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HEGEMONIE/1690: NATO vom Schatten des Jugoslawienkriegs eingeholt (SB)



Die in einer Titelzeile auf Zeit Online (15.12.2010) aufgeworfene Frage "Hashim Thaçi, Liebling des Westens oder Mafiaboss?" gibt sich unschuldiger, als es beim heutigen Erkenntnisstand um die Eroberung des Kosovo durch die NATO und die einseitige Loslösung der Provinz gegen den Willen der Regierung Serbiens statthaft ist. Warum wohl sollte ein Mafiaboß kein Liebling des Westens sein können? Verbünden sich die Regierungen der NATO-Staaten nicht mit regionalen Akteuren, deren Macht auch dem Verüben von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen geschuldet ist? Die diese Frage bejahenden Belege sind von den Stellvertreterkriegen zu Zeiten der Blockkonfrontation bis zur Eroberung Afghanistans und des Iraks so zahlreich, daß ihre Aufzählung nur ermüden kann.

Die Gewalttaten der kosovoalbanischen UCK und ihres ehemaligen Führers Hashim Thaci, des amtierenden Premierministers des Kosovo, wurden nicht auf die gleiche Weise skandalisiert, als man es etwa mit Gewalttaten serbischer Milizionäre im bosnischen Bürgerkrieg tat, weil es sich bei dieser separatistischen Miliz um ein zweckdienliches Instrument der Ankläger selber handelte. Ankläger deshalb, weil der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag ohne die Initiative der NATO-Staaten nicht entstanden wäre und eine ihren Interessen gemäße Strafverfolgungspraxis betrieb. Während er die Aufnahme von Ermittlungen gegen die NATO, die beim völkerrechtswidrigen Überfall auf die Bundesrepublik Jugoslawien diverser Kriegsverbrechen bezichtigt wurde, rundheraus ablehnte, wurde die serbische Kriegspartei völlig überproportional mit Klagen überzogen. Zudem flankierte der ICTY die Aggression der NATO durch die Anklageerhebung gegen die Belgrader Regierung, deren Kriminalisierung die Beendigung dieses Krieges willkürlich erschwerte. Die NATO-Staaten wiederum nötigten die serbischen Regierungen der Post-Milosevic-Ära zur Auslieferung angeblicher Kriegsverbrecher an das ICTY, indem sie ihre finanzielle Unterstützung von der Unterwerfung unter die Jurisdiktion Den Haags abhängig machten.

Die enge Zusammenarbeit zwischen dem nominell unabhängigen Kriegsverbrechertribunal und der westlichen Militärallianz war der legalistischen Rechtfertigung der Eroberung Jugoslawiens geschuldet, während das Bündnis zwischen NATO und UCK ihrer operativen Durchführung diente. Die separatistische Miliz, die es in der Beurteilung der US-Regierung innerhalb kürzester Zeit von einer terroristischen Organisation zur Befreiungsbewegung brachte, fungierte schon vor dem Angriff der NATO als bewaffneter Arm der westlichen Wertegemeinschaft. Ihre sinistre Rolle bei der Erwirtschaftung von Kriegsvorwänden ist von Racak über Rambouillet bestens dokumentiert, um nur zwei besonders illustre Beispiele für die Rekrutierung einer bewaffneten nationalistischen Bewegung durch die westliche Wertegemeinschaft zu nennen.

Während die Regierung Jugoslawiens dem Rückzug ihrer Sicherheitskräfte aus dem Kosovo im Rahmen des Holbrooke-Milosevic-Abkommens als vertrauensbildende Maßnahme zustimmte, rückten die irreguläre Einheiten der UCK vor und schufen Fakten, mit der die Souveränität Belgrads de facto aufgehoben wurde. Es war stets das gleiche Strickmuster - welche Zugeständnisse der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic auch machte, sie wurden von den Separatisten unter kaum verhohlenem Einverständnis der NATO-Regierungen auf eine Weise ausgenutzt, die jegliche diplomatische Konzilianz Belgrads mit strategischen Verlusten abstrafte. Während die internationalen Akteure sich als neutrale Vermittler inszenierten, wurde die UCK von den NATO-Staaten aufgerüstet und erhielt für ihre illegalen Aktivitäten, die nicht nur das Entfachen von Aktivitäten betrafen, die jede westliche Regierung im eigenen Land als terroristisch bezeichnen würde, einen Freibrief. Das galt auch für die Drangsalierung und Ermordung loyal zu Jugoslawien stehender Albaner, die den separatistischen Plänen der UCK im Wege standen.

Der angebliche Völkermord an den Kosovo-Albanern, den die NATO der serbischen Zentralregierung anlastete, beruhte auf Behauptungen von weit geringerer Glaubwürdigkeit als die gegen die UCK vorgebrachten Vorwürfe. Die 2788 letztlich im Auftrag des ICTY im Kosovo exhumierten Leichen konnten diesen Vorwurf nicht erhärten, weil sie zum Teil serbischer Herkunft waren und ihre Todesursache niemals vollständig aufgeklärt wurde. Heute wird der Vorwurf des Genozids von den Staaten, die ihn als Kriegsgrund benutzten, nicht mehr aufrechterhalten.

Nach der Eroberung des Kosovo durch die NATO erklärte sich UCK-Chef Hashim Thaci zum provisorischen Präsidenten der Provinz. Die maßgeblich von der UCK durchgeführte Vertreibung von Angehörigen nichtalbanischer Minderheiten, die Ermordung und Entführung hunderter Serben wie auch die Ausschaltung um die Macht konkurrierender kosovoalbanischer Politiker erfolgte unter den Augen der militärischen und zivilen Vertreter der NATO-Staaten. Anstatt den schon vor dem Überfall auf Jugoslawien bekannten Berichten westlicher Polizeibehörden und Nachrichtendienste über die umfassende Verstrickung der UCK in die organisierte Kriminalität nachzugehen, wurden deren Führer durch politische Ämter legalisiert. Die Entwaffnung der UCK war eine Veranstaltung symbolischen Charakters, um ihrer Führung die Verantwortung für das Kosovo-Schutzkorps, dem Kern künftiger Streitkräfte des Kosovo, in die Hände legen zu können. Daß dieses Gewaltorgan auf ganz parteiliche Weise die Interessen seiner Befehlshaber durchsetzen würde, war von Anfang an absehbar gewesen.

Mit der von den NATO-Regierungen vorangetriebenen Eigenstaatlichkeit des Kosovo wurde ein völkerrechtlicher Präzedenzfall höchst prekärer Art geschaffen, ermutigt dieser das Völkerrecht als solches unterminierende Willkürakt doch Sezessionsbewegungen in aller Welt. Das von den USA und der EU unterhaltene Protektorat Kosovo ist auch als Staat nicht über den Stand eines von äußerer Hilfe abhängigen Notstandsgebiets hinausgelangt. Eine Bevölkerung, die mit 45 Prozent unter der höchsten Arbeitslosenrate Europas leidet, kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ihre Volkswirtschaft von mafiösen Interessen bestimmt wird, wie sie Gegenstand der Vorwürfe des Europarat-Ermittlers Dick Marty an die Adresse Hashim Thacis sind.

Die Glaubwürdigkeit dieser Bezichtigungen ist nicht nur den ihnen zugrundeliegenden Informationen westlicher Polizeibehörden und Nachrichtendienste oder der Tatsache geschuldet, daß die jeglicher Parteinahme für Serbien unverdächtige ehemalige ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte bereits vor zwei Jahren von Hinweisen auf die Verstrickung des kosovoalbanischen Premierministers in den Organhandel berichtete. Sie entsprechen bereits in den 1990er Jahren dokumentierten Berichten europäischer Polizeibehörden über den umfassenden Schmuggel von Waffen, Drogen und Menschen via Kosovo durch albanische Syndikate und werden durch zahlreiche Hinweise auf kriminelle Aktivitäten der UCK während und nach der Eroberung der serbischen Provinz durch die NATO gestützt. Es handelt sich um keine Neuigkeit, die irgendeinen westlichen Politiker erstaunen könnte, sie werden viel mehr von den Gespenstern ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt.

Für die Bevölkerungen der NATO-Staaten bedeutsam ist die Verwicklung ihrer Regierungen in machtpolitische Manöver, die deren Anspruch auf gesetzeskonformes Handeln zutiefst widersprechen. Die Abstrafung einzelner Akteure der jugoslawischen Sezessionskriege durch das ICTY erweist sich vor diesem Hintergrund als legalistische Fassade hegemonialer Interessenpolitik, die im Kern die Zerschlagung des letzten Staates Europas zum Ziel hatte, dem noch ein gewisses Potential an sozialistischer Gesellschaftsentwicklung innewohnte. Das Schüren ethnischer Konflikte hat nicht nur in diesem Fall als probates Mittel der Destabilisierung einer Staatlichkeit fungiert, für die der Zerfall in auf der internationalen Bühne bedeutungslose, dem Hegemoniestreben der großen EU-Staaten ausgelieferte Akteure nicht die einzige Option gewesen wäre.

Ein anderes Verwertungssystem als die der jugoslawischen Bevölkerung aufoktroyierte neoliberale Marktwirtschaft wäre für die EU eine inakzeptable Herausforderung gewesen, der man sich nicht zu stellen gedachte. Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien hätte bei allen systemischen Schwächen und inneren Konflikten gezeigt, das ein Zusammenleben unter weniger krassen Bedingungen sozialdarwinistischer Konkurrenz möglich sein kann. Die besondere Feindseligkeit, die seinem ebenfalls multiethnischen Nachfolgestaat aus den Reihen der europäischen Sozialdemokratie und einer radikalen Linken, die ihren Frieden mit den herrschenden Kräften gemacht hat, entgegenschlug, war symptomatisch für die soziale Transformation, die die westlichen Metropolengesellschaften in sogenannte Marktdemokratien verwandelte, in denen jedes menschliche Anliegen einen Preis haben muß. Wenn heute in einem Partikel des kapitalistischen Nation Building, das diese Transformation nach der systematischen Zerstörung ihr nicht gemäßer sozialer und gesellschaftlicher Strukturen vollenden soll, Praktiken eines Raubes ruchbar werden, der den Menschen im denkbar materiellsten Sinn zur Ware macht, dann darf dies als programmatisches Ergebnis dieses Wandels verstanden werden.

21. Dezember 2010