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HERRSCHAFT/1623: Nationale Standortvorteile sichern - Schulterschluß Gewerkschaften und BDI (SB)



Sparen bis es quietscht, das Tafelsilber an die Meistbietenden verramschen und die sich darob empörende Bevölkerung mit bürgerkriegsartigen Gewaltmitteln zur Räson bringen. Was der griechischen Bevölkerung zugemutet wird, darf als Auftakt zur europaweiten Durchsetzung des nicht nur für die EU, sondern auf dem G20-Gipfel in Toronto weltweit beschlossenen Austeritätsregimes verstanden werden. Wenn der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou beim Jahrestreffen des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zum Rapport antritt und die Durchsetzung der sozialen Hungerkur in seinem Land wie die Privatisierung verbliebener Rentabilitätspotentiale garantiert, dann ist ihm der Applaus der neue Expansionschancen witternden Konzernchefs wie einer Bundeskanzlerin, die den Euro zur Identität wie zum Schicksal der EU erklärt hat, sicher. Dem damit Reverenz erwiesenen Phantom der "Märkte" kann allerdings nicht angelastet werden, daß es die Politik nur vor sich hertriebe. Auch hier gilt, daß es keine Herrschaft ohne Beherrschte geben kann. Ohne die Kollaboration der Funktionseliten in Staat und Gesellschaft wäre die Macht der "Märkte" schnell gebrochen. Sie fußt auf einer mit der privilegierten gesellschaftlichen Stellung seiner Sachwalter eingegangenen Schuld, die abzutragen so sehr im Interesse aller im Wortsinne Beteiligten liegt, daß die naheliegende Frage nach den Bedingungen dieses zentralen gesellschaftlichen Konflikts nicht gestellt wird.

Wann immer davon die Rede ist, daß sich ganze Staaten den Forderungen der "Märkte" zu unterwerfen haben, steht unausgesprochen im Raum: Wer legitimiert den Einfluß einer partikularen Gruppe, die über Wohl und Wehe von Milliarden Menschen entscheidet? Daß diese Frage nicht an erster Stelle diskutiert wird, während BDI und Gewerkschaften unisono die Zustimmung des Bundestags zum erweiterten Euro-Rettungsschirm verlangen, könnte nicht besser dokumentieren, daß an dieser Verwertungsordnung nicht gerührt werden soll. Die Gewerkschaften verstecken sich hinter dem moralischen Feigenblatt der uneingelösten Regulation der Finanzmärkte, um in einer bundesweit geschalteten Anzeigekampagne nichts anderes als die Sicherung der deutschen Vormachtstellung in Europa zu beschwören: "Ohne gemeinsame Anstrengungen aller Länder der Euro-Zone droht der Zerfall der gemeinsamen Währung mit weitreichenden Folgen für Wohlstand und Beschäftigung."

Letzteres ist für die Bevölkerungen in den europäischen Peripheriestaaten längst Realität. Sie müssen schwerwiegende Einschnitte an ihrem Lebensstandard und ihrer Versorgungssicherheit hinnehmen, um zu allem Überfluß auch noch von bessergestellten EU-Bevölkerungen bezichtigt zu werden, selbst an ihrer Misere schuld zu sein. Die damit verbundene Hoffnung, den noch prosperierenden Metropolengesellschaften Westeuropas bliebe nämliches Schicksal erspart, ist für das Gros ihrer eigentumslosen Bürger nichts als ein schauriges Pfeifen im Wald. Indem die Gewerkschaften die Politik der Bundesregierung gutheißen, ohne die Verstaatlichung eines privatwirtschaftlichen Kreditwesens zu verlangen, das das staatliche Gemeinwesen mittels seiner angeblichen Systemrelevanz längst in Haftung genommen hat, unterstützten sie das deutsche Modell der auf Lohneinbußen und Sozialabbau basierenden Exportdominanz.

Während die deutschen Gewerkschaftschefs das geeinte, die kriegstreibende Staatenkonkurrenz angeblich überwundene Europa preisen, argumentieren sie mit nationaler Standortlogik. Ohne diese Korrumpierung der Lohnabhängigen durch den vorübergehenden Vorteil, noch nicht so große Verluste erlitten zu haben wie andere Arbeiterschaften, müßten sie Rechenschaft darüber ablegen, wieso sie nicht verlangen, die Macht "der Märkte" zu brechen und europaweite Sozialstandards durchzusetzen, die den erwerbsabhängigen und versorgungsbedürftigen Bevölkerungen das Heft des Handelns im Sinne der beanspruchten demokratischen Souveränität zurückgeben. Sie müßten erklären, wieso sie dafür sind, den Frieden der Paläste mit innerer Repression und äußerer Kriegführung zu erzwingen. Sie müßten eingestehen, daß ihnen das griechische oder portugiesische Proletariat nicht nur gleichgültig ist, sondern daß ihre Klientelpolitik letztlich zu Lasten der europäischen Solidarität aller von Kapitalinteressen Betroffenen geht.

Der Lobgesang des Bundespräsidenten Christian Wulff auf die Gewerkschaften hat sich allemal gelohnt. Sie arbeiten in der Sache dem deutschen Industriekapital zu, das aus dieser Krise als Profiteur hervorgehen will. BDI-Präsident Hans-Peter Keitel möchte einen europäischen Fiskalfonds, der einen stabilen Euro garantiert, nach Vorbild des Internationalen Währungsfonds (IWF) einführen. Im Kern ist er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel einig, die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten durch Eingriffsrechte zu erzwingen, die die Souveränität in Schwierigkeit geratener Regierungen praktisch aufheben und auf die Gläubigerstaaten und -banken übertragen. Keitels Forderung, daß dies unabhängig von der Politik zu erfolgen habe, bedeutet nichts anderes, als daß demokratischer Widerstand gegen das Programm der Mangelverwaltung unmöglich gemacht werden soll. Unterstrichen wird das Werben für ein neomachiavellistisches Krisenmanagement durch die Forderung, die Strukturen der politischen Willensbildung müßten etwa nach dem Vorbild des US-Präsidialsystems geändert werden: "Wenn wir wollen, dass wir so schnell entscheiden können in Europa, wie es die Märkte erfordern, wie es die Wirtschaft erfordert, dann müssen wir die Strukturen so anpassen, dass dies auch möglich ist." [1]

Geht es nach diesem Wirtschaftsführer, dann muß noch konsequenter durchregiert werden, dann soll das immer brüchiger werdende Legitimationskorsett der repräsentativen Demokratie vollends durch die Ermächtigung zur Notstandspolitik abgelöst werden, die die in Frage gestellte Reproduktion herrschender Verhältnisse evoziert. Was noch vor wenigen Jahren wider besseren Wissens um die konstitutiven Faktoren der europäischen Einigung - die Übertragung des nationalstaatlichen Primats kapitalistischer, staatsautoritärer und militaristischer Herrschaftsicherung auf die nächsthöhere Ordnungsebene administrativer Organisation - als Hoffnung auf mehr Freiheit und Demokratie propagiert wurde, hat die düstersten Befürchtungen der Kritiker dieses Konzepts übererfüllt: Soziale Mangelverwaltung und Einschränkung aller Errungenschaften der lohnabhängigen Klasse zugunsten der Erschließung neuer Möglichkeiten der Kapitalakkumulation, Demokratieabbau auf jeder Ebene bürgerlicher Partizipation insbesondere durch die Sachzwanglogik "der Märkte", massive Unterdrückung des sozialen Widerstands durch einen Bürgerrechtsabbau, bei dem die nationalen Regierungen über Bande der EU spielen, sowie die imperialistische Rekonfiguration deutscher Vormachtstellung in konsequenter Fortführung des unter anderem von Wolfgang Schäuble formulierten Kerneuropakonzepts und der von Joseph Fischer aufgerufenen Mittelstellung Deutschlands als europäisches Gravitationszentrum. Auch für die Bundesbürger wird es langsam Zeit, sich nicht nur zu empören, sondern die eigene Teilhaberschaft an einem Europa der vertikalen sozialrassistischen Integration tatkräftig aufzukündigen.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1564277/

27. September 2011