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HERRSCHAFT/1514: Mexikos Präsident präsentiert Trophäe seines Feldzugs (SB)



Dürfte Mexikos Präsident Felipe Calderón auch wenig Substantielles zum Klimagipfel in Kopenhagen beigetragen haben, so konnte er doch an dessen Rand voll Stolz verkünden, daß man einen der meistgesuchten Anführer eines Drogenkartells ausgeschaltet habe. Wie der Tod Arturo Beltrán Leyvas zeige, der bei einem nächtlichen Gefecht mit Sicherheitskräften erschossen worden war, sei Mexiko in der Lage, der organisierten Kriminalität mit Härte entgegenzutreten.

Wie hart diese Auseinandersetzung inzwischen geführt wird, unterstrich unterdessen ein Bericht der Tageszeitung "Milenio", wonach am selben Tag 64 Menschen im Drogenkrieg getötet worden seien - so viele wie nie zuvor in Mexiko. Auch wurden fast zeitgleich mit der Erschießung Beltrán Leyvas im Norden des Landes die Köpfe von sechs bislang vermißten Polizisten gefunden, deren Ermordung mit dem Drogenkrieg in Verbindung gebracht wird. Der Drogenmafia werden mehr als 14.000 Morde seit Amtsantritt Präsident Felipe Calderóns Ende 2006 angelastet. Seit Jahresbeginn wurden allein in der Grenzstadt Ciudad Juárez 2.500 Morde registriert.

Unter dem Vorwand, den Krieg der Drogenkartelle untereinander wie auch deren Wirken gegen Staat und Gesellschaft einzudämmen, hat Präsident Calderón sein Land in eine Auseinandersetzung geführt, deren Blutzoll längst dem eines Bürgerkriegs entspricht. Auf Grundlage dieses Konflikts war es ihm ein leichtes, den uneingeschränkten Einsatz der Streitkräfte im Innern durchzusetzen, das repressive Inventar des Staates auszubauen sowie die militärische, polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten voranzutreiben. Mexiko ist Empfänger massiver Rüstungshilfe der USA, was nicht von ungefähr an kolumbianische Verhältnisse erinnert. Im Zuge ihrer Offensive gegen das organisierte Verbrechen hat die mexikanische Regierung inzwischen 50.000 Soldaten an mehrere Brennpunkte des Landes entsandt.

Auf die Ergreifung Arturo Beltrán Leyvas, genannt "El Barbas", der zu den mächtigsten Drogenbaronen seines Landes gehörte, war eine Belohnung von 1,5 Millionen Dollar ausgesetzt. Der 47jährige galt als einer der gefährlichsten Drogenbosse, auf dessen Konto Dutzende von Morden an Drogenfahndern und Sicherheitskräften gehen. Er soll außerdem die Ermordung unliebsamer Journalisten angeordnet haben. Die fünf Brüder Beltrán Leyva, deren Anführer Arturo war, standen einst in den Diensten des Sinaloa-Kartells von Joaquin "El Chapo" Guzman, dem seinerzeit reichsten und brutalsten Drogenhändler Mexikos. Zusammen sollen sie US-Angaben zufolge zwischen 1990 und 2008 insgesamt mehr als 400 Tonnen Kokain und Heroin in die USA geschmuggelt und damit mehr als vier Milliarden Euro verdient haben. Später kam es jedoch zu einem Zerwürfnis zwischen den Brüdern Beltrán Leyva und Joaquin Guzman, das in blutige Kämpfe um die lukrativen Transferrouten in die USA mündete.

Nach Angaben der Marine, die bei der großangelegten Operation in Cuernavaca, 70 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt, die Leitung hatte, kamen Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge der Marineinfanterie zum Einsatz. Mehr als 200 Soldaten beteiligten sich an der Razzia gegen das Kartell, die in einer umzäunten Wohnanlage durchgeführt wurde. Die Sicherheitskräfte hatten den Drogenboß dort aufgespürt und seinen Schlupfwinkel umstellt. Da sich "El Barbas" nicht ergab, verwandelte sich das wohlhabende Wohngebiet in einen Kriegsschauplatz. Die Nachbarn wurden aufgefordert, sich in ihren Häusern zu verschanzen. Bei dem Schußwechsel setzten die Belagerer schwere Munition und Granatwerfer ein. Im Verlauf des Gefechts, das sich über drei Stunden hinzog, wurden sechs weitere mutmaßliche Mitglieder des Drogenkartells getötet. Fernsehbilder vom Schauplatz der Schießerei zeigten zahlreiche zerbrochene Fensterscheiben und Hauswände, die von Einschußspuren übersät waren.

Die Regierung Calderóns wird sich den Tod Arturo Beltrán Leyvas zweifellos als einen ihrer wichtigsten Erfolge an die Fahnen heften. "Die Festnahme Beltrán Leyvas war eine unserer Prioritäten", unterstrich denn auch ein Sprecher der Streitkräfte. Der Erfolg sei auf eine lange geheimdienstliche Ermittlungsphase zurückzuführen. Indessen haben Menschenrechtsgruppen die Strategie als verfehlt kritisiert, da sie zu Menschenrechtsverletzungen und einem hohen Gewaltniveau geführt hat. Während die mexikanische Polizei Vertrauenswürdigkeit weitgehend vermissen läßt und tief in das organisierte Verbrechen verstrickt ist, schwindet auch die zunächst vorgehaltene Zuverlässigkeit und Unbestechlichkeit der Streitkräfte. Wie in jedem bürgerkriegsähnlichen Konflikt gleichen die beteiligten Fraktionen ihre Gewalttätigkeit und Grausamkeit einander immer mehr an, so daß der Versuch, in dieser Auseinandersetzung rechtmäßiges Handeln verorten zu wollen, zum Scheitern verurteilt ist. Als legal gilt, was den Sicherheitskräften staatlicherseits an Freibriefen erteilt wird, wozu sich natürlich ein weites Feld von Befehlen, Regeln und Praktiken gesellt, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen.

Die fortgesetzte Unterwanderung der Dienststellen, Behörden und Gremien bis hinauf in höchste Ränge durch die Kartelle bedrohen den Staat, wie sie ihm andererseits die Option eröffnen, unter Verweis auf drohenden Verrat einen Repressionsapparat ohne jede parlamentarische Kontrolle oder gesetzliche Bindung aufzubauen. Diese Prognose sei gewagt: Wenn eines fernen Tages die Macht der Kartelle auf ein verträgliches Maß zurückgestutzt ist, wird das Kontrollregime des mexikanischen Staates auf einem Niveau weiterbestehen, das man vor dem Feldzug Felipe Calderóns kaum für möglich gehalten hätte.

18. Dezember 2009