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HEGEMONIE/1676: Bundeswehrreform im Schatten drohender Ressourcenkrisen (SB)



Merkwürdig unscharf sind die Aussagen der an der Streitkräftereform beteiligten Politiker, wenn es um die Frage der "sicherheitspolitischen" Erfordernisse geht, denen sich die Bundeswehr künftig zu stellen hat. Da diese ihre personelle Stärke, strukturelle Organisation und ausbildungs- wie rüstungstechnische Ausstattung in erster Linie bestimmen, wäre es angemessen, darüber auch eine öffentliche Debatte zu führen. Diese jedoch scheint Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, wohl nicht zuletzt aufgrund des Gegenwinds, der den Kriegsplanern der Bundesregierung aus der Bevölkerung ins Gesicht bläst, eher im Verborgenen zu führen. Sein anfänglicher Versuch, sich hinter dem Sparzwang zu verstecken, den er zum Maß aller Dinge erhob, scheiterte jedoch an Protesten aus der Truppe und von Verteidigungsexperten, die wie der SPD-Politiker Rainer Arnold um die Kriegsbereitschaft der Bundesrepublik fürchten.

Auch die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff zeigte sich unzufrieden damit, daß beim Militär der Rotstift angesetzt werden soll, während es für ihre Partei "an erster Stelle wichtig" sei, "die sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik zu definieren und dann daraufhin die neuen Strukturen auszubilden" [1]. Beim Töten und Zerstören will man andere, nicht primär an der Haushaltslage orientierte Kriterien anlegen als etwa in der Sozialpolitik, wo das Argument knapper Kassen insbesondere bei der FDP alle sozialen Bedenken aus dem Feld schlägt. Daß dies durchaus Sinn macht, wenn man dem räuberischen Charakter kapitalistischer Wertschöpfung Rechnung tragen will, gehört zu den sorgsam gehüteten Geheimnissen des parlamentarischen Legitimationsgetriebes.

So ließ sich Guttenberg nicht lange bitten und kündigte an, es werde "keine Bundeswehr nach Kassenlage (...) geben, sondern eine, die die sicherheitspolitischen und verteidigungspolitischen Herausforderungen bewältigen kann" [1]. Am Mittwoch konnte Hoff nach einem Besuch des Ministers im Verteidigungspolitischen Ausschuß des Bundestags berichten, daß Guttenberg "sehr deutlich" gemacht habe,

"daß die wahrscheinlichen Einsätze der Bundeswehr nach wie vor in internationalen Stabilisierungs- und Krisenbewältigungsmissionen sein werden, daß auf jeden Fall die multilaterale Fähigkeit ganz wichtig ist, daß natürlich auch der Aspekt der Landesverteidigung nach wie vor im sicherheitspolitischen Portfolio eine Rolle spielen muß, deswegen keine Abschaffung der Wehrpflicht, sondern Aussetzung. Das sind, denke ich, die wichtigen Eckpfeiler, die die Bundeswehr in Zukunft leisten können muß. Sie muß schneller und flexibler auf Krisenszenarien reagieren können, und sie muß vor allem auch die Höhe der einsatzfähigen Soldaten für solche Szenarien dramatisch erhöhen."
(Deutschlandfunk, Zur Diskussion, 02.09.2010)

Worum es sich bei nämlichen "Szenarien" handeln könnte, läßt sich einer Studie des Zentrums für Transformation der Bundeswehr - Dezernat Zukunftsanalyse mit dem Titel "Peak Oil - Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" entnehmen. Spiegel Online [2] hat am 31. August einen Bericht über die Studie, deren Echtheit dem Magazin aus Regierungskreisen bestätigt wurde, veröffentlicht. Einschränkend dazu heißt es bei Spiegel Online, daß es sich um ein nicht zur Veröffentlichung gedachtes, rein wissenschaftliches Gutachten handeln soll, das noch nicht vom Verteidigungsministerium und anderen Gremien der Regierung redigiert worden sei.

Das mindert die Brisanz der Studie keineswegs, beschäftigen sich die Regierungen der ölimportierenden Industriestaaten doch seit Jahren intensiv mit der unter dem Begriff Peak Oil debattierten Frage, wann der Gipfel der globalen Fördermenge an Rohöl erreicht und überschritten sein wird und wie sich diese Entwicklung zum stetig steigenden Bedarf an dem fossilen Energieträger verhält. Da die hochgradig arbeitsteilige und flexibilisierte Produktivität des kapitalistischen Weltsystems insbesondere von der ununterbrochenen Verfügbarkeit fossiler Energie abhängt, deren Förderstaaten jedoch häufig nicht mit denjenigen Volkswirtschaften identisch sind, die den Einsatz dieser Energieressource am gewinnbringendsten verwerten, ist deren Nachschubsicherung seit jeher ein zentrales Thema geostragischer Planungen.

Darum geht es auch in der vorliegenden Studie, die laut Spiegel Online zu recht düsteren Prognosen gelangt. Ihre Verfasser gehen angesichts eines unmittelbar bevorstehenden oder bereits erreichten globalen Ölfördermaximums von einem erheblichen Bedeutungszuwachs der Verfügungsgewalt über Erdöl aus. Dies verleihe den Förderländern, die versucht sein könnten, den Besitz der knappen Ressource für die Durchsetzung konkreter politischer, wirtschaftlicher oder ideologischer Ziele zu nutzen, wachsenden Einfluß auf die Weltpolitik und bewirke einen Einschränkung der liberalisierten Weltwirtschaft zugunsten bilateraler Lieferverträge in diesem Sektor. Das könnte zu Mangelkrisen führen, die mit einer extremen Verteuerung dieses Energieträgers einhergingen.

Die unverzichtbare Verfügbarkeit von Erdöl und Erdgas für Produktionsprozesse im Bereich der Nahrungsmittelerzeugung, der chemischen Industrie und maschinellen Güterproduktion könnte zu massiven Verteuerungen auch in anderen Wirtschaftsbereichen und zu Versorgungsengpässen aller Art führen. Schwere Wirtschaftskrisen in zumindest einigen Staaten wären eine Folge, Notmaßnahmen wie die staatlich organisierte Rationierung knapper Güter eine andere. Möglicherweise würde die demokratische Grundlage der betroffenen Gesellschaften in Frage gestellt, etwa durch krisenbedingte Radikalisierungstendenzen, die zu offen ausgetragenen sozialen Konflikten eskalierten.

Sollte die Analyse, daß das globale Fördermaximum bereits jetzt überschritten wird, zutreffen, dann dürfte der in der Studie genannte Zeithorizont von 15 bis 30 Jahren, innerhalb dessen sich diese Entwicklung vollziehen soll, eher zu großzügig ausgelegt sein. Wie die Kriegführung der NATO-Staaten im Nahen und Mittleren Osten belegt, ist die Auseinandersetzung um das Erlangen hegemonialer Kontrolle über die ölreichste Region bereits in vollem Gange. Die Teuerungswelle für Grundnahrungsmittel vor zwei Jahren und die damit einhergehenden Hungeraufstände wie auch die aktuellen, durch Ernteausfälle in Rußland und Pakistan bedingten Preissteigerungen für Getreide können durchaus als Vorläufer der prognostizierten Mangelkrise in diesem höchst empfindlichen Bereich menschlicher Reproduktion verstanden werden.

Daher dürfte es kaum einer unzureichenden Prüfung der Studie geschuldet sein, daß das Verteidigungsministerium ihre Ergebnisse gegenüber Spiegel Online zunächst nicht kommentieren wollte. Wie die Umstände des Rücktritts Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten gezeigt haben, wird die offene Debatte um die geostragischen Motive deutscher Kriegführung nach Möglichkeit gemieden. Das vorrangige Ziel der verbesserten Einsatzfähigkeit der Bundeswehr bei Kampfeinsätzen in aller Welt, das zwischen den Zeilen der offiziellen Verlautbarungen zur Streitkräftereform herauszulesen ist, steht in unmittelbarem Zusammenhang zum ökonomischen Nutzen des Gefälles zwischen metropolitanen Zentrum und strukturschwacher Peripherie. Der Bundesrepublik stehen bei Verknappung der importierten Energieressource nicht nur erhebliche ökonomische und soziale Probleme ins Haus, sondern ihr im Verbund mit EU und USA erlangter politischer Einfluß auf das kapitalistische Weltsystem könnte auf drastische Weise verfallen.

Wollte man Handlungsempfehlungen aus den Prognosen der Studie ableiten, dann beständen diese in erster Linie in der Maximierung des geostragischen Gewichts, mit dem die westlichen Industriestaaten die Welt bislang nach ihren Vorstellungen ordnen. Es ist nicht davon auszugehen, daß die von Erdöl und Erdgas abhängigen Industriestaaten tatenlos dabei zuschauen werden, wie sich das neokolonialistische Nord-Süd-Verhältnis in sein Gegenteil verkehrte. Die in der Studie postulierte Instrumentalisierung des Rohstoffreichtums der Förderländer zugunsten einer künftig von Süd nach Nord verlaufenden Hegemonialpolitik darf als unausgesprochene Aufforderung verstanden werden, sich gar nicht erst in die Situation der Erpreßbarkeit durch den Entzug fossiler Energieträger zu begeben.

Erdöl ist aufgrund seiner universalen und flexiblen Verwendbarkeit für leistungsfähige Verbrennungsmotoren nur auf lange Sicht und unter einem grundlegenden Strukturwandel der von ihm abhängigen Industriestaaten durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Solange diese Länder auf der expansiven Durchsetzung ihrer Vormachtstellung bestehen und diese auf einem Produktivitätsniveau basiert, das ohne den verbrauchsintensiven Charakter wissenschaftlich-technologischer Produktivkraftentwicklung nicht zu erreichen ist, wird das von ihnen favorisierte Akkumulationsregime mit allen Mitteln gegen die aufstrebende Konkurrenz verteidigt werden.

Die besondere Abhängigkeit der hochmobilen, weltweit einsetzbaren Streitkräfte der NATO-Staaten illustriert den Anspruch auf die unbedingte Sicherung ihrer globalen Dominanz auf augenfällige Weise. Es steht daher zu befürchten, daß willkürlich verursachte Grausamkeiten wie der sich nun jährende, von einem Offizier der Bundeswehr befohlene Luftangriff auf zwei Tanklaster im Raum Kunduz eher zur Regel denn zur Ausnahme der militärischen Regulation künftiger Ressourcenkrisen werden.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1261811/

[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,druck-714878,00.html

2. September 2010