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HERRSCHAFT/1498: EU-Kommissionspräsident Barroso geht zur offenen Erpressung Tschechiens über (SB)



Nach dem erzwungenen zweiten Referendum in Irland und der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags in Polen steht der tschechische Präsident Vaclav Klaus als letzter Fels in der Brandung, die den Staatenbund Europa zu überrollen und in ein bundesstaatliches Regime unter zentralistischer Führung zu verwandeln droht. Die Konsequenzen wären verheerend: Aggressive Positionierung Europas im Ringen um globale Einflußsphären, repressive Herrschaftssicherung der Eliten im Innern, welche die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu einem Monolithen unanfechtbarer Verfügungsgewalt zu verdichten trachtet.

Um Vaclav Klaus in die Knie zu zwingen und alle verbliebenen widerspenstigen Kräfte zur Räson zu bringen, bedient sich die Brüsseler Führung des Mittels offener Erpressung. Die einzige Möglichkeit für Tschechien, seinen Kommissar zu behalten, sei das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags, drohte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach einem Treffen mit dem tschechischen Regierungschef Jan Fischer. Bliebe der geltende Nizza-Vertrag in Kraft, müßte die 27köpfige EU-Kommission verkleinert werden. Daß es keinerlei rechtliche Handhabe dafür gibt, diese Drohung gezielt gegen Tschechien umzusetzen, unterstreicht um so deutlicher die unverhohlene Willkür eines administrativen Apparats, der sich die Butter der unumkehrbaren Versiegelung nicht mehr vom Brot seiner von langer Hand implementierten Suprematie nehmen lassen will.

In scharfen Worten lektionierte Barroso die Tschechen, sie dürften keine künstlichen Hindernisse mehr aufbauen, nachdem ihr Parlament die Ratifizierung bereits gutgeheißen habe. Man respektiere zwar die verfassungsmäßige Ordnung Tschechiens und wolle den Ausgang des Verfahrens vor dem dortigen Verfassungsgericht abwarten. Sollte dieses die Vereinbarkeit des Lissabon-Vertrags mit der tschechischen Verfassung bestätigen, erwarte die Kommission jedoch, daß Prag seine Verpflichtungen umgehend erfülle. Niemand, und schon gar nicht Tschechien, könne ein Interesse daran haben, die Angelegenheit weiter zu verzögern.

Die Forderung von Präsident Klaus nach einer Fußnote im Lissabonner Vertrag erteilte Barroso eine harsche Absage, deren Wortwahl den tschechischen Staatschef zu einem politischen Geisterfahrer abstempelt. Den Ratifizierungsprozeß für eine Ergänzung erneut zu öffnen, bezeichnete der Kommissionspräsident als völlig unvorstellbar. Ein solcher Schritt wäre "absurd" und "surreal", nachdem alle anderen 26 Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifiziert haben und selbst in Tschechien die Regierung den Vertrag unterschrieben und das Parlament seine Ratifizierung gutgeheißen hat.

Wie diese Formulierung suggeriert, stemmt sich Vaclav Klaus einsam und fanatisch, ja im Grunde schon pathologisch dem Willen der Europäer entgegen. Hinter dieser Verzerrung der Verhältnisse und persönlichen Diffamierung eines standhaften Kritikers verbirgt sich die Furcht der Administratoren, ihr Vorhaben könne am Ende doch auf den Prüfstein einer demokratischen Abstimmung der Bevölkerung gelegt werden und dort kläglich scheitern. Das muß um jeden Preis verhindert werden, weshalb es die Daumenschrauben anzulegen gilt.

Erweist sich der Gegner als so widerspenstig wie Vaclav Klaus, übt man Druck auf einen gefügigeren Politiker aus, um das tschechische Lager zu spalten und von innen her zur zersetzen. Barroso nahm sich den Prager Regierungschef Fischer zur Brust, um ihn dazu zu verdonnern, weitere Überraschungen seitens des Präsidenten zu verhindern. Fischer, so hieß es, werde zusammen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten und gegenwärtigen EU-Vorsitzenden Reinfeldt eine Lösung finden. Was bei den Iren funktioniert hat, sollte auch geeignet sein, die Tschechen hinters Licht zu führen. Demnach soll ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Ende Oktober eine Garantie abgeben, die bei nächster Gelegenheit in ein Protokoll gegossen und von den Mitgliedstaaten ratifiziert wird. Dafür soll Klaus verbindlich zusagen, daß es danach keine weiteren Forderungen und Obstruktionsmanöver mehr geben werde. Das Verhalten des Präsidenten habe dem Ansehen der Tschechischen Republik bereits erheblich geschadet, machte sich Fischer zum Handlanger Brüsseler Interessen.

Präsident Vaclav Klaus zögert seine Unterschrift hinaus und will nicht nur die Entscheidung des Verfassungsgerichts Ende Oktober abwarten, sondern verlangt auch Nachverhandlungen, um sein Land durch eine Sonderregelung vor Eigentumsansprüchen der nach dem Zweiten Weltkrieg aus der damaligen Tschechoslowakei vertriebenen Deutschen zu schützen. Würde sich Klaus mit seiner Forderung nach entsprechenden Ausnahmen in der im Lissabon-Vertrag enthaltenen EU-Grundrechtecharta durchsetzen, müßte eine solche Ausnahmeregelung von allen 27 EU-Staaten ratifiziert werden.

Aus Brüsseler Sicht hieße das, die Büchse der Pandora zu öffnen und der Bevölkerung in den Mitgliedsländern eine unkalkulierbare Einflußmöglichkeit zu gewähren, die man ihr so erfolgreich vorenthalten hat. Bis Ende des Jahres soll diese Tür unwiderruflich verschlossen und der Schlüssel weggeworfen sein, damit nicht der erwartete Regierungswechsel der Briten samt dem europakritischen Kurs der Konservativen einen Strich durch die Rechnung macht. Angesichts der Gefahr, auf den letzten Metern ihres grandiosen Coups vom Wahlvolk abgefangen zu werden, von dem man sich längst emanzipiert zu haben glaubte, prügelt die Führung Europas zornig auf die Tschechen ein. Ob das funktioniert? Immerhin sind ja Fälle bekannt, in denen die Pädagogik der harten Hand zum Gegenteil des gewünschten Effekts geführt hat.

14. Oktober 2009