Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1441: Für Obama gibt es kein falsches Leben im Richtigen (SB)



Nachdem das erste Entsetzen über den Inhalt der vier letzte Woche zugänglich gemachten Memos der US-Regierung, denen detaillierte Angaben zu den Foltertechniken zu entnehmen sind, die die CIA bei Verhören sogenannter Terrorverdächtiger anwendete, verflogen ist, eilte US-Präsident Barack Obama nach Langley, um den Mitarbeitern des Auslandsgeheimdienstes Straffreiheit zuzusichern. Die führenden CIA-Beamten waren strikt dagegen gewesen, diese Dokumente zusätzlich zu den bereits vor Jahren bekanntgewordenen Gutachten von Mitarbeitern des US-Justizministeriums, mit Hilfe derer Folterverhöre legalisiert wurden, freizugeben. Obama war um so bemühter, den Mitarbeitern der CIA und damit aller Dienste zu versichern, daß sie wertvolle Arbeit für die nationale Sicherheit verrichtet hätten, die nicht bestraft, sondern gewürdigt werden müsse, und daß die USA ihre Unterstützung heute mehr denn je benötigten.

Die sich dabei auftuende Kluft zwischen vollzogenem Rechtsbruch und diesen sanktionierender Staatsräson soll durch entschiedenes Nach-vorne-Schauen gebrückt werden. Doch so sehr sich der Blick nach den vielen Verbrechen, die unabgegolten im Raum stehen, auf eine Zukunft verengen mag, in der man nur noch die Früchte dieser Taten genießen und an ihre blutigen Wurzeln nicht mehr denken soll, so unausweichlich ist das Wissen darum, daß die Regierung der USA nicht nur grausam gehandelt hat, sondern daß ihre Gesellschaft von den dabei angerichteten Schmerzen eingeholt werden wird. Indem Obama die Folterungen in Guantanamo, Bagram, Abu Ghraib und namenlosen Kerkern in aller Welt als zwar verwerflichen, aber nichtsdestotrotz angemessenen Preis für die Bewältigung einer angeblich spezifischen Bedrohungslage bewertet, bleibt die Tür für ihre Wiederholung offen.

Der Fortschritt staatlicher Ermächtigung wird nicht rückgängig gemacht, sondern durch die Ambivalenz eines angeblich sachzwanggenerierten Prozederes und der damit aufgehobenen Beschränkung exekutiver Gewalt zu einer Art Sonderrecht für den Ausnahmezustand erhoben. Indem die Rechtsgrundlagen des internationalen Folterverbots als mit kasuistischer Wortklauberei auf kreative Weise zu umschiffendes Hindernis im grundsätzlich gerechten Terrorkrieg behandelt werden, geraten sie zu Katalysatoren staatlicher Willkür und bewirken das Gegenteil dessen, wozu sie einst formuliert wurden. Der Umstand, daß staatliche Verfügungsgewalt die Bindung an Rechtsgrundlagen gleichzeitig affirmiert und relativiert, ist in seiner Bedeutung für die künftige Entwicklung des Sicherheitsstaats gar nicht hoch genug zu bewerten.

Führt man sich den Wortlaut des Memos vom 1. August 2002 vor Augen, in dem der Leiter der Rechtsabteilung der US-Regierung im US-Justizministerium im Range eines Staatssekretärs, Jay Bybee, dem führenden Rechtsberater der CIA, John Rizzo, detailliert beschreibt, wie man seiner Ansicht nach foltern kann, ohne gegen das Folterverbot zu verstoßen, dann kann man studieren, wie sich geschriebenes Recht auf elaborierte Weise aufheben läßt, um all das möglich zu machen, was mit ihm unterbunden werden soll.

Die von Bybee, der heute als hochrangiger Bundesrichter fungiert, geschilderten Foltermethoden werden in ihrer Moderation, durch die das Leben des Opfers erhalten bleiben soll, nachgerade als Ausweis praktizierter Menschlichkeit dargestellt. So "erholt" sich das Opfer eines mit allen Mitteln elf Tage lang durchgesetzten Schlafentzugs, sobald es anschließend ein oder zwei Nächte durchgeschlafen hat. Die Methode, einen Gefangenen gegen eine Wand zu schleudern, wird durch besondere Vorkehrungen, die gegen ein Schleudertrauma "vorbeugen" sollen, zu einem zwar harten, aber allemal korrekten Mittel des Verhörs. Waterboarding sollte nicht häufiger als 18 Mal in 24 Stunden durchgeführt werden, nur dann ist gewährleistet, daß es sich "lediglich um eine kontrollierte akute Episode handelt, die nicht den Umstand einer langwierigen Zeitperiode erfüllt, die allgemein als Leiden eingestuft wird". Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!

Das ist im Falle der dokumentierten Folterungen ohne weiteres möglich, gehörten Ärzte und Psychologen doch zum ständigen Begleitpersonal der Verhörexperten. Mit ihren Diagnosen und Evaluationen waren sie in der Lage, die Grenze lebensgefährlicher Quälerei immer weiter hinauszuschieben, so daß den Delinquenten die Hölle auf Erde bereitet werden konnte. Folterforschung am lebenden Objekt, und das nicht etwa vollzogen von üblen Menschenschindern und perversen Sadisten, sondern den Vertretern humanistischer Wissenschaft und den Vorkämpfern für Freiheit und Demokratie, kann nichts Schlechtes sein, wenn es einer guten Sache dient. Es gibt kein falsches Leben im Richtigen, muß das berühmte Diktum Theodor W. Adornos in seiner zeitgemäßen Umwidmung wohl lauten, wenn den Staatsbediensteten eines Landes, das wie kein anderes den Wertekonsens von Freiheit und Demokratie verkörpert, Folterdispens erteilt wird.

21. April 2009