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HEGEMONIE/1563: Aufbruch zu neuen Ufern globaler Ordnungspolitik (SB)



Es gehört zu den bewähren Ritualen US-amerikanischer Präsidentenwechsel, sie zum Anlaß eines Neubeginns in den transatlantischen Beziehungen zu nehmen. Sogar die zweite Amtszeit des schon vor vier Jahren unbeliebten George W. Bush wurde auf diese Weise zelebriert, wechselte damals doch seine Beraterin Condoleezza Rice vom Amt der Nationalen Sicherheitsberaterin ins State Department. Dies hatte zur Folge, daß man in der EU einen neuen, weniger paternalistischen Stil in der Außenpolitik Washingtons ankündigte, wovon schon bald keine Rede mehr war.

Da es diesseits des Atlantiks stets Gründe gibt, sich von den geostrategisch ungleich dynamischeren USA übervorteilt zu fühlen, werden Zäsuren dieser Art genutzt, um die Uhren symbolisch wieder auf Null zu stellen. Dies ist ein vor allem dem großen Publikum gewidmetes Schauspiel, soll ihm doch die Unterstützung, die die EU-Staaten den USA stets gewähren, auf diese Weise verdaulicher gemacht werden.

Vom dafür zuständigen US-Vizepräsidenten Joseph Biden war in München denn auch nicht viel mehr zu vernehmen, als daß seine Regierung "einen neuen Ton anschlagen", sprich die gleiche Außenpolitik auf weniger kontroverse Weise betreiben werde. Dafür gibt es gute Gründe, wie gerade ein mit allen Wassern öffentlicher Selbstvermarktung gewaschener US-Präsident Barack Obama weiß. Die Wirtschaftskrise zieht die schon zuvor sehr in arm und reich polarisierte US-amerikanische Gesellschaft auf weit verheerendere Weise in Mitleidenschaft als die westeuropäischen EU-Staaten, in denen der soziale Antagonismus noch nicht so entwickelt ist, daß über 30 Millionen Menschen regelrecht hungern. Man ist in Washington mehr denn je darauf angewiesen, die Verbündeten nicht mit einer Friß-oder-Stirb-Haltung wie etwa bei der Bildung von Kriegskoalitionen, in denen allein die strategischen Vorstellungen der US-Regierung zählen, vor den Kopf zu stoßen, sondern sie auf konziliante Weise in die eigene Interessenpolitik einzubinden.

Das drückte Biden unter anderem dadurch aus, daß er "physische" und "wirtschaftliche Sicherheit" als komplementäre Faktoren einer kooperativen Strategie verstanden wissen will. Dies dürfte sich nicht nur auf das bislang in der NATO dominante Thema der Ressourcensicherung beschränken, sondern die gesamte Regulation der Weltwirtschaft sowie der der globalen Krisen des Klimawandels, der Energiesicherung und der Nahrungsmittelverknappung betreffen. Man baut in Washington verstärkt auf die ökonomische und administrative Potenz der EU sowie ihrer Mittlerfunktion gegenüber Rußland, während man als eigenes Handlungspotential vor allem militärische Fähigkeiten in die Waagschale wirft. Dieses weiß man in der EU durchaus zu schätzen, dauert es doch viele Jahre, Streitkräfte wie die der USA, die über globale Projektionsfähigkeit unter einem zentralen Kommando verfügen, aufzubauen.

Die Ambitionen der führenden EU-Staaten umriß der Leiter der Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger, den das Auswärtige Amt für diese Aufgabe freigestellt hat, obwohl es sich um eine von der Wirtschaft gesponsorte Veranstaltung handelt, vor zwei Jahren in einem Gastbeitrag der britischen Tageszeitung The Guardian (20.03.2007). Laut dem damaligen deutschen Botschafter in London sei die Zeit für einen "europäischen Moment" gekommen. In Anspielung auf den "unipolaren Moment", den der führende US-Neokonservative Charles Krauthammer 1990 proklamierte, um den uneingeschränkten Anspruch seines Landes auf globale Handlungsfreiheit zu unterstreichen, warb Ischinger dafür, daß die EU zumindest auf drei Politikfeldern - nukleare Nichtverbreitung, Nahostkonflikt und Klimawandel - an führender Stelle initiativ werden solle. Zwar merkt er einschränkend an, daß ohne die aktive militärische wie politische Unterstützung der USA auf keinem der drei Felder Fortschritte zu erzielen wären und daß man Washington auf keinen Fall herausfordern solle. Die EU verfüge jedoch im Unterschied zu den USA über Legitimität und Glaubwürdigkeit, weshalb die amerikanischen Freunde die Führerschaft der EU begrüßen und unterstützen sollten, so der deutsche Spitzendiplomat, der von 2001 bis 2006 Botschafter in Washington war und als Experte für angloamerikanische Befindlichkeiten gelten kann.

Der "neue Stil" Washingtons zeigt sich auch darin, daß man nun Anleihen an bislang mit der EU assoziierten Konzepten nimmt. So versuchte der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, James Jones, in München, die Kriegspolitik seines Landes auf breitere sicherheitspolitische Füße zu stellen. Er gestand zu, daß man sich in Afghanistan zu sehr auf den Faktor des Militärs konzentriert und den Aufbau der Polizei und des Rechtssystems vernachlässigt habe. Im Gegenzug für die Aufwertung der sogenannten Soft Powers verlangt Jones allerdings Blut, Schweiß und Tränen. So soll die internationale Koordinierung des Einsatzes in Afghanistan verbessert, sprich größere Handlungsfähigkeit durch die stärkere Integration der Kommandostrukturen und mehr Interoperabilität erreicht werden.

Ischinger hatte schon im Vorfeld der Sicherheitskonferenz von engen Absprachen mit dem Sicherheitsberater des US-Präsidenten gesprochen, so daß man davon ausgehen kann, daß die Grundzüge einer neuen transatlantischen Strategie bereits unter Dach und Fach sind. Die in ihrer ökonomischen Basis stark erschütterten USA dürften allemal bereit sein, der EU ihren "europäischen Moment" zu gönnen, bleiben die Kosten der angestrebten Machtentfaltung - höhere Rüstungsausgaben, mehr Verluste an Soldaten, verschärfte innere Repression und Militarisierung der Zivilgesellschaft - doch tunlichst unerwähnt.

USA wie EU stehen vor dem Problem, den ökonomischen Niedergang machtpolitisch auf dem Rücken derjenigen zu kompensieren, die stets als Expansionsgebiete westlicher Interessen fungierten. Da man sich zum einen mit Schwellenstaaten von wachsender ökonomischer und politischer Bedeutung wie China, Indien und Brasilien, zum andern mit sozialen und ökologischen Katastrophen in den Ländern des Südens konfrontiert sieht, liegt es auf der Hand, die transatlantischen Reibungsmomente nach außen zu projizieren und eine geostrategische Vormachtstellung anzustreben, die den USA und der EU auch in Zukunft ermöglichen wird, die Regeln der Weltpolitik maßgeblich zu bestimmen.

Daß militärische Stärke dabei weiterhin eine dominante Rolle spielen wird, signalisieren die intensiven Bemühungen, im Rahmen der NATO einen Modus operandi zwischen EU und USA zu etablieren, der die Fähigkeit zur weltweiten Kriegführung sowie ihre politische Durchsetzbarkeit gegenüber den eigenen Bevölkerungen verbessert. All das Gerede über die "Sicherheitspolitik des 21. Jahrhundert" und die ungleich vielfältigeren Herausforderungen, die die Emissäre Washingtons in München im Munde führten, über "vernetzte Sicherheit" unter Einbeziehung "polizeilicher und kulturpolitischer Komponenten", von der die Bundeskanzlerin Angela Merkel dort schwadronierte, sind Chiffren für einen umfassenden imperialistischen Entwurf, in dem die für geostrategische Zwecke in Anspruch genommenen Mittel ziviler und internationaler Politik gleichzeitig die Felder definieren, die künftig verstärkt mit militärischen Mitteln reguliert werden sollen.

Insofern ist die Wahl Obamas tatsächlich ein Glücksfall für die EU-Regierungen. Sie können die politischen Praktiken und Ziele, für die die vorherige US-Administration unkooperativer Rücksichtslosigkeit geziehen wurde, auf ungleich legitimere Weise adaptieren. Was als Neubeginn ausgewiesen wird, ist jedoch nicht nur die Fortsetzung des Immergleichen oder die Rückkehr zur Außenpolitik der Clinton-Regierung, die auf moderater erscheinende Weise zu verkaufen wußte, was die Bush-Administration mit imperialer Brachialgewalt betrieb. Angesichts der nicht nur in München angekündigten, sondern in den sicherheitspolitischen Think Tanks und den Planungsstäben westlicher Streitkräfte konzipierten Transformation klassischer Geostrategie zu globaler Ordnungspolitik hat man es tatsächlich mit einem erweiterten Verständnis von Kriegführung zu tun, bei der das durch Not und Mangel immer stärker herausgeforderte soziale Element im Mittelpunkt der zu beherrschenden Risiken und zu erschließenden Ressourcen steht.

9. Februar 2009