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HEGEMONIE/1628: Ode an die Freiheit ... von Merkel neokonservativ intoniert (SB)



Die Ode an die Freiheit, die die Bundeskanzlerin vor dem Senat und Abgeordnetenhaus in Washington sang, entsprang einer perfekt orchestrierten Erfolgsrezeptur. Angela Merkel sprach aus, was das Publikum hören wollte. Hätten die anwesenden Senatoren und Parlamentarier irgendwelche Erwartungen an ihre Rede gehabt, dann machte die Kanzlerin sie obsolet, indem sie sie übererfüllte. Indem die geborene DDR-Bürgerin ihren "American Dream" vor einem Publikum ausbreitete, das sich gerne gefallen läßt, als Freiheitsbringer gerühmt anstatt als Aggressor verdammt zu werden, vollzog sie eine Unterwerfungsgeste, mit der sie die nach neokonservativer Weltanschauung natürliche Ordnung der Dinge bestätigte.

"Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten - es war für mich lange Jahre meines Lebens das Land der unerreichbaren Möglichkeiten. Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl - sie begrenzten meinen Zugang zur freien Welt." Was die Bundeskanzlerin als Ausbund der Freiheit darstellt, bleibt für zahlreiche Bundesbürger nach wie vor ein unerfüllbarer Traum. Wo die Reise in die USA früher an der Staatsgrenze endete, endet sie für Millionen Bundesbürger heute schon beim Blick auf ihr Konto. Das gleiche gilt für Millionen hungernder US-Bürger, denen täglich satt zu werden ein so großes Problem ist, daß ihnen die Freiheitslyrik à la Merkel nur weltfremd, wenn nicht als Verhöhnung ihrer Not vorkommen kann. Nicht wenige Bundesbürger haben zudem aufgrund ihrer politischen Einstellung das Recht verwirkt, in die USA einreisen zu dürfen. Die aus allen Nähten platzende No Fly List der US-Sicherheitsbehörden richtet sich keineswegs nur gegen sogenannte Terrorverdächtige, sondern grenzt Menschen mit mißliebiger Gesinnung im Wortsinne als Bedrohung dieses angeblichen Horts der Freiheit aus.

Der devote Dank der Kanzlerin mag US-Politikern noch so genußvoll die Kehle hinuntergehen, das allgemeine Interesse an servilen Grußadressen ist eher gering. Merkels Rede "begeisterte Amerika" (Welt Online, 04.11.2009) keineswegs, wie große Boulevardzeitungen wie die New Yorker Daily News und USA Today dokumentieren. Sie verzichten heute gänzlich auf die Erwähnung des Auftritts der Bundeskanzlerin, während ihre Rede in den führenden politischen Blättern des Landes nur kurz und meist unkommentiert Erwähnung findet. Wenn Statthalter des Imperiums in Washington ihre Aufwartung machen, dann ist das Business as usual und bedarf keiner besonderen journalistischen Anstrengung. Ganz anders hingegen, wenn die Bösewichte der Welt sich bei den Vereinten Nationen in New York ein Stelldichein geben. Mahmud Ahmedinejad oder Hugo Chavez schaffen es ohne Umstände in die Schlagzeilen, während ihre Gegner so zahlreich sind, daß ihnen keine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, wenn sie das pflichtgemäße Abwatschen dieser Feindbilder vollziehen.

Zwar erhielt die Bundeskanzlerin am meisten Beifall, als sie zu Beginn ihrer Tour de Force zur internationalen Politik "Null Toleranz" für einen atomar bewaffneten Iran forderte. Die Anwendung dieses Begriffs aus dem Arsenal sozialer Repressionstechniken auf weltpolitische Manöver ist seiner breiten Auslegbarkeit geschuldet, meint er in diesem Kontext doch keineswegs nur die "harten wirtschaftlichen Sanktionen", die Merkel dem Iran androht. Da sie darauf verzichtet, die diplomatische Initiative des US-Präsidenten gegenüber dem Iran eigens zu würdigen, während sie die Gewährleistung der "Sicherheit Israels" auf eine Weise verabsolutiert, die keinen Raum für das Neutralisieren gegeneinander gerichteter Bedrohungsszenarios bietet, positioniert sie sich in der Iranpolitik rechts vom Weißen Haus. Das dürfte Wasser auf die Mühlen all jener US-Politiker sein, denen Barack Obamas Umgang mit dem Iran zu zurückhaltend ist und die lieber gestern als morgen einen sogenannten Präventivkrieg gegen das Land führten.

Die Rede der Kanzlerin war also alles andere als "historisch". Sie setzte lediglich um, was für die Beziehungen Deutschlands zu den USA von dieser Bundesregierung selbstverständlich zu erwarten ist. Die Begleichung der damit verbundenen Rechnung wird zwar nicht sofort eingefordert, doch wird das Bündnis mit der größten Militär- und Wirtschaftsmacht der Erde gerade deshalb, weil letzteres akut in Frage gestellt ist, auf jeden Fall teuer. Die transatlantischen Verpflichtungen, mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken und sich an künftigen Waffengängen wie etwa gegen den Iran zu beteiligen, markieren einen gut einsehbaren Weg in die verlustreiche Eskalation kriegerischer Ordnungspolitik, die auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft der Bundesrepublik im Sinne der in den USA galoppierenden Dekadenz haben wird.

4. November 2009