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HERRSCHAFT/1845: Ehrung - Pia Klemp verläßt die Deckung ... (SB)



Ich bin nicht hier, um zu 'helfen'. Ich stehe solidarisch auf eurer Seite. Wir brauchen keine Orden. Wir brauchen keine Behörden, die entscheiden, wer ein 'Held' und wer 'illegal' ist. Tatsächlich befinden sie sich nicht in der Position, diese Entscheidung zu treffen, weil wir alle gleich sind. Was wir brauchen, sind Freiheit und Rechte. Es ist an der Zeit, die verlogenen Ehrungen zu beenden und die Leere mit sozialer Gerechtigkeit zu füllen. Es ist an der Zeit, alle Orden zu Speerspitzen der Revolution zu gießen.
...
Papiere und Unterkunft für alle!
Freiheit der Bewegung und Niederlassung!

Aus Pia Klemps Begründung zur Ablehnung des Verdienstordens, den die Stadt Paris ihr verleihen wollte [1]

Die Worte der Kapitänin Pia Klemp geben Anlaß darüber nachzudenken, wieso es so selten geworden ist, daß Menschen sich auf nicht verhandelbare Weise für politische Positionen stark machen, deren Gutheißung eigentlich ein universales Anliegen sein sollte. Indem die Aktivistin, die mit den Besatzungen der Schiffe Iuventa und Sea Watch-3 Tausende flüchtender Menschen, die beim Überqueren des Mittelmeers in Seenot geraten waren, das Leben gerettet hat, ihr eine für diese Verdienste verliehene Ehrenmedaille der Stadt Paris mit der klaren Ansage ablehnte, daß sie sich nicht für die Legitimation migrantenfeindlicher Maßnahmen hergeben wollte, hat sie sich so einseitig und verbindlich auf die Seite der Betroffenen gestellt, wie frau es nur machen kann.

Klemp hat eine gesellschaftliche Ehrung in den Wind geschlagen, weil deren Feigenblattfunktion offenkundig war und ihr Engagement für notleidende Menschen nicht korrumpiert werden sollte. Damit wählte sie den schmalen und gefährlichen Pfad einer Streitbarkeit, die, wenn sie nicht bei der ersten Herausforderung scheitern soll, gegen den gut ausgebauten Apparat gesellschaftlicher Befriedung und Ruhigstellung immun sein muß. Ehrungen und Karriereangebote sind ein probates Mittel, den im Eintreten von MenschenrechtsaktivistInnen für unterdrückte, ausgegrenzte und notleidende Menschen verborgenen Stachel einer Herrschaftskritik zu kappen, der alle gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse zu überwindende Mißstände sind. Sich diesen Angeboten zu verweigern heißt zum Beispiel sich der Instrumentalisierung humanitärer Anliegen für kolonialistische und imperialistische Zwecke - der "humanitäre Interventionismus" der NATO ist nur ein Beispiel von vielen - eine Absage zu erteilen. Wer so weit geht wie Pia Klemp, kündigt den durch den Konsens, bei Menschenrechtsarbeit handle es sich um eine ethisch motivierte Profession und nicht einen politisch positionierten Aktivismus, gewährten Schutz auf. Wie die zahlreichen Mordanschläge auf humanitäre und indigene AktivistInnen in aller Welt belegen [2], wird gegen Menschen, die es mit dem Kampf gegen Sklavenarbeit, Rassismus, Landnahme, Ressourcenraub und Naturzerstörung ernst meinen, regelrecht Krieg geführt.

Die öffentliche Diffamierung und staatliche Verfolgung von AktivistInnen und Organisationen, die flüchtende Menschen aus lebensbedrohlicher Not retten, ist Ausdruck dieses sozialen Krieges. So wenig, wie es ein besonderes Verdienst ist, als deutsche Staatsbürgerin mit weit höheren Überlebensgarantien als Menschen aus anderen Ländern geboren worden zu sein, ist es unumkehrbares Schicksal, in der brutalen Härte ökonomischen Mangels und politischer Unterdrückung aufzuwachsen. Auf der Kommandohöhe weißer und eurozentrischer Suprematie sieht man das natürlich ganz anders, wie der große Einfallsreichtum zeigt, der zutage tritt, wenn es darum geht, die Fluchtbewegungen dieser Menschen und ihre Rettung aus Seenot in Mißkredit zu ziehen.

Indem die SachwalterInnen EU-europäischer Flüchtlingsabwehr eine prinzipielle, durch nationale Herkunft und sozialökonomische Privilegien bestimmte Trennlinie ziehen, jenseits derer nicht einmal mehr minimale Zugeständnisse wie die Befolgung des Primates, Menschen stets aus Seenot zu retten, getroffen werden, bestehen sie auf demonstrative Weise auf sozialdarwinistisch erwirtschafteter Zugehörigkeit. Die Frage, wer leben darf und wer sterben muß, wird nicht mehr außerhalb der Reichweite menschlicher Handlungsfähigkeit als schicksalhafte Fügung angesiedelt. Über sie wird auf willkürliche Weise anhand von Kriterien entschieden, deren zentrale Bemessungsgrundlage in der Abwägung zwischen dem Überleben der eigenen Person und Gruppe und des Entzuges von Lebensgarantien als fremd verstandener Menschen besteht.

Mit der Aufkündigung des universalen Gleichheitsanspruches wird der Barbarei nicht nur freie Bahn gegeben, sie wird de facto zur unabdinglichen Naturnotwendigkeit erhoben. Menschen verrecken zu lassen, weil die Befriedigung ihrer essentiellen Bedürfnisse den eigenen Anteil am ohnehin schwindenden Bestand der Lebensressourcen schmälern könnte, legt das Problem offen, daß die vielbeschworene Rettung des Planeten schon im Anfangsstadium an der Flucht vor den Schmerzen des herrschenden Zerstörungsprozesses scheitern könnte. Deren vermeintliche Teilbarkeit liegt der Ratio eines Überlebens zugrunde, die suggeriert, man könne der Gefahr entkommen, indem andere zwischen sich und die Bedrohung manövriert werden. Menschen sehenden Auges dem Ertrinken zu überantworten ist Ausdruck dieser Ratio - solange der andere betroffen ist und ich zuschaue, bin ich in Sicherheit.

Um so einsichtiger ist, daß die Bewältigung der das Leben bedrohenden Krisen nur im Kollektiv sich verstärkender Menschen erreicht werden kann. Dem entspricht die immer weiter um sich greifende Erkenntnis, daß es dazu einer anderen, solidarischen und vor allem jenseits aller kapitalistischen Organisationsform und Verwertungslogik verorteten Gesellschaft bedarf. Ohne die Bearbeitung der sozialen Frage an den Anfang zu stellen, bleiben alle ökologischen Maßnahmen Stückwerk, das könnte als Faustformel einer sozialen Bewegung gelten, deren Überzeugungen radikal genug sind, um der Haltlosigkeit krisenhafter Entwicklungen mit genügend Trittfestigkeit und Handlungskonsequenz entgegenzutreten.

Um sich darüber klar zu werden, wie weitreichend die Voraussetzungen und Konsequenzen des Kampfes um eine Zukunft sind, die nicht in ein vernichtendes Ringen eines jeden gegen eine jede mündet, ist die eindeutige Positionierung Pia Klemps von wegweisender Bedeutung. Indem auf die verbreitete Angst vor Veränderungen wie etwa der Einwanderung von Millionen weiterer Menschen in die Bundesrepublik gar nicht erst eingegangen wird, sondern das universale Prinzip der Gleichheit an erste Stelle gestellt wird, ermutigt sie zu einer Tatkraft, die sich nicht vermeintlichen Naturzwängen unterwirft, sondern mit aller Unbescheidenheit für die Verwirklichung einmal erhobener Ansprüche auf Menschlichkeit und Solidarität kämpft. Dahinter zurückzufallen hieße nicht nur die revolutionären Bestrebungen früherer Generationen um Emanzipation und Befreiung zu mißachten. Die heute um den Bestand der Wälder und Ozeane, gegen die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur geführten Kämpfe bedürfen der solidarischen Unterstützung und kollektiven Bemühung. Sie sind mit dem Konkurrenzprinzip der neoliberalen Arbeitsgesellschaft und der Atomisierung ihrer Marktsubjekte unvereinbar, so daß alle Bestrebungen zur Überwindung der kapitalistischen Eigentumsordnung jederzeit willkommen sind.

Das gilt um so mehr, als das vermeintliche "Gutmenschentum" [3] solidarischer Menschen mit Hohn und Spott überzogen wird. Wer sich für schwache, verletzliche, von Schmerz erfüllte und herrschenden Interessen ohnmächtig ausgelieferte Menschen ohne Seitenblick auf eigene Vor- und Nachteile einsetzt, steht nicht umsonst im Zentrum neofaschistischer Aggression. Instinktsicher wird dort die Gefahr gewittert, die von Menschen ausgeht, deren Streitbarkeit von unkorrumpierbarer Festigkeit ist und die durch die Teilungs- und Spaltungsstrategien herrschender Kräfte nicht zu erreichen sind. Wenn Pia Klemps Beispiel Schule macht und sich auf das persönliche Anliegen besonnen wird, das zugleich so universal ist wie die Einbindung jedes Menschen in ein Luft, Wasser, Nahrung und Kontakt bietendes Umfeld, ist noch nicht alles verloren.


Fußnoten:

[1] https://www.facebook.com/pia.klemp/posts/10156318059491611
(Übersetzung von der Redaktion Schattenblick)

[2] https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/enemies-state/

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1499.html

31. August 2019


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