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HERRSCHAFT/1684: Balztanz - Zugpferd Gysi an der Wahlkampffront (SB)




Warum Gregor Gysi als Zugpferd der Linkspartei in Wahlkampfzeiten unersetzlich ist, liegt auf der Hand. Wer verstände es besser, sich inmitten Anfeindungen, Häme und Hohn wendig aus der Affäre zu ziehen, aber auch alle inneren Brüche seiner Partei eloquent wegzureden! Den Grundwiderspruch einer Partei, die dem demokratischen Sozialismus noch nicht restlos abgeschworen hat, aber dennoch Beteiligung an einer Regierung von Sachwaltern der herrschenden Verhältnisse anstrebt, kann natürlich auch er nicht mit Worten brücken, wie es Unvereinbarkeiten eben so an sich haben. Daß der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag sich und seine Partei im Gespräch mit Gerhard Schröder vom Deutschlandfunk [1] bestmöglich verkauft, ist unbenommen, doch drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was ein solches Geschäft im Buhlen um Wählerstimmen mit einer fundamentalen Opposition zu tun haben soll. Um eine solche geht es der Linkspartei offenbar längst nicht mehr, auch wenn sie noch für einige ihrer Positionen das zusehends schrumpfende Alleinstellungsmerkmal für sich in Anspruch nehmen kann.

Die Frage Schröders, ob die Linkspartei überhaupt regierungsfähig sei, wo sie doch entweder zu einer zweiten SPD zu werden oder an einer inneren Zerreißprobe zu zerbrechen drohe, wenn sie im Falle einer Koalition ihre Forderungen zu einem Großteil zurückschrauben müßte, versucht Gysi durch Ausweichmanöver in ihrer Tragweite vergessen zu machen. "Na klar" sei man regierungsfähig, denn was die aktuellen Kabinettsmitglieder könnten, könne man schon lange. Außerdem stehe das gar nicht an, weil SPD und Grüne dagegen seien. Und an eine Zerreißprobe glaube er ohnehin nicht, da seine verbalradikalen Parteigenossen in einer Regierung erfahrungsgemäß derart diszipliniert seien, daß er sie eher mahnen müsse, nicht zu weit zu gehen.

Was Gysi scherzend mit Ausflüchten zu entschärfen versucht, kann doch die immanente Logik der angestrebten Regierungsbeteiligung nicht vollends verhehlen: Solange die Linkspartei in Wartestellung ausharrt und sich auf das Mauern von SPD und Grünen beruft, kann sie sich hier und da als Alternative präsentieren. Wo aber der Regierungssessel erreicht ist, wirft sie das radikale Mäntelchen endgültig über Bord und legt sozialdemokratischen Kurs an. Als Schröder an die Sparpolitik in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern erinnert, die unter Beteiligung der Linkspartei durchgesetzt wurde, stimmt Gysi die Klage an, das sei aber auch "eine Gemeinheit": Die Linke werde immer dort stark gewählt, wo Armut herrscht. "Ich würde auch gerne mal ein reiches Land regieren, verstehen Sie? Da kann man ja besonders viel verteilen."

Was sollen die Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehenden, Hungerlöhner und anderen Opfer des Verwertungsregimes von solchen Worten halten, die so fatal an die Begründung erinnern, unter der man sie abspeist, erniedrigt und ausgrenzt? Sie wählen Die Linke in der Hoffnung auf Besserung ihrer Lebensverhältnisse, nur um dann zu erfahren, daß es leider für ihre Belange nichts zu verteilen gibt? Daß sich der Ruf nach einer gerechteren Verteilung ohnehin von einer grundsätzlichen Klärung der Eigentumsfrage und folglich einer Absage an die herrschenden Gesellschaftsverhältnisse verabschiedet hat, scheint darüber hinaus eine Position zu sein, die in der Linkspartei kaum noch Widerhall findet.

Statt dessen macht sich Gysi für mehr Leidenschaft im Wahlkampf stark, den er für zu lahm hält. Jetzt müsse man Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten motivieren, sich ins Zeug zu legen, denn je stärker die Linke, desto mehr änderten die anderen Parteien ihre Politik: "Das ist unser eigentlicher Wert." Als Schröder zutreffend anmerkt, daß das ein Plädoyer für die Linke als Oppositionspartei sei, sich diese aber in letzter Zeit wiederholt für ein rot-rot-grünes Bündnis starkgemacht habe, widerspricht Gysi vehement. So habe er das nie gesagt, denn er sage immer: "Es scheitert nicht an uns, sondern es scheitert doch an der SPD." Nicht die Linkspartei sei das Problem, sondern die SPD und die Grünen, die beide eine Zusammenarbeit ablehnten.

Das Dilemma der Linkspartei, sich Sozialdemokraten und Grünen als Koalitionspartner anzudienen, wovon diese überhaupt nichts wissen wollen, wird nicht dadurch gemildert, daß sie zwischen Werben und Verschmähen von einem Bein aufs andere hüpft, als führe sie einen Balztanz um die Gunst der begehrten Partner auf. Dabei haben SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wie auch die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, der Linken soeben noch einmal jede Regierungsfähigkeit auf Bundesebene abgesprochen und sich gegen deren Anbiederung verwahrt. [2] Um zu verschleiern, daß seine Partei angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse von SPD und Grünen nur dann als Regierungsbeschafferin akzeptiert würde, wenn sie bis zur Selbstaufgabe Federn ließe, führt Gysi die Phantomdiskussion um einen Politikwechsel, der nur mit der Linkspartei zu haben sei.

Den Einwand seines Gesprächspartners, daß das Wahlprogramm der Linken mit SPD und Grünen unmöglich umzusetzen wäre, will Gysi nicht gelten lassen. Es komme doch vor allem darauf an, daß die Richtung stimmt, unterstellt er eine langfristige Durchsetzungsfähigkeit seiner Partei auf Grundlage kaum im Ansatz aufrechterhaltener Positionen. Es gebe zahlreiche Punkte, um die eben hart verhandelt werden müsse. Um ein Beispiel zu geben, zitiert er eine seines Erachtens falsche Herangehensweise an Hartz IV: Man gebe den Menschen ein Existenzminimum und lege Sanktionen fest. Warum könne man nicht ein Existenzminimum festlegen und anstelle von Strafen jenen einen Bonus geben, die sich besonders engagieren?

Es ist natürlich nicht Gregor Gysis alleiniges Problem, nach ausschweifendem Wortgedrechsel am Ende doch zu sagen, was man denkt und vorhat. Die Generalausrede, wenn nur die Richtung stimme, seien auch bescheidendste Erfolge Schritte auf dem Weg zum Sieg, teilt er mit vielen Genossinnen und Genossen nicht nur in der Linkspartei. Wohin dieser lange Marsch führt, haben Sozialdemokraten in einem Jahrhundert und Grüne in zwei Jahrzehnten vorgemacht. Die Ambitionen der Linkspartei, dasselbe in neuer Rekordzeit zu schaffen, scheitern schlichtweg am fehlenden Bedarf an einem sozialdemokratischen Ableger.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/idw_dlf/2202639/

[2] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-08/gysi-koalition-linke

4. August 2013