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HERRSCHAFT/1504: Dilemma der SPD ... das Neue im Alten schaffen (SB)



Die Aufgabe der SPD, sich neu zu erfinden, ohne auf das Erreichte zu verzichten, entspricht der Quadratur des Kreises. Im Ergebnis wird auf dem Parteitag in Dresden vor allem gute Stimmung verbreitet. Man schaut nicht zurück, sondern blinzelt eher verschämt auf die jüngste Vergangenheit, um zu behaupten, daß eine grundweg gute und richtige Absicht, sprich den veränderten Bedingungen der internationalen Arbeitsteilung gerecht zu werden, lediglich schlecht ausgeführt wurde. Zwischen der Scylla des Anspruchs auf soziale Gerechtigkeit und der Charybdis neoliberaler Systemkonformität will sich die älteste Partei Deutschlands mit einem starr auf das Erringen neuer Glaubwürdigkeit gerichteten Blick hindurchlavieren und kommt einmal mehr beim Besetzen einer politischen Mitte an, die als Generalausrede in die Enge ihrer Überprüfbarkeit geratener Opportunisten herhalten muß.

In Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod - dieser Sinnspruch stimmt nach wie vor, daher leugnen die Sozialdemokraten schlicht, sich überhaupt in einer prekären Situation zu befinden. Die demonstrative Freude der Parteiführung über das Ergebnis der Bundestagswahl mag der Erleichterung geschuldet gewesen sein, nicht unter die 20 Prozent-Marke gerutscht zu sein, und der langanhaltende Jubel für den neuen Parteichef Sigmar Gabriel, der eigenem Bekunden nach an allen Entscheidungen beteiligt war, die der SPD den Verlust von rund zehn Millionen Wählern in den letzten elf Jahren beschert haben, ist dem magischen Glauben daran geschuldet, durch schlichte Affirmation den Dämon des weiteren Niedergangs vertreiben zu können.

Das Problem der SPD, gegenüber der Bundesregierung eine, wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in Dresden angekündigt hat, schlagkräftige und harte Oppositionsarbeit zu leisten, besteht darin, sich ins Fleisch eines Opportunismus schneiden zu müssen, der als Erblast von elf Jahren Regierungsarbeit geblieben ist. Die sich selbst verordnete Amnesie, die bei aller vorsichtigen Selbstkritik das Feld beherrscht, um einen Neubeginn im Alten überhaupt ermöglichen zu können, ändert nichts daran, daß die von sozialfeindlichen Maßnahmen wie Hartz IV und der Rente bis 67 betroffenen Menschen nicht vergessen, welche Rolle die SPD bei dieser Entwicklung gespielt hat.

Indem führende Parteifunktionäre nun nach Kräften versuchen, die Partei von jeder eindeutigen Rechts-Links-Zuordnung freizuhalten, um in der politischen Mitte ein Maximum an Wählbarkeit zu generieren, manövrieren sie die Volkspartei zielsicher in die Bedeutungslosigkeit. Opposition aus der Mitte heraus zu leisten, wenn Union und FDP behaupten, aus der Mitte der Bevölkerung heraus zu regieren, knüpft an den Verzicht auf jede deutliche Positionierung an und kann kaum dazu führen, daß die SPD nach ihrer Abkehr vom eigenen sozialdemokratischen Vermächtnis ein Profil erhält, das dauerhaften Zuspruch unter einer sozial immer stärker polarisierten Bevölkerung sichert.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs hat sich die Notwendigkeit eines Klassenkompromisses überlebt, dessen Hausmarke die kapitalistisch modernisierte Sozialdemokratie war. Wenn heute ein SPD-Politiker wie Thilo Sarrazin nicht nur gegen Ausländer hetzt, sondern die generelle Ausgrenzung der sozialen Verlierer propagiert, dann entspricht dies der authentischen Drift der politischen Kultur in immer eindeutiger sozialdarwinistisches Fahrwasser. Wer hier keine klare Gegenposition beziehen will, macht sich früher oder später mit den Wortführern der sozialrassistischen Offensive gemein. Schon die Aussage des bisherigen SPD-Chefs Franz Müntefering, daß wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll, hat gezeigt, daß die klassischen SPD-Klientel durchaus für ein solches Gedankengut anschlußfähig ist.

Da sich die neu aufgestellte SPD nicht traut, genuin linke Positionen zu beziehen, überläßt sie der Partei Die Linke das Feld aller Bürger, die in dem sich zusehends verschärfenden Sozialkampf nach einer ihre Interessen streitbar vertretenden Stimme suchen. Indem die SPD sich im Umgang mit der Linken keine Option verbauen will, jedoch wie der Teufel das Weihwasser fürchtet, mit den Verlierern dieser Gesellschaft assoziiert zu werden, wird sie auf der Strecke eines Demokratieverständnisses bleiben, das sich zusehends sozialtechnokratisch geriert. Man versteht sich als bloßer Manager des kapitalistischen Akkumulationsapparats und ordnet jede mögliche gesellschaftliche Veränderung dem angeblichen Sachzwang seiner Funktionstüchtigkeit nach. So wird die demokratische Wandlungsfähigkeit der Bundesrepublik systematisch in den Sarg einer neofeudalen Klassenherrschaft einbetoniert.

14. November 2009