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HERRSCHAFT/1670: Steinbrück empfiehlt sich als Zuchtmeister des Kapitals (SB)




"Leistung muß sich wieder lohnen" - kaum eine andere Parole könnte geeigneter sein, die Verachtung neoliberaler Demagogen gegenüber Menschen herauszustellen, die sich physisch und psychisch im Job kaputtmachen, aber dennoch nicht über die Runden kommen. Gemeint ist das Entgelt jener "Leistungsträger", die sich nicht mit dem körperlich zerstörerischen Schultern materieller Lasten oder dem geistig zersetzenden Verrichten stupider Tätigkeiten, sondern dem Übernehmen sogenannter Verantwortung verdingen. In der Diktion des Geschäfts, um das es geht, spricht man von Risiken, die die hoch entlohnten "Entscheider" auf der oberen Ebene des Managements in Industrie- und Finanzwirtschaft übernehmen, um am Monatsende eine halbe Million Euro mehr auf ihrem Konto verbuchen zu können. Bei derartigen Risiken geht es um das Erringen eines Vorteils, dem gegenüber jegliches Interesse an anderen Menschen, das nicht ihre Verwertung als Produktivfaktor betrifft, geradezu kontraindiziert ist. Im Kalkül der Investitionslogik kann soziale Verantwortung zwar als Social Sponsoring oder Strategie der Befriedung sozialen Widerstands ihren Nutzen haben, doch soziale Bedürfnisse und Erfordernisse allgemeiner Art, die sich nicht in diesem Sinne bilanzieren lassen, haben dort keinen Platz.

Das Sakrament vom "Leistungsträger", das FDP-Politiker wie eine Monstranz vor sich hertragen, ist dem Sozialdemokraten Peer Steinbrück kein geringeres Anliegen. Mit seiner Klage über die angeblich zu geringe Entlohnung des Amtes, das er anstrebt, stimmt er jenes Lamento an, mit dem die Verfechter einer neoliberalen Zurichtung von Staat und Gesellschaft seit jeher das Licht des eigenen Gewinns unter den Scheffel entbehrungsreicher Arbeit stellen. Wenn ein Kanzler für sein Amt und die halbe Diät seines Sitzes im Bundestag im Jahr auf rund 250.000 Euro kommt, dazu Pensionsansprüche der Oberklasse und natürlich zahlreiche weitere Privilegien geltend machen kann, wenn ihm schließlich eine Anschlußanstellung in einem Honoratioren- und Repräsentationsjob der Wirtschaft winkt, dann reicht das allemal dazu aus, eine Eigentumsordnung zu verteidigen, deren größte Nutznießer eine sakrosankte Klasse noch oberhalb der Spitzenmanager bilden.

Kapitalmacht ist politische Macht, für die sich zu verdingen Steinbrück wie einst Gerhard Schröder als Genosse der Bosse auftritt. Das bürgerliche Gemeinwesen dem Meistbietenden zur besonderen Nutzung verfügbar zu machen ist das Ziel des ideellen Gesamtkapitalisten, und dies zu erreichen ist desto leichter geworden, als der Durchmarsch des Neoliberalismus zum zentralen organisatorischen Prinzip des Staates erklärt hat, wie ein Unternehmen zu funktionieren. Als Haus- und Hofmeister des absolutistischen Wertprimats nicht nach dessen Bemessungskriterien entlohnt zu werden ist Teil des Deals, das Regierungsamt mit dem Anschein einer strikten Trennung von politischem und wirtschaftlichem Interesse zu umgeben.

Indem Steinbrück den Lohn eines Bundeskanzlers in einen Leistungsvergleich mit Spitzenmanagern der Wirtschaft stellt, erklärt er die Bundesrepublik ganz offen zu einem kapitalistischen Unternehmen. Dies zu verwirklichen, ohne es einzugestehen, war bisher Lebenselixier aller Parteien, die die Hoffnung auf sozial gerechtere Verhältnisse schüren, um wirksamen außerparlamentarischen Widerstand zu ihrer Durchsetzung gar nicht erst aufkommen zu lassen. Mit Steinbrück an der Spitze riskiert die SPD allerdings, auch den Rest des schwer erschütterten Rufes einzubüßen, etwas anderes als ein Vollzugsorgan für Kapitalinteressen sein zu wollen. Der sozialdemokratische Ethos, Lohnarbeit zum sinnstiftenden Existenzzweck zu erklären und die Menschen in vorauseilendem Gehorsam unter ihre Knute zu bringen, wird durch die Anerkennung der zentralen Legitimation kapitalistischer Herrschaft, die Verfügungsgewalt über das Tauschwertäquivalent Geld und den dadurch ermöglichten Kauf von Arbeitskraft als Leistung auszugeben, vollends zunichte gemacht.

Seit niemand mehr für persönliches Versagen enthauptet wird oder sein Vermögen verliert, reduziert sich besagte Verantwortung auf das geringe Risiko, an Einfluß und Ansehen zu verlieren. So besteht die wichtigste Leistung der Spitzen in Staat und Gesellschaft darin, die herrschende Ordnung dadurch zu sichern, daß der Aberwitz der unter der Bedingung massiver Ungleichheit vergleichbar gemachten Arbeit nicht auffliegt. Was einem Humanismus, der die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Hintergrund ungleicher Verhältnisse zu verwirklichen beanspruchte, als Ausverkauf aller menschlichen Vernunft erscheinen müßte, erfüllt im Vergleich von allem und jedem die Aufgabe eines Wertprimats, dessen Nutzen in der Verfügbarkeit des Menschen für fremde Zwecke besteht. Wäre es anders, bedürfte es keiner abstrakten Maßstäbe, denen der einzelne zum Zwecke seiner kapitalistischen Vergesellschaftung unterworfen wird. Der Sozialdarwinismus ist, allen Gerüchten zuwider, keine Naturnotwendigkeit, sondern wird dem Menschen aufgeherrscht, um ihn beherrschbar zu machen.

Indem Steinbrück öffentliche Ämter mit Managerjobs gleichsetzt, bekennt er sich zur Allgemeingültigkeit sozialdarwinistischer Konkurrenz auch im demokratischen Gemeinwesen. Da er nicht existenzbedrohende Armut, die die SPD behauptet beseitigen zu wollen, zum Problem überbordenden Reichtums macht, sondern sich auf hohem Niveau beschwert, gibt er zu erkennen, daß ihm die Durchsetzungskraft der Stärksten über alles geht. Dies in politische Prinzipien zu übersetzen heißt autoritäre Staatlichkeit anzustreben. Nur mit ihr läßt sich das Elendsproletariat als eigenständiger Akteur ausschalten und mit einer verwissenschaftlichten Lebenswertideologie als defizitäre Belastung des Gesamtprodukts aussteuern. Es geht Steinbrück nicht um bloßen Neid oder kleinliches Distinktionsstreben, er laboriert an einem Typus von Staatsbürger, dem alle außerökonomische Ratio so fremd ist, daß sie im besten Fall als medizinisches Problem sanktioniert würde.

30. Dezember 2012