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HEGEMONIE/1573: Befriedung Afghanistans globalstrategisch erforderlich (SB)



In den wachsenden Chor der Stimmen, die den Krieg in Afghanistan wenn nicht für verloren, dann zumindest für nicht gewinnbar geben, hat sich nun auch US-Präsident Barack Obama eingereiht. Am Freitag erklärte er gegenüber der New York Times unter Verweis auf die im Irak durchgeführte Befriedungsstrategie, daß man über die Einbindung moderater Kräfte unter den Taliban nachdenken müsse, weil dieser Krieg auf die bisher geführte Weise nicht zu gewinnen wäre. Als der ungeliebte ehemalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck diesen Vorschlag vor fast zwei Jahren machte, ergossen sich ganze Kübel der Häme über ihn. Im Falle des neuen Hoffnungsträgers Obama zeigt man sich hingegen überzeugt, daß es sich angesichts der verfahrenen Lage im Süden Afghanistans um einen weisen Ratschluß handelt, der die Befriedung des Landes in Aussicht stellt.

Dabei hat es an der militärischen Situation seit Becks Vorstoß keine grundsätzlichen Veränderungen gegeben. Die Lage hat sich seitdem, wie damals prognostiziert, zwar verschlechtert, aber 2007 kontrollierten die Taliban bereits große Teile der ländlichen Regionen, in denen Paschtunen leben. Zudem gilt damals wie heute der Einwand, daß es so etwas wie "moderate Taliban" nicht gibt. Diese Entgegnung, mit der Obamas Vorschlag postwendend aus dem Umfeld des Taliban-Führers Mullah Omar quittiert wurde, erweckt zwar den ebenso irreführenden Eindruck, daß es sich beim afghanischen Widerstand um einen homogenen Block handelt. Sein gemeinsames Bindeglied, die Anwesenheit ausländischer Truppen im Land zu bekämpfen, reicht allerdings dazu aus, die Spaltbarkeit der Taliban bei aufrechterhaltener Okkupation als wenig aussichtsreich zu bewerten.

Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, es ginge um das Auseinanderdividieren der Taliban und Al Qaidas, geht von der maßlos übertriebenen, vor allem aus der Propaganda der Besatzer selbst geborenen Bedeutung Osama bin Ladens aus. Die US-Regierung hat vor allem ein PR-Problem, muß Obama doch seinen Bürgern erklären, warum man nun mit Gruppen paktieren will, die angeblich für die Anschläge des 11. September 2001 mitverantwortlich sind. Da das ganze Konstrukt, mit dem die Eroberung und Besetzung Afghanistans legitimiert wird, mit der Unterstellung steht und fällt, die Taliban hätten die Attentäter und schlimmsten Feinde der USA beherbergt, muß der Schwenk in eine pragmatische Richtung wohl so begründet werden.

Wie meist in der Darstellung des Afghanistankrieges bleibt die Organisation des ehemaligen US-Verbündeten Gulbuddin Hekmatyar außen vor. Dabei gehören die Kämpfer von Hezb i Islami zu den wichtigsten Gegnern der NATO-Streitkräfte wie der afghanischen Regierungstruppen. Auch nur mit Teilen des afghanischen Widerstands übereinzukommen verlangt nicht nur, den Abzug der NATO-Truppen zumindest verbindlich in Aussicht zu stellen, sondern auch die mit den USA verbündeten Führer der Nordallianz zu entmachten, was wiederum deren Widerstand auf den Plan riefe. Wie auch immer der Versuch der NATO-Staaten aussehen wird, das Land bei Fortdauer der eigenen Präsenz zu befrieden, stets werden Bündnisse mit einer gegnerischen Partei die Opposition der anderen provozieren.

Wenn man das in diesem Zusammenhang debattierte Problem der massiven Verarmung der Bevölkerung, das die Rekrutierung von Kämpfern durch die Taliban erleichtert und ihnen zudem zahlreiche Freiwillige in die Arme treibt, lösen wollte, hätte man es schon längst getan. Da das in Afghanistan praktizierte Nation Building von neoliberalen Vorgaben ausgeht, wird an eine umfassende Behebung des Problems schon deshalb nicht gedacht, weil dies der eigenen Expansionsdoktrin widerspräche. Diese hat bestenfalls Hilfe zur Selbsthilfe im Programm, und die ist so angelegt, daß sie den Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen begünstigen und marktfeindliche, sprich sozialfreundliche Entwicklungen verhindern soll. Darüber hinaus gibt es in der Weltwirtschaftskrise noch weniger Bereitschaft als zuvor, zusätzlich zu den erheblichen Kosten für die militärische Besetzung des Landes ein umfassendes Hilfsprogramm auf die Beine zu stellen, um zumindest das schlimmste Leid des grassierenden Hungers zu bewältigen.

Obamas Ankündigung ist denn auch stimmiger zu dechiffrieren, wenn man sie nicht nur im Kontext der Befriedung Afghanistans und der damit verknüpften Verhinderung der Destabilisierung Pakistans untersucht. Im geostrategischen Kalkül einer Bereitstellung operativer Positionen für einen Krieg mit dem Iran und der langfristigen Infragestellung der Hegemonie Rußlands und Chinas über die eurasische Landmasse ist "Afpak", wie sich US-Planer auszudrücken pflegen, ein Faktor unter mehreren, dem allerdings eine wegweisende Wirkung zugeschrieben werden kann. Im Sinne US-imperialer Logik ist es allemal von Interesse, den Konflikt mit der islamischen Staatenwelt unter Bevorteilung der sunnitischen Regimes, die zum Teil bereits mit den USA verbündet sind, zu entschärfen, am an anderen Fronten eine stärkere Position beziehen zu können. Dazu trägt die Entschärfung der Lage im Irak ebenso bei, wie es bei einem Arrangement der Fall wäre, mit dem sich die Interessen der Akteure in Afghanistan austarieren ließen. Wäre die US-Regierung in der Lage, für eine ihr in diesem Sinne zuarbeitende Regierung in Kabul zu sorgen, dann wäre sogar ein Abzug der NATO aus dem Land möglich.

Hier läßt sich, wie die jüngste Annäherung zwischen Washington und Moskau zeigt, durchaus von einer Schaukelpolitik sprechen, mit der befristete Vorteile zugunsten der Kriegführung in Afghanistan und der Schwächung des Irans erwirtschaftet werden sollen, die jedoch jederzeit in ihr Gegenteil umschlagen kann.

Die Probleme der USA im Nahen und Mittleren Osten sind letztlich von sekundärer Bedeutung, ließe sich dort doch ein Imperialismus light praktizieren, der den Griff auf die Energieressource Erdöl auch ohne direkte Anwesenheit von US-Truppen gewährleistete. Sie resultieren vor allem aus dem Bündnis zwischen den USA und Israel, die die Hegemonialpolitik Washingtons gegenüber der islamischen Welt stark in Mitleidenschaft zieht, was auf die Dauer eine Abkühlung der Beziehungen zwischen Washington und Tel Aviv zur Folge haben könnte. Da weder der Iran noch andere Staaten der Region zu den weltpolitischen Akteuren gehören, die die nach wie vor beanspruchte globale Führungsposition der USA und seiner Verbündeten ernsthaft in Frage stellen könnten, will man sich an ihnen nicht auf eine Weise abarbeiten, die die eigenen militärischen Schwächen, wie derzeit in Afghanistan demonstriert, auf abträgliche Weise dokumentiert.

9. März 2009