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HERRSCHAFT/1791: Verfassungsschutz - Gebot der Unauffälligkeit ... (SB)



Als bekannt wurde, daß der Chef des Inlandsgeheimdienstes seine schützende Hand über die AfD hielt, indem er sie beriet, wie eine Observation durch seine Behörde zu verhindern sei, hätte er zurücktreten müssen. Daß dies kaum gefordert wurde, sondern die politische Gesinnung des Chefs einer Bundesbehörde, die die Beobachtung und Evaluierung politischer Gesinnung als Aufgabe hat, erst sieben Wochen später politische Konsequenzen zeitigte, teilt jedem, der es wissen will, mit, wie die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik sortiert sind.

Historisch ist die Relativierung bürgerlicher Freiheitsrechte durch die geheimdienstliche Durchsetzung ihrer verfassungsrechtlichen Konformität dem demokratischen Neuanfang nach Ende des NS-Regimes geschuldet und sollte sich von daher in erster Linie gegen dessen Wiederkehr richten. Praktisch war und ist das Gegenteil der Fall - der Verfassungsschutz, der personell anfangs durchaus aus den Beständen der NS-belasteten Beamtenschaft schöpfte, richtete sich in allererster Linie gegen linke revolutionäre Kräfte. Der repressive Antikommunismus des Kalten Krieges war in der Behörde fest verankert und wirkte sich etwa im Verbot der KPD aus. Indem der Verfassungsschutz nach Gründen für Parteiverbote suchte und sie auch fand, indem er bis heute linke Gruppen und Organisationen als für diese Gesellschaft unverträglich stigmatisiert, indem er der despotisch regierten Türkei bei der Bekämpfung der linken Opposition Schützenhilfe leistet, ist er demokratietheoretisch am Übergang des parlamentarischen Systems zum Ausnahmezustand, zur Aufhebung jener Freiheiten, die zu verteidigen er behauptet, angesiedelt.

Dort, wo die Machtfrage vom starken Staat beantwortet wird, fühlt sich die radikale Rechte seit jeher zu Hause. An diesem Standort antidemokratischer Transformation existiert eine relevante Schnittmenge zur aufstrebenden Neuen Rechten, deren Staatsnähe bei aller Opposition zur herrschenden Regierung ideologisch begründet ist. Den autoritären bis faschistischen Staat nicht nur in Zeiten der Krise zu befürworten ist ihr quasi genetisch eingeschrieben, was sich auch im hohen Anteil an Militärs und PolizistInnen, an RichterInnen und StaatsanwältInnen in ihren Reihen zeigt. Repressive Härte demonstriert dieser Staat insbesondere bei der Unterdrückung der sozialrevolutionären und antifaschistischen Linken. Am Tage der Beförderung Maaßens kam es zu neuerlichen Hausdurchsuchungen bei G20-ProtestlerInnen, denen Gewalttaten angelastet werden, für die sich die Polizei niemals rechtfertigen mußte. 3500 PolizistInnen sollen den Hambacher Forst von WaldbesetzerInnen räumen, doch als in Chemnitz über 5000 Rechtsradikale aufmarschierten, wurden lediglich 600 PolizistInnen aufgeboten, um einige hundert GegendemonstrantInnen zu schützen.

Die mit der Veröffentlichung des Buches "Inside AfD" [1] der ehemaligen Parteifunktionärin Franziska Schreiber Anfang August bekanntgewordene Beraterrolle des Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz entspricht dieser ideologischen Gewichtung ganz und gar. Daß dieser Sachverhalt trotz weiterer Informationen zu Kontakten Maaßens in die AfD nicht für einen Rücktritt ausreichte, unterstreicht den Erfolg rechtsradikalen Hegemonialstrebens in den BRD-Funktionseliten. Erst mit der offenen Verharmlosung der Hetzjagden in Chemnitz und einer um Profilierung bemühten SPD wurde Maaßen aus dem Amt entfernt. Daß dies zu seinen Gunsten mit einer Beförderung und einer Gehaltserhöhung von 11.600 auf 14.000 Euro monatlich verbunden ist, könnte das Lamento der Neuen Rechten über die angeblich linke Hegemonie in Staat und Gesellschaft nicht besser widerlegen.

Auch trauen sich die PolitikerInnen der SPD, deren Verbleib in der Regierungskoalition diese Personalentscheidung geschuldet ist, kaum, die Sache beim Namen der unverhohlenen politischen Sympathien Maaßens zu nennen. So niedrig der begründete Verdacht einer Parteinahme für die Neue Rechte gehängt wird, so hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Niedergang der SPD durch ihren Wankelmut in der Positionierung gegen rechtspopulistische Bewegungen beschleunigt wird. Der wesentliche Schluß aus der Affäre um Maaßen und die AfD ist wenig beruhigend: Rechte Funktionseliten werden in Zeiten des latenten Bürgerkrieges so sehr gebraucht, daß sie eine Art ideologische Immunität genießen. Die radikale, antiimperialistische, antifaschistische, autonome Linke steht auf der Rangliste der dabei zu bekämpfenden Akteure ganz oben. Die "besorgten Bürger" von Chemnitz und anderswo hingegen sind die Zukunft Deutschlands.


Fußnoten:

[1] REZENSION/697: Franziska Schreiber - Inside AfD(SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar697.html

19. September 2018


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