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HERRSCHAFT/1697: Wenn Geheimdienste Freiheit und Demokratie schützen ... (SB)




Der NSA-Untersuchungsausschuß erweist sich, noch bevor er ein Ergebnis zum Gegenstand seiner Ermittlungen produziert hat, als Füllhorn nützlicher Erkenntnisse über den Stand der Demokratie in der Bundesrepublik. Um diese zu schützen, legt die Bundesregierung dem Ausschuß nicht nur allerlei Hindernisse in den Weg. Sie sucht auch Schutz bei den Strafverfolgungsbehörden jenes Staates, dessen Geheimdienst NSA neben seinem britischen Partnerdienst GCHQ im Mittelpunkt des Aufklärungsinteresses steht.

So soll der Ausschuß nur begrenzte Akteneinsicht erhalten. Nicht interessieren sollen seine Mitglieder etwa die Verhandlungen zum No-Spy-Abkommen mit den USA, handle es sich dabei doch um ein laufendes Verfahren. Naheliegenderweise könnten die allgemeiner Übereinkunft nach aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft der US-Regierung gescheiterten Verhandlungen einiges über die Verstrickung der deutschen Dienste in die Abhörpraktiken der US-Partner enthüllen. Um die Fortsetzung der elektronischen Ausspähung potentiell aller Menschen in der Bundesrepublik nicht zum Skandal deutschen Regierungsversagens oder, was peinlicher wäre, deutschen Eigeninteresses an diesen Praktiken geraten zu lassen, macht ein hochrangiger Regierungsbeamter geltend, daß dieser Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung verfassungsrechtlich geschützt sei.

Das verfassungsrechtliche Aufklärungsgebot des Parlaments wird geringer gewichtet als der Geheimnisschutz der Regierung, um das Parlament davor zu schützen, aufgrund zu großer Neugier das Staatswohl und damit die eigene Handlungsfähigkeit zu gefährden. Wer am Ast sägt, auf dem er sitzt, kann nicht im Interesse der Bevölkerung handeln. Der Schwanz wedelt nicht mit dem Hund, die Legislative bleibt Appendix der Exekutive, die Gewaltenteilung darf nicht so weit führen, daß die staatliche Gewaltausübung behindert wird. Wenn Verfassungsschutzchef Georg Maaßen in der gleichen Angelegenheit "Grenzen der Offenheit" gegenüber dem Tagespiegel reklamiert, könne andernfalls doch die Sicherheit Deutschlands gefährdet werden, dann meint er genau dies. Angenommen, es käme heraus, daß der BND als eine Art Außenstelle der NSA fungiert, dann könnte die Sicherheit des Landes zum Beispiel dadurch gefährdet werden, daß eine mittelbare Beteiligung der Bundesrepublik am per Drohnen durchgeführten extralegalen Hinrichtungsprogramm der US-Regierung in Frage gestellt wäre. Dazu möglicherweise bereitgestellte Informationen könnten nicht mehr vorbehaltlos fließen, weil das Vertrauensverhältnis zwischen US-amerikanischen und deutschen Diensten durch das öffentliche Leck beschädigt wäre.

Wie auch immer die Sicherheit der Bundesrepublik unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschützt wird, so erfolgt dies nicht zuletzt zum Schutz derselben vor unangenehmen Wahrheiten. Die Zusammenarbeit mit den USA birgt zahlreiche Möglichkeiten, eben jene Verfassung außer Kraft zu setzen, auf die sich die Bundesregierung bei der Einschränkung der Akteneinsicht beruft. Feuer mit Benzin zu bekämpfen, indem Freiheit und Demokratie mit der Begründung eingeschränkt werden, man schütze sie auf diese Weise vor ihren Feinden, gehört hierzulande seit jeher zum guten rechtstaatlichen Ton. Da man Oppositionellen nicht mehr empfehlen kann, in die DDR auszuwandern, wenn es ihnen in der BRD nicht gefällt, nimmt man nun die Hilfe eines Landes in Anspruch, das für Verschleppungs- und Folterpraktiken höchst unangenehmer Art bekannt ist. Nicht von Rußland ist die Rede, auch wenn es bestens ins aktuelle Feindbild paßte.

Im Fall des NSA-Untersuchungsausschusses geht die Gefahr von den USA aus, und das auf doppelte Weise. Schließlich stellt die Ausforschung durch US-Geheimdienste eine Bedrohung eigener Art dar, wie die vielen Fälle von Menschen belegen, die, zu illegalen feindlichen Kombattanten erklärt, unversehens auf Jahre in Terrorhaft gerieten und zum Teil dort heute noch sitzen. Aber auch die normale Strafverfolgung in den USA, wo 50.000 Menschen zum Teil Jahrezehnte der Isolationsfolter ausgesetzt sind, hat alles, wessen es bedarf, um deutsche Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegen allzu große Neugier zu immunisieren.

Das Rechtsgutachten, das die Bundesregierung bei einer US-Kanzlei in Auftrag gegeben hat, um sich argumentativ gegen eine Vernehmung Edward Snowdens vor dem Untersuchungsausschuß aufzumunitionieren, teilt dessen Mitgliedern mit, sie begingen eine "strafbare Handlung", wenn sie den Whistleblower dazu veranlaßten, geheime Informationen preiszugeben. Da dies den Tatbestand des "Diebstahls staatlichen Eigentums" erfüllen und die US-Justiz zu dem Schluß gelangen könnte, hier läge eine "Verschwörung" mit nämlichem Ziel vor, wird nach Lage US-amerikanischer Terrorismusgesetzgebung nicht nur mit normaler Strafverfolgung, sondern auch antiterroristischer Administrativhaft gedroht.

Man kann der Bundesregierung keinen Mangel an Kreativität beim Ausschöpfen der Möglichkeiten, dem Untersuchungsausschuß Knüppel zwischen die Beine zu werfen, vorhalten. Sollte seine Arbeit dadurch wirkungsvoll behindert werden, dann stellt das Wissen darum, mit welchen Mitteln sich die Geheimexekutive davor schützt, bei ihrer Arbeit durch demokratische Interventionen gestört zu werden, den absehbar größten Ertrag seiner Einrichtung dar. Da die Bundesregierung einiges dafür tut, daß die NSA ungestört panoptischen Zugriff auf die Welt hat, werden sogenannte Verschwörungstheorien auch in Zukunft ins Kraut schießen. Indem staatlicherseits für Intransparenz gesorgt wird und die Bevölkerung auf Mutmaßungen über die Aktivitäten der Exekutive angewiesen ist, bleiben Aussagen über das die Menschen bedingende Gewaltverhältnis notwendigerweise unvollständig. Freiheit und Demokratie auf den Begriff ihrer Aufhebung durch exekutive Ermächtigung zum permanenten Ausnahmezustand zu bringen, ist denn auch so legitim wie die Behauptung der Bundesregierung, die zentralen Werte der Verfassung nur durch ihre Negation schützen zu können.

4. Mai 2014