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HEGEMONIE/1554: Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens steht noch bevor (SB)



Wie im Libanonkrieg im Sommer 2006 macht die israelische Regierung auch beim Überfall auf den Gazastreifen geltend, daß sie nicht nur gegen die Hamas, sondern auch die angeblichen Hintermänner der Hamas in Teheran kämpfe. Vor zweieinhalb Jahren ging es der israelischen Führung darum, sich für den Fall eines Kriegs mit dem Iran den Rücken freizuhalten und die Eröffnung einer zweiten Front im Norden des Landes zu verhindern. Schon damals war der Gazastreifen Kriegsziel, doch war es ein halbes Jahr nach dem Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen noch nicht an der Zeit, das damals noch nicht vollständig vollzogene innerpalästinensische Zerwürfnis als Gelegenheit zur vollständigen Zerschlagung der palästinensischen Regierungspartei zu nutzen.

Der Verweis auf die angeblichen iranischen Strippenzieher der Hamas läßt ahnen, daß die Ziele Tel Avivs sich keineswegs auf die Zerstörung der Raketenstellungen im Gazastreifen beschränken. Der Krieg gegen die Palästinenser wird nicht erst durch das Einschalten des UN-Sicherheitsrats internationalisiert, er ist bereits durch die massive politische und militärische Unterstützung Israels durch die USA und EU Bestandteil eines größeren geostrategischen Dispositivs. Die militärische Übermacht Israels wird durch den stetigen Zufluß US-amerikanischer HighTech-Waffen wie auch EU-europäischer Rüstungsgüter bei gleichzeitiger Stigmatisierung des palästinensischen Widerstands als terroristisches Verbrechen sichergestellt, und für die Vollständigkeit der Einkesselung der Palästinenser ist eine ägyptische Regierung verantwortlich, deren Existenz ebenfalls von US-amerikanischen Rüstungsgütern und westlichen Finanzhilfen abhängt.

Angesichts der seit Jahren anhaltenden Versuche, den Iran in die Defensive zu drängen, und der damit verbundenen Kriegsdrohungen Israels und der USA handelt es sich beim Krieg gegen Gaza um den integralen Bestandteil eines Aufmarschplans, für dessen Erfolg die Möglichkeit einer Entuferung dieses Krieges ins Kalkül gezogen wird. Der Bruch des Waffenstillstands durch Israel erfolgte am Tag der US-Präsidentschaftswahl, und der sich daran anschließende Angriff auf den Gazastreifen erfolgte noch vor der Inauguration des künftigen Staatschefs der USA. Da die Planung der Großoffensive gegen Gaza mindestens ein halbes Jahr zuvor begann, läßt die offene Zustimmung der scheidenden US-Administration für diesen Krieg vermuten, daß er von Anfang an mit Washington abgesprochen war.

In allen Israel unterstützenden Hauptstädten weiß man, daß die an der Bevölkerung Gaza exekutierte Grausamkeit die arabische wie islamische Welt in Aufruhr versetzt und die dortigen Klientelregimes der USA und EU schwächt. Regelrechte Aufstände unter den Bevölkerungen Ägyptens und Jordaniens sind nicht auszuschließen und erforderten bei Gefahr eines Sturzes der Regierungen in Kairo und Amman die schnelle Intervention westlicher Streitkräfte. Selbst wenn es dazu nicht kommt, verschärft dieser Krieg die gesellschaftlichen Widerspruchslagen in den arabischen und islamischen Staaten noch mehr als bisher schon.

Israel agiert in diesem Szenario nicht nur als ethnisch-religiös definierter Nationalstaat, sondern auch als katalysatorisches Element der in den westlichen Hauptstädten geschmiedeten Weltordnungspläne. Die durch diesen Krieg verschärfte Polarisierung entspricht der Matrix des nach dem 11. September 2001 erklärten Kriegs gegen den Terrorismus und seiner ideologischen Überhöhung zum Kampf der Kulturen. Im Kern geht es nach wie vor um die Frage, wie man die islamische Welt als Sphäre potentiell eigen- und widerständiger Nationalbewegungen unter die Kuratel einer Hegemonialordnung bekommt, die die Befriedung des Nahen und Mittleren Ostens im Sinne westlicher Verwertungsinteressen leistet.

Die Antwort auf diese Frage verengt sich nach dem Scheitern bisheriger Entwürfe des sogenannten Stabilitätsexports und Nation Buildings, mit denen in der EU und den USA die Zukunft des Greater Middle East als neokolonialistischer Expansionsraum konzipiert wurde, und der Forcierung der Kriegführung gegen die Palästinenser auf die gewaltsame Ausschaltung aller Regierungen, die sich dieser Neuordnung nicht unterwerfen wollen. Im Zentrum der erforderlichen Kriegsplanung steht der Iran, während man versucht, Syrien auf die eigene Seite zu ziehen und den Libanon durch das Schüren seiner inneren Kontroversen zu lähmen. Da man in Afghanistan bereits Krieg führt und mit Pakistan über einen äußerst unsicheren Kantonisten verfügt, ist zudem die Möglichkeit gegeben, daß Indien auf Seiten des Westens gegen seinen westlichen Nachbarn vorgeht.

Daß die Zeichen auf Sturm stehen, belegen nicht nur die einseitige Parteinahme der USA und EU für Israel, sondern auch der Drang der NATO, sich wie bei der gegen die Hisbollah gerichteten UN-Mission im Libanon auf den künftigen Schlachtfeldern der Region aufzustellen, die Angebote westlicher Regierungen, sich an der Überwachung des Großlagers Gaza zu beteiligen, und der Israel deutlich bevorteilende Wortlaut der UN-Resolution 1860. Die Ankündigung der Regierung in Tel Aviv, die Angriffe auf den Gazastreifen bis in die nächste Woche fortzusetzen, dokumentiert, daß die Forderung des UN-Sicherheitsrats nach einem Waffenstillstand lediglich der Beschwichtigung der Kritiker Israels dient und daß die Amtsübergabe in Washington keine Wende einleitet, sondern Anknüpfungspunkt für die Ausführung der diesem Krieg zugrundeliegenden Großraumstrategie der USA und EU ist.

13. Januar 2009