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HERRSCHAFT/1433: Sperren gegen Kinderpornografie begünstigen Internetzensur (SB)



Die geplante Änderung des Telemediengesetzes (TMD) zur Verhinderung der Nutzung kinderpornografischer Inhalte ist keineswegs überflüssig, weil die geplanten Maßnahmen technisch zu umschiffen sind. Mit dem Schritt, das freiwillige Installieren von Filtern, die den Zugang zu entsprechenden Seiten sperren, durch die Internet-Provider zu einem rechtskräftigen und verbindlichen Gesetz weiterzuentwickeln, öffnet die Bundesregierung Begehrlichkeiten zur Zensur von Inhalten aller Art Tür und Tor. Wird das Problem der freizügigen Nutzung des Internets erst einmal als solches ausgemacht und als politischer Handlungsbedarf artikuliert, dann wird auch über technische wie strafrechtliche Lösungen nachgedacht werden, die wirksame Überwachungs- und Zensurmaßnahmen ermöglichen.

Eine solche Entwicklung zeichnet sich etwa in Stellungnahme des BITKOM-Hauptgeschäftsführers Bernhard Rohleder ab, der im Deutschlandfunk (25.03.2009) erklärte, man gehe von einer "langen Liste von Anspruchsstellern aus ganz anderen Bereichen" aus: "Dort geht es dann um Rechtsradikalismus, es geht um Antisemitismus bis hin zu einfachen urheberrechtlichen Verletzungen". Wie etwa die Unterstellung eines "neuen Antisemitismus" linker Aktivisten demonstriert, der seine angeblich rassistische Intention mit Kritik am Staat Israel larviere, wären relevante Meinungsbekundungen unter irreführenden Titeln leicht zu kriminalisieren. Der aus anderen Bereichen repressiver Regulation sattsam bekannte Effekt, daß sich in Form eines populären Anliegens eingeführte Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten verselbständigen, indem sie von interessierter Seite auf immer mehr Gebiete angewendet werden, wäre auch in diesem Fall nicht auszuschließen.

Daß die diskutierte Blockierung kinderpornografischer Webseiten schon mit geringem Sachverstand zu umgehen wäre, ist kein Argument, das gegen die Maßnahme spricht, sondern das ihre Qualifizierung vorantreibt. Eine solche hat Europol-Chef Max-Peter Ratzel im Sinn, wenn er behauptet, die Einführung von Internet-Sperren für Kinderpornografie in Deutschland wäre "eine Initialzündung für ganz Europa". Das von Sicherheitsbehörden seit langem beklagte Defizit, daß das Internet aufgrund seiner dezentralen internationalen Struktur nur bedingt zu kontrollieren sei, verlangt nach einer weltweiten Lösung, und wenn diese nicht möglich ist, nach einer nationalen oder regionalen Eingrenzung des Problems. So erklärte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die die Initiative der Familienministerin Ursula von der Leyen nutzt, um eine gesetzliche Regelung zur Internet-Zensur zu fordern, daß es um die Frage gehe, wie man verhindern könne, "dass deutsche Internetbenutzer auf ausländische Seiten gehen" (heise online, 25.03.2009).

Es ist daher kein Zufall, daß der vorliegende Entwurf zur Änderung des TMG weiten Interpretationsspielraum zum konkreten technischen Charakter der Maßnahme läßt. Die Lücken bei der Sperrung bestimmter Webseiten sollen so oder so geschlossen werden, und wenn man bislang noch nicht weiß, wie man dies anstellen soll, dann werden Überlegungen dazu angestellt, die entsprechende Innovationen in Gang setzen. Gründe dafür gibt es allemal, wie die zunehmenden Auseinandersetzungen um die Krise des Kapitalismus ahnen lassen. Da das Internet ein hervorragendes Medium zur Verbreitung massenmedial unterdrückter Informationen ist, da es darüber hinaus zur Mobilisierung für Demonstrationen und Protestaktionen hilfreich ist, wird seine Bedeutung für politische Auseinandersetzungen in demokratischen Gesellschaften weiter zunehmen. Da diese nur unter parlamentarischer Kontrolle ausgetragen werden sollen, um unkontrollierbare Entwicklungen zu vermeiden, besteht stets die Gefahr, daß ernstzunehmende Anstrengungen auf supranationaler Ebene unternommen werden, den freien Fluß angeblich kontraproduktiver Informationen auszutrocknen.

25. März 2009