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HEGEMONIE/1704: Blutbad in Elfenbeinküste - Sachwalter des Westens auf Bürgerkriegskurs (SB)



"Ich will kein Blutvergießen in meinem Land. Wenn man ein Führer oder Präsident eines Landes sein will, dann will man nicht am Ende auf einem Haufen Asche stehen", erklärte Alassane Ouattara vor einiger Zeit [1]. Weise Worte aus dem Munde eines Mannes, der Präsident der Elfenbeinküste sein will und dessen Kämpfer binnen weniger Tage viele hundert, möglicherweise an die tausend Einwohner niedergemetzelt haben. Obwohl selbst die UN-Blauhelmsoldaten, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und andere der Parteilichkeit unverdächtige Organisationen wie Caritas den Republikanischen Streitkräften (FRCI) Ouattaras die Hauptschuld für das Gemetzel geben, fordern westliche Politiker an erster Stelle den angeblich abgewählten Amtsinhaber Laurent Gbagbo auf, keine Gewalt auszuüben. Auch dessen Soldaten haben, so die Berichte, allein in den letzten Tagen mindestens 100 Menschen getötet - jeder einzelne von ihnen ist einer zuviel, in der Summe aber anscheinend sehr viel weniger, als auf das Konto der Kämpfer des zum Sachwalter westlicher Hegemonialinteressen avancierten ehemaligen IWF-Managers Ouattara gehen.

Janusköpfigkeit in der Außenpolitik fällt den westlichen Demokratien anscheinend immer leichter, je häufiger sich das Konzept bewährt. Was beim Angriff der NATO-dominierten "internationalen Gemeinschaft" auf Libyen funktioniert, sollte für die Elfenbeinküste allemal reichen. Die Verteufelung des Gegners erscheint in der modernen Kurzsprache als Akronym: r2p. Es steht für "responsibility to protect", heißt übersetzt "Verantwortung zu schützen", wird aber als "Interventionsvorwand frei Haus" gedeutet und kräftig genutzt. Nicht nur in Libyen. Berichten zufolge liefert Frankreich Waffen an die FRCI und unterstützt Ouattaras Kämpfer von seinem zentral gelegenen ivoirischen Militärstützpunkt aus beratend und logistisch. Ob die ehemalige Kolonialmacht ihnen auch den Tip gab, das Viertel Carrefour in der Stadt Duékoué niederzubrennen und die Bewohner abzuschlachten?

Es mag sein, daß Ouattara in der Stichwahl am 28. November 2010 mit 54 Prozent der Stimmen den Sieg über Gbagbo davongetragen hat. Unumstritten war das Ergebnis jedoch von Anfang an nicht, zumal Ouattaras Parteigänger in den von ihnen kontrollierten Teilen des Landes keine internationalen Wahlbeobachter zuließen [2] und es zu einer beträchtlichen Diskrepanz zwischen der von der Nationalen Wahlkommission bekanntgegebenen Wahlbeteiligung in den drei Nordprovinzen (ca. 70 Prozent) und der abschließend von ihr bekanntgegebenen Zahl (81 Prozent) kam. [3]

Der ivoirische Verfassungsrat, der wiederum von Gbagbo-Anhängern und seiner Partei FPI dominiert wird, hat die Ergebnisse aus den drei Wahlkreisen wegen angeblicher Fälschungen annulliert und den Amtsinhaber mit 51 Prozent zum Sieger erklärt. Ganz sicher ist auch Laurent Gbagbo kein Mann des Friedens und der Einsicht, doch hat sich in den monatelangen Verhandlungen häufig sein Kontrahent als der Unnachgiebigere gezeigt. Ein Blutvergießen, wie es jetzt stattfindet, hätte möglicherweise vermieden werden können, wenn eine Neuauszählung aller Stimmen oder zumindest der umstrittenen Bezirke durchgeführt worden wäre. Auch hätte sich Ouattara kompromißbereiter und weniger bellizistisch zeigen müssen, wenn er sich nicht der vollen Unterstützung durch Frankreich, die USA und den Sicherheitsrat, der vergangene Woche weitere Sanktionen gegen seinen Kontrahenten verhängte, hätte sicher sein können.

Die verabschiedete UN-Resolution 1975 erlaubt nun den 10.000 Blauhelmsoldaten der UN-Mission UNOCI den Einsatz "aller notwendigen Mittel" zum Schutz der Zivilbevölkerung, und die französische Armee darf sie dabei unterstützen. [4] Wie dieser vermeintliche Schutz der Zivilbevölkerung durch die französische Luftwaffe aussieht, erlebt und erleidet zur Zeit die libysche Zivilbevölkerung, der vor lauter Kollateralschäden des NATO-Bombardements Hören und Sehen vergeht.

Nach der in der vergangenen Woche begonnenen militärischen Offensive Ouattaras zogen sich Gbagbos Truppen zurück, angeblich um weitere Opfer zu vermeiden. Vielleicht ist dies nur eine Schutzbehauptung, aber dem Angebot von Gbagbos Sprecher Ahoua Don Mello zu einem sofortigen Waffenstillstand hätte die FRCI aufgreifen können, wenn ihr an einer friedlichen Beilegung des Konflikts gelegen wäre.

Aber nein, in Schwarzafrika wird dem westlichen Hegemonialinteresse mit der Machete Bahn geschlagen, in Libyen hingegen dürfen es schon die teureren Raketen sein. So wenig, wie es dem Westen in der Elfenbeinküste um den Zugriff auf Kakaobohnen geht, so wenig geht es ihm in Libyen ums Erdöl. Ressourcensicherung gehört zwar zur Expansion der hegemonialen Sphäre dazu, aber als Hauptinterventionsgrund taugt dieses Motiv nicht. Auf dem afrikanischen Kontinent werden Stellvertreterkriege für Interessen ausgetragen, die in den weit vom Ort des menschenvernichtenden Geschehens entfernten Metropolen sitzen. Die kolonialzeitliche Unterwerfung Afrikas hat nie geendet, sie bedient sich lediglich verschiedener, der modernen Zeit angepaßter Mittel und Vorwände.

Gbagbo, der gelegentlich mit antikolonialen Attitüden zu punkten versteht und sich dabei auf seine Zeit als Freund der südafrikanischen Antiapartheidorganisation ANC und der angolanischen MPLA beruft, und Ouattara, der einst von einem gewissen Nicolas Sarkozy, seinerzeit Bürgermeister des reichen Pariser Vororts Neuilly-sur-Seine, mit einer Französin vermählt wurde, [3] tragen ihren Eliten-Konflikt auf dem Rücken der ivoirischen Bevölkerung aus. Deren Zukunft sieht düster aus, wie auch immer die aktuelle Auseinandersetzung ausgehen wird. Irgendwann kommt vielleicht der Zeitpunkt des Wiederaufbau des Landes. Das wird dann die Zeit der Ernte sein ... für die Ivoirerinnen und Ivoirer, wenn sie für Großgrundbesitzer und internationale Handelsunternehmen auf Kakao- und Kaffeeplantagen sklavereiähnliche Arbeit verrichten dürfen, und für den Westen, der das ihm gefällige kapitalistische Verwertungsmodell erfolgreich durchgesetzt hat.


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Anmerkungen:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1356766/

[2] "Gbagbo droht mit 'Bürgerkrieg'", 26. Dezember 2010, www.faz.net

[3] "Ein Präsident zu viel", Bernard Schmid, trend onlinezeitung, 1/2011.

[4] http://www.sevimdagdelen.de/de/article/2100.naechster_regime_change.html

4. April 2011