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HERRSCHAFT/1473: "Cool Britannia" geht an doppelter Auszehrung zugrunde (SB)



Als Tony Blair Mitte der 90er Jahre New Labour ins Leben rief, befanden sich die Sozialdemokraten Europas nicht nur in Britannien, das unter seiner PR-versierten Ägide bald als "Cool Britannia" vermarktet werden sollte, im Aufwind. Das Blair-Schröder-Papier teilte im Juni 1999 auch deutschen Genossen mit, daß die Zeiten einer auch nur entfernt an sozialistische Ideale angelehnten Politik vorüber seien. Ein Dritter Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus sollte beschritten werden, hieß es, als ob sich aus zwei Unvereinbarkeiten tatsächlich etwas erwirtschaften ließe, das das Beste beider Welten enthielte. Genaugenommen ging es bei dieser Verabsolutierung der Globalisierung zum unausweichlichen ökonomischen Sachzwang darum, das sozialstaatliche Gebot einer gesellschaftlichen Verantwortung für das Wohlergehen aller Bürger durch das Leitbild des an seinem ganz persönlichen Glück arbeitenden homo oeconomicus zu ersetzen. Der zentrale Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital wurde durch das Prinzip der Eigenverantwortung überdeckt, und die Reste sozialdemokratischer Politik wurden zum Rezitieren liberaler Glaubenssätze dem Gott des absoluten Leistungsethos geopfert.

Im Klartext bedeutete dies, eine Achse der Bezichtigung zu etablieren, mit der sich jedes ökonomische Scheitern auf den Betroffenen selbst zurückbrechen ließ. Der des Mehrwerts seiner Arbeit beraubte Lohnabhängige sollte Verursacher einer Schuld an der Gesellschaft sein, die zu begleichen ihm jede Härte abfordert, die die forcierte Kapitalisierung aller Lebenstätigkeiten und -bereiche mit sich bringt. Das Fantasma, daß damit der Wohlstand aller vergrößert werde, hat sich mit dem Platzen des auf permanenten Zugewinn abonnierten Finanzkapitalismus britischer Prägung zwar erledigt, nicht jedoch die damit einhergehende Auffassung, daß Konkurrenz das Geschäft belebt.

Allerdings sind die britischen Sozialdemokraten nicht mehr in der Lage, als glaubwürdige Bannerträger dieser Doktrin zu fungieren, wie ihre zusehends schlechter werdenden Prognosen für die nächsten Parlamentswahlen erkennen lassen. Das von ihnen propagierte neoliberale Verwertungsmodell wurde von der Wirtschaftskrise schwer getroffen, so daß eine anwachsende Schar von Armen Hilfe bei Sozialsystemen suchen muß, die Dank der programmatischen Schlankheitskur New Labours nur notdürftigste Mittel zur Verfügung stellen. Weiter fallende Immobilienpreise und steigende Lebensmittelpreise bringen viele früher gutsituierte Familien an den Rand des ökonomischen Abgrunds, was bei denjenigen, die es noch nicht so schlimm getroffen hat, um so heftigere Abgrenzungsbemühungen nach sich zieht.

In dieser Situation erklärte der Minister für Kommunal- und Regionalverwaltung, John Denham, in einer Rede vor der einflußreichen Fabian Society, daß die Linke damit aufhören müsse, "Egalitarismus als Ideal hochzuhalten". Lediglich ältere Briten, die in der Arbeiterklasse großgeworden sind, neigten noch zu einer derartigen Auffassung, während das Gros der Gesellschaft bei der Forderung, die Armen zu unterstützen, heute befürchte, selbst benachteiligt zu werden. Insbesondere die Mittelschicht könne seiner Partei verlorengehen, wenn sie zu dem Schluß gelangte, zwischen der Hilfe für die Armen und dem Reichtum der Bessergestellten nicht genügend Unterstützung durch die Politik New Labours zu erhalten.

Denham saß selber viele Jahre im Exekutivausschuß der Fabian Society, in der die Entstehung New Labours maßgeblich konzipiert worden sein soll. Schon Leo Trotzki behauptete von der 1884 gegründeten Gesellschaft, in der man trotz des sozialen Anspruchs ihrer häufig prominenten Mitglieder viel auf das British Empire hielt, daß sie eigens dafür geschaffen worden wäre, den Kapitalismus vor der Arbeiterklasse zu retten. Denham jedenfalls kann nicht vom Gegenteil überzeugen, wenn er erklärt, daß die Vorstellung, Wohlstand sei "eher das Ergebnis von Talent und Mühe als von Glück", breite Akzeptanz in der Bevölkerung finde. Unter keinen Umständen soll die britische Klassengesellschaft beim Namen der Praktiken und Strukturen genannt werden, mit denen die Privilegien ihrer Nutznießer geschützt werden.

Vordenkern wie Denham kommt entgegen, daß mit New Labour eine Entpolitisierung der britischen Bevölkerung erfolgt ist, die jede Ahnung vom gesellschaftlichen Wirken materieller Widersprüche wirksam eliminiert hat. "Cool Britannia" kommt nicht nur so elend daher wie ein vor schicker Auszehrung hinfälliges Model, das seinen fremdinduzierten Schuldkomplex am Diktat eines disziplinargesellschaftlichen Schlankheitswahns abarbeitet. Es gibt sich auch einer geistigen Hungerkur hin, um die Reste streitbaren Klassenbewußtseins im Stoffwechsel des Akkumulationszwangs zu verbrennen. Die Krisenbewältigung kann also um so widerstandsloser auf dem Rücken derjenigen vollzogen werden, die die Glaubenslehre des Liberalismus für die einzige Ideologie halten, die im Unterschied zu Sozialismus und Kommunismus keine sei.

16. Juli 2009