegt darin, von der israelischen Regierung einseitig mit der Folge territorialer Annexionen in den von Israel besetzten Gebieten in Kraft gesetzt zu werden [1].

Die von seinen Urhebern im Weißen Haus propagierte Lösung, die palästinensische Bevölkerung könne den Vorschlag doch einfach akzeptieren, führte zu nichts anderem als Gebietsverlusten und einem Leben in einem territorialen Flickenteppich unter kaum vorhandender Souveränität und mit massiver rechtlicher Benachteiligung gegenüber dem Nachbarstaat Israel. Der im Plan empfohlene Gebietsaustausch wiederum sorgte dafür, daß ein Großteil der palästinensischen StaatsbürgerInnen Israels ihre Staatsangehörigkeit verlöre [2] im Austausch gegen die Zugehörigkeit zu einer bloßen Simulation von Staatlichkeit, deren Existenz wohl oder übel vom jeweiligen Interesse und den tagespolitischen Erfordernissen israelischer Politik abhängig wäre.

All dies liegt offen auf dem Tisch und wird so unverhohlen propagiert, daß empörte Reaktionen auf palästinensischer Seite vorprogrammiert sind. Unter den gegebenen Machtverhältnissen können sie eigentlich nur alles falsch machen - halten sie still, dann wird ihre benachteiligte Situation zementiert, wehren sie sich, wird ihnen der Vorwurf gemacht, keinen Frieden zu wollen und einem angeblich inhärenten Hang zu Gewalt und Terrorismus zu frönen. Was als progressive Lösung bleibt, ist das Wiederaufgreifen der Einstaatenlösung. Ein Staat für alle auf dem Gebiet des britischen Mandatsgebietes Palästina lebende Menschen unabhängig von Religion, Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe - was könnte demokratischer und emanzipatorischer im Sinne der im Rahmen des Friedensprozesses gerne im Mund geführten Werte sein? Auch und gerade wegen der Schwüre, mit denen Trump, Netanjahu, Merkel, Johnson und Macron den Wunsch nach Freiheit und Demokratie bekräftigen, ist dies die naheliegendste Option nach dem faktischen Ende einer möglichen Zweistaatenlösung.

Insbesondere die deutsche Bundesregierung hätte vor dem Hintergrund des 50. Jahrestages der Befreiung der Insassen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz viele gute Gründe, in diese Richtung tätig zu werden. Wie sonst sollte der Kategorische Imperativ des Niemals Wieder realisiert werden wenn nicht im Übertrag der moralischen und ethischen Konsequenzen aus dem Holocaust auf einen Werteuniversalismus, der alle Menschen im Anspruch auf Anerkennung ihrer Würde und der rechtlichen wie politischen Gleichheit einschließt? Anstatt aus kurzsichtigem Vorteilskalkül mit Despoten wie dem türkischen Präsidenten Erdogan bei der Vertreibung und Unterdrückung der KurdInnen, der größten ethnisch und national definierten Gruppe im Nahen und Mittleren Osten ohne eigenen Staat, behilflich zu sein [3], stände es der Bundesregierung gut zu Gesicht, auf die an diesem historischen Gedenktag beschworene Standhaftigkeit im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Faschismus Taten folgen zu lassen. Das wäre zweifellos auch im Interesse des israelischen Staatspräsidenten Rivlin, der die Bundesregierung um Vermittlung im Verhältnis zu den PalästinenserInnen gebeten hat.


Fußnoten:

[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/deutschland-macht-mich-ratlos?fbclid=IwAR0cT7YwYkkwPbfQ179S8QNoKoCAlACvaEf_dETjNaRf0J0fmUtoJuTkUQw

[2] https://www.haaretz.com/us-news/.premium-fact-check-trump-did-not-actually-offer-the-palestinians-a-state-1.8466670?fbclid=IwAR07Brx7aQykHwL4Bd_o0vDgkCOPz5bHTOMc4avnS4MvL-vPDeE17q2Ocw8

[3] https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Merkels-zivilisatorischer-Tabubruch-4645780.html

29. Januar 2020


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