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HERRSCHAFT/1541: Tolerierung rot-grüner NRW-Regierung ein weiterer Sargnagel für linke Politik (SB)



Nachdem die Partei Die Linke in NRW bei den Sondierungsgesprächen mit SPD und Grünen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur DDR einer Art Stasi-Überprüfung unterzogen und zum Ergötzen selbstgerechter Rechthaber der ideologischen Kontamination überführt wurde, nachdem SPD und Grüne den antikommunistischen Priester Joachim Gauck zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufgestellt und damit den Kreuzzug gegen Linksabweichler fortsetzten, hätte die Linke mit der Betonung ihrer Unabhängigkeit und "Alleinstellungsmerkmale" gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen können. Statt dessen wirft sie sich in NRW der rot-grünen Glaubensinquisition an den Hals, wenn auch vermittelt durch die Tolerierung einer Minderheitsregierung, die sie in die vermeintlich günstige Position manövriert, zu nichts verpflichtet zu sein und dennoch Einfluß ausüben zu können.

Was die neokonservative Presse besonders ärgert, weil die Ablehnung der Koalitionsangebote an CDU und FDP die voraussichtliche Ministerpräsidentin Hannelore Kraft vor dem Vorwurf schützt, es von vornherein auf eine Zusammenarbeit mit der Linken abgesehen zu haben, ist für diese zumindest ein Kniefall. Die notorische Gesinnungshatz gegen Linke, die von der FDP als "Kommunisten" tituliert werden, obwohl sie alles andere als das sind, ist eben nicht nur ein symbolischer Affront, dem keine politischen Inhalte zugrundeliegen. Das dogmatische Bestehen auf die Verurteilung der DDR als "Unrechtstaat" soll alle darüberhinausgehenden Ambitionen sozialistischer Art von vornherein als diktatorisch und menschenfeindlich denunzieren. Es geht darum, das mit dem Niedergang des Realsozialismus nach sowjetischem Vorbild unterstellte Scheitern aller sozialistischen und kommunistischen Ziele unwiderruflich festzuschreiben, um jeden Gedanken an eine humanistische, sozial gerechte Gesellschaft im Ansatz zu unterbinden.

Im EU-Staat Polen kann das Tragen sozialistischer und kommunistischer Symbole auf der Kleidung mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden. Im Nachbarland wird die Präsidenschaftskandidatin Luc Jochimsen wegen der gutbegründeten, da auf wissenschaftliche Definitionen gestützten Weigerung, die DDR als "Unrechtsstaat" zu bezeichnen, an den FDGO-Pranger gestellt. Wenn eine im moderat linken Milieu der alten BRD angesiedelte renommierte Journalistin, die den Marsch in die politische Mitte, sprich nach rechts, nicht mitvollzogen hat, heute als linksradikale Gesinnungstäterin ausgegrenzt wird, dann läßt sich daran ein gesellschaftlicher Rückschritt diagnostizieren, der erst durch den Anschluß der DDR an die BRD möglich wurde. Die dabei vollzogene Diskreditierung der DDR als souveräner Staat, dessen Gesellschaft eine eigenständige Entwicklung vollzogen hat, erfolgte nicht durch das Gros seiner Bürger, sondern war der Okkupation der ideologischen Definitionsmacht durch die Sieger im Systemwettstreit geschuldet.

Die Fortschreibung der antikommunistischen Ausrichtung des zu neuer alter Größe gelangten Deutschlands war Voraussetzung dafür, die Begleichung der historischen Schuld an Weltkrieg und Holocaust attestiert zu bekommen. Ohne die fortgesetzte Integration der Bundesrepublik in die transatlantische Phalanx als ökonomisches und militärisches Zentrum des kapitalistischen Weltsystems hätten die deutschen Eliten die Verwirklichung ihrer Großmachtambitionen aufgeben müssen. So steht die neokonservative Offensive heute vor der Vollendung eines Rollback, der den ideologischen Krieg der 1950er Jahre durch die unumkehrbare Elimination jeglicher menschengerechten Utopie krönen soll.

Demgegenüber die Aussicht, die schwarz-gelbe Mehrheit durch eine rot-grüne Landesregierung in Frage zu stellen, zum handlungsleitenden Prinzip zu erheben, heißt Feuer mit Benzin bekämpfen. In Anbetracht des tiefgreifenden Strukturwandels des durch mehrere synchron verlaufende Krisen herausgeforderten Kapitalismus kleinteilige Veränderungen in der alltäglichen Politik zum vorrangigen Ziel zu erklären, während die Notwendigkeit einer systemüberwindenden Positionierung als kontraproduktive Träumerei altlinker Fantasten abgetan wird, zementiert die sozialrassistische postdemokratische Klassengesellschaft.

Wenn die Linke nicht Klartext redet, sondern versucht, in der Kirche des neuen, innen wie außen auf totale Verwertung zugerichteten Menschen wenigstens einen Platz auf dem Büßerbänkchen zu erhalten, wird sie als eine der vielen Schattierungen gräulicher Art jedes wirksame Veränderungspotential einbüßen. Was am Beispiel der Ausplünderung der griechischen Bevölkerung vorexerziert und mit dem Sparpaket der Bundesregierung hierzulande eingeleitet wird, kann nicht mit moderaten Vorschlägen zur sozialen Schadensminderung aufgehalten werden. Wer nicht die Frage stellt und weiterentwickelt, worum es bei der Vergesellschaftung des Menschen überhaupt gehen kann, wird sich dem Primat der totalen Ökonomisierung nicht widersetzen können.

18. Juni 2010