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HEGEMONIE/1603: Spanien schränkt universelle Jurisdiktion wieder ein (SB)



Was hatten die Opfer der Pinochet-Diktatur und deren Angehörige 1998 erleichtert aufgeatmet, als Großbritannien den ehemaligen chilenischen Juntachef Augusto Pinochet verhaftete und anschließend an Spanien auslieferte. Das hatte zuvor einen Internationalen Haftbefehl gegen den chilenischen Ex-Diktator ausgestellt, als Grundlage diente der 1996 von Spanien beschlossene Anspruch auf universelle Jurisdiktion.

Endlich, so die Hoffnung der politisch Verfolgten, Entrechteten und Gefolterten nicht nur aus Chile, sondern auch aus Guatemala, Argentinien, Ruanda, China, Guantánamo und von überall dort, wo die Mächtigen dieser Erde Recht und Gesetz ignorieren, zurechtbiegen oder nach eigenem Schnittmuster entwerfen, würden eben diese sich vor einer höheren Gerichtsbarkeit verantworten müssen.

Welch ein Irrtum schon vom Ansatz her! Das Recht ist und bleibt eine Waffe in der Hand des Stärkeren. Vergangene Woche Donnerstag hat das spanische Parlament mit 341 gegen zwei Stimmen der spanischen Sondergerichtsbarkeit Zügel angelegt; eine Zustimmung des Senats zur Einschränkung des Strafgesetzbuchs gilt als sicher. Durch die Gesetzesänderung soll der universelle Rechtsanspruch auf mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen und Völkermord, die an Spaniern oder von in Spanien lebenden Tätern verübt wurden oder eine "relevante Verbindung" zu Spanien aufweisen, beschränkt werden. Anhängige Verfahren werden weitergeführt, dürften aber - ganz im Sinne einer Regierung, die den Ball künftig flach halten will - zu keinen nennenswerten diplomatischen Verwicklungen mehr führen.

Universelle Jurisdiktion, die ihren Anspruch ernst nähme, schlösse auch die politische Führung der USA, die Folter in Guantánamo, Abu Ghraib und Bagram zu verantworten hat, oder die Verantwortlichen in der israelischen Regierung für den Bombenangriff 2002 auf ein Haus in Gaza, bei dem über ein Dutzend Personen umgekommen sind, ein. Auch die höchsten Repräsentanten der NATO-Staaten müßten sich womöglich für den Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verantworten.

Es läßt sich vorstellen, daß eine konsequente Anwendung der universellen Jurisdiktion einem Land beträchtliche diplomatische Probleme beschert. Spanien hat das deutlich zu spüren bekommen. Ähnliche Erfahrungen machte auch Belgien, das seinen Weltrechtsanspruch zurückgeschraubt hat, nachdem es ebenfalls massivem Druck seitens Israels, der USA und einiger europäischer Staaten ausgesetzt worden war. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang die Weigerung des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag bleiben, Klagen gegen westliche Regierungsspitzen anzunehmen. Statt dessen beschränkt man sich in neokolonialistischer Manier auf afrikanische Staatsführer und Rebellenchefs. Die können sich weniger wehren.

Die Einschränkung der universellen Jurisdiktion in Spanien kommt zwar auch konservativen Kreisen innerhalb Spaniens, die wegen ihrer Kollaboration mit dem Franco-Regime hätten angeklagt werden können, gelegen, der Druck von außen dürfte jedoch entscheidend für die Gesetzesänderung, die im Rahmen einer umfassenden Justizreform erfolgt, sein.

Die universelle Gerichtsbarkeit ist ein Kind der westlichen Regierungen, die den Anspruch erheben, die ganze Welt ihrer Rechtsauffassung zu unterwerfen. Aus der Sicht der Opfer, deren Genugtuung über die Verhaftung Pinochets nachvollziehbar ist, mag es eine bittere Erkenntnis sein, aber so wie der Sturz Salvador Allendes durch die Junta dem US-Imperialismus in Chile zur Durchsetzung verhelfen sollte, so dient die universelle Jurisdiktion, in deren Mühlen sich ein Pinochet verfangen hatte, einer in der Konsequenz tiefergreifenden und weitreichenderen Qualifizierung der nach Globalhegemonie strebenden westlichen Welt, als es eine chilenische Militärdiktatur je sein könnte.

Das Bedauern von Menschenrechtlern über die Entscheidung des spanischen Parlaments gilt somit einem Weltrecht, das seinen Anspruch niemals eingelöst hat und niemals einlösen sollte. Als Instrument des Imperialismus war es nie dafür gedacht, gegen die Imperialisten selbst in Stellung gebracht zu werden.

29. Juni 2009