Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1669: Hungerleider aufgepaßt! - Mit der SPD in die innovative Arbeitsgesellschaft (SB)




Als hätten sich Sozialdemokraten nicht stets bei der Konsolidierung und Fortschreibung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung als überlegene Technokraten angedient wenn es galt, eine Schneise der Spaltung durch die Arbeiterklasse und der letztendlichen Verwüstung durch die sozialen Verhältnisse zu schlagen, wird die SPD nicht müde, unverfroren das Gegenteil zu behaupten. Um den schon meilenweit vor der Bundestagswahl schwer ramponierten Kandidaten Peer Steinbrück in demonstrativer Geschlossenheit auf den Schild zu heben, mußte eine Faustformel zu abermaligen Wählertäuschung her. Auf dem Sonderparteitag in Hannover bezeichnete der ehemaligen Finanzminister und bekennende Agenda-2010-Fan in seiner fast zweistündigen Nominierungsrede den Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit als zentrales Projekt seiner Partei.

Um den inzwischen schwer verkäuflichen Hanseaten anzupreisen wie Sauerbier mußte Parteichef Sigmar Gabriel zu verbalen Verrenkungen Zuflucht nehmen. Der 65jährige sei gerade deshalb der richtige Kanzlerkandidat, weil er öffentlich nicht zuallererst als Sozialpolitiker wahrgenommen werde. "Die soziale Kompetenz glaubt uns sowieso jeder" [1], versuchte der SPD-Vorsitzende kurzerhand, Hartz IV samt allen sonstigen Grausamkeiten rot-grüner Elendsstrategien aus dem Gedächtnis zu streichen. "Mit Peer Steinbrück gewinnen wir sichtbar und unüberhörbar beides: soziale und wirtschaftliche Kompetenz, und das gehört zusammen, mitten in die SPD, und da steht Peer Steinbrück für uns", rief Gabriel. Die SPD müsse den "Kampf gegen Armut" aufnehmen, sie und Steinbrück stünden für ein neues soziales Gleichgewicht.

"Wir werden das Kernversprechen des Sozialstaats erneuern", gab Gabriel als Parole aus, als habe seine Partei nicht maßgeblich Hand angelegt, als der Sozialstaat zu Grabe getragen wurde. Ein Leben in Auskommen und Würde für alle ist für den SPD-Chef denn auch kein Thema. Er greift vielmehr einen Wahlslogan auf, der von der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in die öffentliche Diskussion eingebracht und im Wahlkampf 2002 auch von Union und FDP verwendet wurde. "Nicht das ist sozial, was Arbeit schafft, sondern das ist sozial, was Arbeit schafft, von der man leben kann!" [2], verkündete Gabriel, als meine er etwas grundlegend anderes.

Hatte sich die neoliberale Offensive den Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft" auf die Fahne geschrieben und so erfolgreich verbreitet, daß er bis heute von Christdemokraten und Liberalen gern im Munde geführt wird, so schreibt ihn die SPD mit dem auch in Gewerkschaftskreisen favorisierten Konzept der "guten Arbeit" innovativ fort. Nicht Massenarbeitslosigkeit, Ausgrenzung und Verelendung setzen die Sozialdemokraten auf ihre Agenda, sondern ein Konstrukt des gerade noch möglichen Überlebens in einer Arbeitsgesellschaft, die wachsende Teile der Bevölkerung von Erwerbsmöglichkeiten ausschließt, sie aber dennoch unter Arbeitszwang stellt.

Nicht von Arbeitslosen und Hartz IV-Beziehern, zu jungen, zu alten, zu kranken, zu fremden oder aus sonstigen Gründen durch das utilitaristische Raster fallenden Menschen war auf dem Parteitag die Rede, sondern von gesetzlichem Mindestlohn, gleicher Bezahlung von Männern und Frauen sowie einer Frauenquote, Abschaffung des Betreuungsgelds und Ausbau der Kinderbetreuung, kurz den gängigen sozialdemokratischen Gassenhauern, die man zu Wahlkampfzeiten gerne singt.

"Nicht Sozialleistungen erhöhen, sondern gute Arbeit schaffen", war das zentrale Credo des Parteivorsitzenden, der damit allen Hungerleidern um so härtere Zeiten in Aussicht stellt, sollten es die Sozialdemokraten wider Erwarten schaffen, auf die Regierungsbank zurückzukehren. Der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück drückte es folgendermaßen aus: "Ich bin zutiefst überzeugt, dass das Schicksal nicht fremdbestimmt ist. Du kannst es selber in die Hand nehmen. Sozialdemokraten helfen, die Chance zu ergreifen. Das ist gelebte Solidarität." Die SPD verfechte einen gebändigten Kapitalismus, keinen Raubtierkapitalismus [3].

Daß sie es sei, die den Kapitalismus bändige, ist der alte Traum der Sozialdemokratie, die dessen Überwindung für obsolet erklärt. Wer wollte auch von Widersprüchen zwischen den Klassen sprechen, wenn doch jeder seines Glückes Schmied ist und ihm die SPD beim Fördern und Fordern tatkräftig zur Seite steht!


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/spd-parteitag-steinbrueck-zum-kanzlerkandidaten-gewaehlt-11987538.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/steinbrueck-auf-dem-spd-parteitag-in-hannover-wenn-ich-gelb-sehe-sehe-ich-schwarz-1.1545492

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article111907809/Steinbrueck-mit-93-45-Prozent-zum-Kandidaten-gewaehlt.html

9. Dezember 2012