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HERRSCHAFT/1577: "Baby Doc" Duvalier - Zweitverwertung eines Despoten (SB)



"Sicherlich ist er ein Schweinehund - aber er ist unser Schweinehund!" Diese vielzitierte Aussage wird US-Präsident Franklin Delano Roosevelt zugeschrieben, der sie auf den Diktator Anastasio Somoza Garcia in Nicaragua gemünzt haben soll. Als eine von Augusto César Sandino angeführte Guerillatruppe die US-Amerikaner 1933 aus dem mittelamerikanischen Land vertrieb, hinterließen diese die berüchtigte Nationalgarde, deren Kommando Somoza übernahm. Er verfügte damit über das entscheidende Zwangsmittel zur Unterdrückung des politischen Widerstands und ließ 1934 Sandino nach Friedensverhandlungen in Managua hinterrücks ermorden. Zwei Jahre darauf putschte er sich an die Macht und begründete die Diktatorendynastie der Somozas.

Das geflügelte Wort vom Schweinehund, dessen man sich wissentlich und gerade wegen seiner skrupellosen Durchsetzungsfähigkeit bedient, um sich trotz Verfolgung imperialistischer und hegemonialer Interessen die Hände in Unschuld zu waschen, ließe sich auch auf Jean-Claude Duvalier anwenden. "Baby Doc", dessen Regime zwischen 1971 und 1986 mindestens 30.000 Menschen zum Opfer fielen, ist nach 25 Jahren im französischen Exil überraschend nach Haiti zurückgekehrt. Auch er war ein Machthaber von Gnaden der USA, die das Land von 1915 bis 1934 besetzt gehalten und durch Fronarbeit ausgeplündert hatten. Wenige Jahre später folgte die jahrzehntelange Diktatur von Vater und Sohn Duvalier. Als Jean-Claude 1971 als 19jähriger die Macht von seinem Vater erbte, entsandte Washington Kriegsschiffe vor die haitianische Küste, um die Kontinuität des Regimes zu gewährleisten.

Als "Baby Doc" nicht mehr zu halten war und gestürzt wurde, flogen ihn die Amerikaner nach Frankreich aus, wo er bei der einstigen Kolonialmacht Unterschlupf fand. Weder wurde Duvalier für die unter seiner Herrschaft begangenen Greueltaten zur Rechenschaft gezogen, noch nahm man ihm die zusammengeraubten Schätze ab. Zwischen 120 Millionen und 900 Millionen Dollar soll die Diktatoren-Familie damals mitgenommen und auf europäischen Konten deponiert haben. Schweizer Richter verhinderten lange, daß die in der Alpenrepublik verwahrten rund 6,2 Millionen Dollar, die seit 1986 eingefroren waren, an Haiti zurückgegeben wurden, und die Regierung in Bern rang sich erst 2010 dazu durch, per Gesetzesänderung eine Freigabe zu ermöglichen. Duvalier handelte nicht anders als vor ihm die Franzosen, welche das durch einen Sklavenaufstand vom kolonialen Joch befreite und zur Republik Haiti erklärte Land ab 1825 Unsummen für die Anerkennung der Unabhängigkeit bezahlen ließen.

Wie alle Diktaturen Lateinamerikas war auch die Schreckensherrschaft der Duvaliers in Haiti eine Statthalterschaft imperialistischer Zugriffssicherung der USA und europäischer Mächte, die sich örtlicher Machthaber zur Gewährleistung ungehinderter Ausbeutung, Niederschlagung jeglichen Widerstands und gezielter Verschuldung dieser Staaten bediente. Krähte damals im Ausland kein Hahn nach den Untaten Duvaliers, so zetert man nun nach seiner Rückkehr um so mehr: Damals wie heute verschleiert man den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Existenzweise in den Metropolen und der sie generierenden Ausbeutung und Verelendung der Peripherie.

Haiti habe nie etwas Besseres zustande gebracht, als despotische Herrschaftsverhältnisse, höhnen hiesige Kommentatoren, als liege Diktatur den Haitianern im Blut. Dieser aus Unkenntnis, Überheblichkeit und Bosheit verrührte Unfug eignet sich bestens, "Baby Doc" Duvalier und Jean-Bertrand Aristide in einen Topf zu werfen, zumal letzterer seinen Rückkehrwunsch geäußert hat. Der frühere Armenpriester trat 1990 sein Amt als demokratisch gewählter Präsident an, wurde nur ein Jahr später durch einen Militärputsch gestürzt und kehrte 1994 im Zuge einer US-Intervention ins Land zurück. Mochte Washington ihm auch die Flügel gestutzt haben, so blieb er doch widerspenstig genug, um Zwangsmaßnahmen auf den Plan zu rufen. Die USA froren zugesagte Kredite und Hilfsgelder ein, womit sie Aristide aller Mittel beraubten, geplante Reformen umzusetzen. In einem von Washington unterstützten Umsturz wurde er im Februar 2004 entmachtet und von US-Soldaten ins Exil verschleppt.

Nachdem der Putsch gegen Präsident Hugo Chávez in Venezuela 2002 gescheitert war, stellte der erfolgreiche Staatsstreich gegen Aristide in Haiti den ersten gelungenen Umsturz neuen Stils in Lateinamerika dar, bei dem die USA die Fäden im Hintergrund zogen. Als nächste Etappe folgte Honduras, wo mit Manuel Zelaya wiederum ein Präsident zu Fall gebracht und eine gesellschaftliche Entwicklung gewaltsam verhindert wurde, die den nationalen Eliten und deren Schutzmacht in Washington wie auch in den Hauptstädten Europas ein Dorn im Auge war. Medial inszeniert als Demokratiebewegung gegen despotische Machthaber, verschleiert man die zugrunde liegende Widerspruchslage und insbesondere die massive Steuerung und Finanzierung des Umsturzes aus dem westlichen Ausland.

Jean-Claude Duvalier und Jean-Bertrand Aristide als "Ex-Diktatoren" [1] in einen Topf zu werfen und ihnen gleichermaßen "Korruption und Verletzung der Menschenrechte" [2] wie auch die "gewaltsame Unterdrückung der politischen Opposition" [3] zur Last zu legen, verfährt nach der Doktrin, gravierende Unterschiede zwischen rechtsgerichteten und tendentiell linken Ansätzen zu negieren, wie dies insbesondere in der Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus Urstände feiert. Während man die Beteiligung westlicher Mächte am Regime Duvaliers ausblendet und ihn auf ein Geschöpf finsterer karibischer Machenschaften reduziert, unterschlägt man zugleich die massive Intervention der USA zu Lasten Aristides wie auch die andauernde Ausgrenzung seiner Anhängerschaft, deren Partei von den Wahlen ausgeschlossen wurde.

Aristide äußert nicht zum ersten Mal den Wunsch, aus dem südafrikanischen Exil in seine Heimat zurückzukehren. Er hat mehrere Reisen nach Mittelamerika und in die Karibik unternommen, wobei seine Reisetätigkeit eingeschränkt war, da er keinen haitianischen Paß besitzt. Präsident René Préval, der einst sein politischer Protégé war, verweigert ihm die Ausstellung eines neuen Dokuments, um die Einreise mit formalen Mitteln zu verhindern. Entscheidend ist jedoch, daß Frankreich und die USA die Heimkehr Aristides mit allen Mitteln verhindern, da sie sieben Jahre nach seiner gewaltsamen Entmachtung noch immer seinen Einfluß fürchten. Unter den Armen Haitis und damit dem weitaus größten Teil der Bevölkerung ist Aristide nach wie vor populär. Kehrte er zurück, könnte dies eine Bewegung auslösen, die sich gegen die Sachwalter des Elends wendet.

Sowenig auszuschließen ist, daß zahlreiche Haitianer angesichts ihrer verzweifelten Lage in der blutrünstigen Vergangenheit Duvaliers nur dessen frühere Stärke bewundern und sich ihr verschreiben könnten, sowenig ist von der Hand zu weisen, daß sich um einen Kulminationskern in Gestalt Aristides Widerstand formieren könnte, der die politische Friedhofstille des Leidens und Sterbens in Haiti aufbricht. Die im Mainstream westlicher Medien vorgehaltene Warnung, Duvalier und Aristide seien gleichermaßen Störenfriede, die man daran hindern müsse, die Bevölkerung aufzuwiegeln, wo das Land doch nach den Katastrophen endlich zu Ruhe und Ordnung zurückfinden müsse, setzt die mutmaßlichen Absichten der beiden wiederum auf unzulässige Weise gleich.

Vor allem aber plädiert diese Auffassung für die Fortsetzung der Elendsadministration, die unter dem Vorwand der Katastrophen- und Aufbauhilfe die zusammengebrochene Staatlichkeit durch ein protektoratsartiges Konstrukt ersetzt, in dessen diffusem Rahmen diverse ausländische Akteure ihre Ziele verfolgen. Wenn sie die Wiederherstellung der demokratischen Ordnung anmahnen und reguläre Wahlen fordern, so meinen sie damit nicht, daß die Haitianer die Freiheit hätten, sich jenen Kräften Lateinamerikas anzuschließen, die mit der Hegemonie Washingtons brechen und ihr Heil in regionalen Bündnissen suchen. So vehement man die Präsidentenwahl als manipuliert kritisiert und René Préval der Vetternwirtschaft zugunsten seines Schwiegersohns Jude Celestine bezichtigt, so durchgängig blendet man den Umstand aus, daß mit Fanmi Lavallas eben jene Partei von der Wahl ausgeschlossen wurde, die gute Aussichten gehabt hätten, einen Kandidaten ins Präsidentenamt zu bringen, der keine Marionette einer elitären Minderheit wohlhabender Haitianer und ausländischer Mächte ist.

Anmerkungen:

[1] Haiti. Die Erbdiktatur (20.01.11)
http://www.fr-online.de/politik/die-erbdiktatur/-/1472596/6496652/- /index.html

[2] Haiti. Ex-Diktator geht, Ex-Präsident kommt (20.01.11)
http://www.focus.de/politik/ausland/haiti-ex-diktator-geht-ex- praesident-kommt_aid_591943.html

[3] Aristide Says He Is Ready to Return to Haiti, Too (19.01.11)
New York Times

21. Januar 2011